Am 1. April wurde der SWÖ-Kollektivvertrag (Sozialwirtschaft Österreich) für rund 125.000 Beschäftigte im privaten Sozial- und Gesundheitsbereich mitten in der Corona-Krise abgeschlossen. Sarah Ott, Betriebsrätin bei LOK (Leben ohne Krankenhaus) analysiert die Situation und zeigt Perspektiven für die weiteren Schritte im Sektor auf.

Der Abschluss des SWÖ- Kollektivvertrags kam völlig überraschend. Viele BetriebsrätInnen haben überhaupt erst über die Medien davon erfahren. Da es ursprünglich von Seiten der Gewerkschaften GPA-djp und Vida hieß die Verhandlungen seien ausgesetzt, Streikbeschlüsse blieben aber weiterhin aufrecht, hatten die meisten damit gerechnet, dass dies für die gesamte Corona-Krise gelten solle und danach wieder für bessere Arbeitsbedingungen und die 35h-Woche gekämpft werden würde. Diese Erwartung wurde bitter enttäuscht und ein „Angebot“ der Arbeitgeberseite akzeptiert, das als solches eigentlich bereits Anfang März einstimmig vom großen Verhandlungsteam abgelehnt worden war – und das nicht ohne Grund.

Eine ausführliche Analyse zum Abschluss gibt es hier. Nur so viel sei gesagt: In einem Abschluss über 3 Jahre zahlen sich die Beschäftigten mit zu erwartenden Reallohnverlusten eine Arbeitszeitverkürzung um eine Stunde ab dem Jahr 2022 im besten Fall selbst. Gleichzeitig soll eine „grundlegende Überarbeitung des Kollektivvertrages“, wie es auf der SWÖ-Seite heißt, in der durch den 3-Jahres-Pakt entstandenen Verhandlungspause stattfinden. Dass das für die Beschäftigten nichts Gutes bedeutet liegt auf der Hand.

3 Jahre stillhalten – nicht mit uns!

Mit dem Mehrjahresabschluss drohen die Kampfbereitschaft und die Erfahrungen, die wir uns in den letzten Jahren im Sozial- und Gesundheitsbereich erarbeitet haben, massiv zurückgedrängt zu werden. Und genau das ist es, was die Arbeitgeber bezwecken.

In den letzten Jahren hat im Sozialbereich eine Welle von Mobilisierungen für eine grundlegende Verbesserung der Arbeitsbedingungen begonnen. Von Jahr zu Jahr sind mehr Arbeitskampfmaßnahmen bis hin zu Streiks durchgeführt worden, haben sich mehr KollegInnen an den Kampfmaßnahmen beteiligt. Der Druck auf die Dienstgeber und die Fördergeber ist dadurch immer weiter gewachsen.

Dass dies möglich war, liegt insbesondere an unserer Selbstorganisierung in der Branche: Neben einer Reihe von Basisinitiativen hat in Wien, aber auch darüber hinaus, eine vielschichtige Vernetzung von Streikkomitees, BetriebsrätInnen und KollegInnen stattgefunden, die weit über „normale“ gewerkschaftliche Strukturen hinausreicht. Dadurch war es nicht nur möglich selbstständig und koordiniert Streikdemonstrationen zu organisieren. Es war auch möglich, dem Druck der Gewerkschaftsspitze ein effektives Gegenmittel gegenüberzustellen. Diese Kontrolle der Basis, der Einfluss der KollegInnen selbst, wurde von Jahr zu Jahr stärker.

Der jetzige Abschluss droht diese Dynamik völlig zu zerstören. Die Arbeitgeber werden versuchen, den Mehrjahresabschluss dafür zu nutzen, Schritt für Schritt unsere Arbeitsbedingungen zu verschlechtern. Denn durch die Wirtschaftskrise wird der Druck auf die öffentlichen Finanzen wieder massiv steigen. Es wird daher unerlässlich sein das „Stillhalten für drei Jahre“ nicht zu akzeptieren und nach dem Ende der Corona-Krise weiter für bessere Arbeitsbedingungen zu kämpfen.

Demokratie? Nicht vorhanden!

Vor allem das Zustandekommen des Abschlusses wirft viele Fragen auf und das Vorgehen der Gewerkschaftsführung ist hier aufs Schärfste zu kritisieren. Die Mitglieder des großen Verhandlungsteams wurden mit einer zuvor noch nie dagewesenen, völlig einseitigen Ja-Nein-Abstimmung per E-Mail konfrontiert und unter Druck gesetzt. Bevor die E-Mail mit der Möglichkeit zur Abstimmung kam, wurden alle Mitglieder des großen Verhandlungsteams mit der Bitte um Zustimmung zum Abschluss persönlich angerufen. Es gab keinerlei Möglichkeit einer Diskussion im Gremium, es konnten keine anderen Positionen diskutiert oder Argumente vorgebracht werden, geschweige denn Änderungsvorschläge oder Abänderungsanträge gemacht werden. Im Gegenteil: Die Gewerkschaftsführung weigerte sich, den Gegenantrag eines Mitglieds des großen Verhandlungsteam abstimmen zu lassen, in dem ein Abschluss nur für dieses Jahr gefordert wurde.

Ein solches Vorgehen widerspricht jedem demokratischen Verständnis von innergewerkschaftlicher Diskussion. Dabei wäre eine solche gerade bei einem Abschluss mit derartiger Tragweite essentiell.

Urabstimmung jetzt!

Gerade in der momentanen Situation, wo keine gewerkschaftlichen Kampfmaßnahmen oder öffentliche Proteste möglich sind, muss es eine Abstimmung unter den Beschäftigten über den KV-Abschluss geben. Eine solche Urabstimmung ist in anderen Ländern durchaus üblich.

Nach dem unerwarteten Abschluss saß der Schock, vor allem bei denjenigen, die sich an den Streiks und Demonstrationen beteiligt hatten erstmal tief. Einige Betriebe schrieben Briefe an die Gewerkschaftsführung in denen sie den Abschluss kritisierten, alle erhielten lediglich das gleiche vorgefertigte Antwortschreiben in dem argumentiert wurde, das große Verhandlungsteam wisse schon was ihre Belegschaften wollen würden.

Diese Argumentation können wir so nicht stehen lassen. In meinem Betrieb entschlossen wir uns im Betriebsratsgremium daher selbst eine Abstimmung zum KV-Abschluss durchzuführen. Wir sind der Meinung, dass diese Idee einer Abstimmung von unten sich weit verbreiten muss, um die Argumente der Gewerkschaftsspitze in der Praxis zu wiederlegen. Diesen Vorschlag haben wir daher über unterschiedliche Kanäle (in WhatsApp-Gruppen und über Social Media, in der Vernetzung „sozial aber nicht blöd“) unter kämpferischen BetriebsrätInnen und Streikkomitees propagiert, ebenso wie eine gemeinsame Resolution gegen diesen Abschluss für die noch Unterschriften gesammelt werden. Bisher beteiligen sich mindestens 10 Betriebe an dieser „Urabstimmung von unten“ und die ersten Rückmeldungen bestätigen uns dabei: Die überwältigende Mehrheit der KollegInnen ist gegen den Abschluss. Der nächste Schritt ist die Ergebnisse zu veröffentlichen und auch an die Gewerkschaften zu schicken. Auch wenn diese Abstimmungen den Abschluss nicht verändern können, geht es darum nicht darauf zu warten bis die Gewerkschaftsführung uns erlaubt mitzuentscheiden. Wir müssen unsere Mitsprache selbst organisieren und dürfen uns nicht auf Jahre mundtot machen lassen. Das ist die einzige Möglichkeit, um die Dynamik des Arbeitskampfes nicht zu begraben und uns damit selbst zu entwaffnen. Ein Abschluss ist nur ein Stück Papier – entscheidend ist, was die Beschäftigten im Bereich selbst tun. Es braucht jetzt, mehr denn je, eine klare und gemeinsame Antwort aller kämpferischen BetriebsrätInnen und KollegInnen, es braucht eine aktive und organisierte Gewerkschaftsopposition. Diese gilt es jetzt gemeinsam aufzubauen und sich im Betrieb und darüber hinaus zu organisieren. Nur so wird es uns gelingen zukünftig unsere Arbeitsbedingungen tatsächlich zu verbessern. Daher:

★Nein zu diesem Abschluss!

★Nein zur geheuchelten „Dankbarkeit“ der Bosse und zum „Team Österreich“. Ja zum Team Arbeiterklasse!

★Für eine kämpferische und organisierte Gewerkschaftsopposition gegen die Führung, die diesen Abschluss mit zu verantworten hat – im Sozialbereich und darüber hinaus!

★Für Gewerkschaftsdemokratie – für Urabstimmungen über alle KV-Abschlüsse, wenn nötig in den Betrieben selbst organisiert!

 

Hier gehts zu einer Zusammenschau vom Arbeitskampf im Sozialbereich 2020.

(Funke Nr. 183/27.4.2020)


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