Der Lockdown ließ die Luftfahrtindustrie in eine tiefe Krise schlittern. Die Airlines wollen Staatshilfen und massive Sparpakete. Martin Halder erklärt, warum ein Strategiewechsel dringend notwendig ist.
Seit Mitte März ist der Flugverkehr weltweit weitgehend zum Erliegen gekommen. Dies stürzt die gesamte Branche in eine tiefe und anhaltende Krise. Auch wenn ab Juni der Betrieb diverser Airlines wieder stückweise hochgefahren wird (Ryanair will beispielsweise bis 1. Juli 40 % seiner ursprünglichen Flüge wieder abdecken), rechnet die Luftfahrtindustrie damit, erst 2023 das Vorkrisenniveau zu erreichen.
Als erste Reaktion kündigten die Airlines einen großangelegten Stellenabbau an und verlangten tiefe Einschnitte bei den Löhnen. Obwohl die Billigfluglinie Wizz Air 1,8 Mrd. € auf den Bankkonten liegen hat und damit in der anhaltenden Situation fast 3 Jahre auskommen würde, baut sie ein Fünftel der Belegschaft ab und verlangt eine Kürzung der Löhne und Gehälter von bis zu 14 %. Ebenfalls auf riesigen Geldreserven sitzend will Ryanair 3.000 ArbeiterInnen kündigen. Bei der Lufthansa sollen 10.000 Jobs gestrichen werden, obwohl der deutsche Luftfahrtkonzern die letzten Jahre stets Milliardengewinne verbucht hat. British Airways will 12.000 Beschäftigte kündigen. Diese Liste ist endlos. Die Eigentümer nutzen die Krise weltweit, um „alte“ Anstellungsverhältnisse abzubauen („Flexibilisierung“), um wettbewerbsfähiger aus der Krise zu kommen.
Die Geschäftsführungen argumentieren dies mit dem üblichen Gerede von hohem Unternehmerrisiko und Verantwortung gegenüber den Anlegern. Doch auch diese Krise zeigt, die Einzigen, die ein Risiko eingehen, sind die Beschäftigten. Nachdem der Rotstift bei der Belegschaft angesetzt wurde, rennen die Kapitalisten mit offenen Händen zum Staat, damit in der Krise die Verluste von der Allgemeinheit übernommen werden. Nachdem bei den meisten Airlines durch Kurzarbeitsmodelle ein Großteil der Löhne bereits vom Staat bezahlt wird, sollen die Staaten nun auch Geld in die Fluglinien zuschießen. Air France wurde bereits mit mehreren Milliarden vom Staat gestützt und auch die deutsche Bundesregierung schießt 9 Mrd. € in die Lufthansa. Insgesamt sind bisher laut dem internationalen Branchenverband IATA 110 Mrd. € Staatssubventionen in die Airlines geflossen. Dieser Betrag ist exklusive der Subventionen für die Lufthansa.
Diese staatliche Beteiligung beim wichtigsten deutschen Carrier allerdings nur vorübergehend sein, bis die Branche sich stabilisiert hat und Profite macht. Der größte Einzelaktionär von Lufthansa Heinz Thiele wird mit seinem Privatvermögen von 14,2 Mrd. € natürlich nicht belangt. Dieser Herr Thiele ist nebenbei noch Hauptaktionär beim Knorr-Bremse-Konzern und erhält dort heuer, obwohl Kurzarbeit herrscht, 200 Mio. € an Dividenden ausbezahlt.
Was in dieser Branche so augenscheinlich passiert, ist charakteristisch für den Kapitalismus in der Krise. Während die Großaktionäre die letzten Jahre Milliarden verdienten, ihre Profite und ihr Vermögen ins Trockene bringen lassen, soll die Arbeiterklasse für die Krise zahlen.
AUA und Lauda
In Österreich hängen insgesamt bis zu 90.000 Arbeitsplätze an der Luftfahrtindustrie und auch hierzulande haben die Airline-Chefs schon die Messer gezückt. Die Fluglinie Laudamotion, ein Tochterunternehmen von Ryanair, versuchte die bereits bestehenden Hungerlöhne noch zu überbieten und einen Kollektivvertrag zu erzwingen, nach dem FlugbegleiterInnen monatlich 848 € netto (also weniger als die Mindestsicherung) bekommen würden. Dieser Betrag beinhaltet bereits eine Überstundenpauschale. Ryanair verweigerte sich jeder Verhandlung, die Gewerkschaft vida ließ das Ultimatum des Unternehmens verstreichen. Der Konzern kündigte am 20. Mai die Schließung der Basis in Wien an und hat zusätzlich noch die Dreistigkeit der Gewerkschaft vorzuwerfen, „300 gut bezahlte Arbeitsplätze vernichtet“ zu haben. Bereits Tage zuvor begann Ryanair, neues Personal für die bisher in Wien stationierten Flugzeuge zu suchen. [Anm.: Seit der Veröffentlich gab es einen KV-Abschluss als Kompromiss.]
Die AUA, die größte Fluggesellschaft am Standort Wien, will 1.100 ihrer 7.000 MitarbeiterInnen kündigen und beschloss im Einklang mit der Gewerkschaft Personaleinsparungen von 300 Mio. € für die nächsten Jahre. Verbunden mit der staatlichen Rettung des Mutterkonzerns Lufthansa wird parallel auch mit der österreichischen Bundesregierung ein Paket von über 700 Mio. € Hilfsgelder für die AUA verhandelt.
GPA-Bundesgeschäftsführer Karl Dürtscher hat vor einem Monat verkündet, keine weiteren Verschlechterungen der Arbeitsbedingungen bei der AUA zu akzeptieren. Aber in klassischer sozialpartnerschaftlicher Manier war das nur Rhetorik. In der Praxis verhandelte Betriebsrat und Gewerkschaft mit dem Management massive Gehaltsverzichte für viele Jahre. Das Lohnverzichtspaket wurde dann dem Bodenpersonal unter der erpresserischen Logik der „Alternativlosigkeit“ zu einer Urabstimmung vorgelegt. Bei einer Beteiligung von 72 % stimmten 90 % für und 10 % gegen den Lohnraub. „Diese hohe Zustimmung zeigt, dass die Beschäftigten bereit sind, einen substantiellen Beitrag in Form von Gehaltsverzicht und Aussetzen der Gehaltsvalorisierung für die Zukunft des Unternehmens AUA zu leisten. Damit haben sie großes Verantwortungsbewusstsein gezeigt und dafür gebührt ihnen großer Dank“, erklärte der Betriebsratschef des Bodenpersonals, Landtagsabgeordneter Rene Pfister.
Abwehrkampf organisieren
Der aktuelle Lohnverzicht des AUA-Bodenpersonals ist nur der vorerst letzte Akt einer jahrelangen Verschlechterung. Aber: damit wurden nur die Profite der Eigentümer erhöht. Wien ist die zweitgrößte Stadt im deutschsprachigen Raum, ein großer Markt für die Flugindustrie. Zudem betragen die Lohnkosten nur etwa 10 % des Gesamtumsatzes der Branche. Kurz: Fluglinien fliegen nicht wegen hohen oder niedrigen Löhnen des Airline-Personals, sondern weil Menschen in Ballungsgebieten massenhaft fliegen wollen und müssen.
Gleichzeitig ist die Luftfahrtbranche eine sehr verkettete Industrie. Flugzeuge starten nur, wenn viele genau standardisierte Tätigkeiten ineinandergreifen: Ticketverkauf, Check-in, Sicherheitskontrollen, Beladung, Betankung, die Startbereitschaft des Flugpersonals, die Freigabe für Start, Landung und Überflug durch den Tower, etc. Aus Sicht der Arbeiterbewegung heißt dies: unzählige Möglichkeiten den Flugbetrieb zu verlangsamen oder ganz zu verhindern.
Genau dies müsste der Ausgangspunkt einer jeden Gewerkschaftsstrategie sein. Wenn Ryanair Boss O`Leary groß mündig verkündet er werde alle Laudair-Airbusse am Standort Wien abziehen (womit er am 29.5. begonnen hat), sollte die Gewerkschaft antworten, dass ohne ihre Zustimmung keine einzige Lauda-Maschine jemals mehr am Flughafen Wien abheben oder landen wird. Stattdessen sagte die Gewerkschaft VIDA gar nichts und arbeitete hinter den Kulissen vergebens an einer „politischen Lösung“.
In der Rolle des „rationalen“ Krisenmanagers ermutigt die Gewerkschaftsführung damit aber nur das Kapital zu weiteren Einsparungen und sabotiert jeden möglichen Abwehrkampf. Dies ist umso verheerender, da sich der Spardruck monatlich erhöht und nur die organisierte Arbeiterbewegung diesen durchbrechen kann.
Die unmittelbarste Verantwortung der Gewerkschaftsführung ist es, der Belegschaft keinen fertigen Sparplan vorzulegen, sondern einen Kampfplan, der keine Kündigungen und Kürzungen akzeptiert. Immerhin sind es die ArbeiterInnen, die mit ihrer Arbeit Jahr für Jahr für deren Milliardenprofite gesorgt haben.
Aus den Gewerkschaften und der SPÖ kommt aktuell die Forderung von staatlicher Beteiligung und Mitsprache an der AUA, wenn der Staat schon mit einem Rettungspaket einspringen muss. Bei solch halbgaren Teilverstaatlichungen kann man aber nicht darauf vertrauen, dass Arbeitsplätze und Löhne garantiert werden, weil das Unternehmen der Anarchie der Börse unterworfen bleibt. Um den Flugverkehr zusammen mit dem restlichen öffentlichen Verkehr nach gesellschaftlichen Bedürfnissen zu organisieren und nicht nach dem Profitstreben der Großaktionäre, braucht es eine vollständige Re-Verstaatlichung der AUA und des ganzen Fluggewerbes, denn am Ende des Tages kann man nicht planen und kontrollieren, was man nicht besitzt.
Das Vorgehen von Laudamotion hat gezeigt, dass das Kapital auch zu radikalen Schritten bereit ist, wie die Verlagerung des Standorts an Flughäfen, an denen das Personal billiger angeheuert werden kann. AUA würde zu den gleichen Mitteln greifen, wenn die Gewerkschaft die Sparpläne dort nicht akzeptieren würde. Doch daraus sollten wir keine fatalistischen, sondern kämpferische Schlüsse ziehen:
- Nein zu jeder Verschlechterung!
- Die Großaktionäre müssen für die Krise zahlen!
- Für eine gewerkschaftliche Kampagne gegen Fluglinien mit besonderen ausbeuterischen Arbeitsverhältnissen an den Flughäfen: Wer Beschäftigte schlecht zahlt und behandelt kann nie sicher sein wann und ob sein Flugzeug in Wien-Schwechat abhebt!
- Verstaatlichung der AUA und von Laudamotion unter Kontrolle der Beschäftigten (entschädigungslos für reiche Aktionäre)!
- Für eine internationalen Appell an die Belegschaften und Gewerkschaften in der Flugindustrie gemeinsam zu kämpfen.
Das ganze Interview mit Kuo Chih-yen auf Englisch hier.