Am 9. November und am 10. November finden bundesweit Aktionen der Gewerkschaften des Gesundheits- und Sozialbereichs bzw. ihrer Jugendorganisationen statt. Kommentar eines Pflegers im Wiener Gesundheitsverbund.

Die Ankündigung der Demonstration für 9. 11. in Wien und der bundesweiten Aktion „5 nach 12“ am darauffolgenden Tag an den Arbeitsplätzen sorgt im Vorfeld für gemischte Reaktionen: Auf der einen Seite drückt es den Wunsch vieler Beschäftigter im Gesundheits- und Sozialbereich aus, dass ENDLICH die Möglichkeit geschaffen wird sich gemeinsam gegen die sich verschlechternden Arbeitsbedingungen zur Wehr zu setzen. Auf der anderen Seite gibt es starke Zweifel an der Sinnhaftigkeit der sehr kurzfristig angesagten und limitierten Maßnahmen.

Am 9.11. rufen die Gewerkschaftsjugenden der younion, GÖD, GPA und VIDA unter dem Titel: „Gesundheitskollaps – Und die Bundesregierung schaut zu“ zu einer Demonstration auf. Die Forderungen der Demonstration setzen in einigen Punkten an wichtigen Problemen an, vor allem einer Attraktivitätssteigerung der Ausbildung, um den Personalmangel mittelfristig zu beheben. Weiters wird die Forderung nach einer einheitlichen Personalbedarfsberechnung, die Erhöhung der Dienstplanverlässlichkeit und die lange versprochene Bonuszahlung - für ALLE MitarbeiterInnen erhoben. Diese Forderungen sind sehr durchdacht, aber völlig aus der Logik der angestrebten Gespräche im Ministerium und der Sozialpartnerschaft heraus formuliert.

Dasselbe gilt für die Form der Maßnahmen. Im Vorfeld herrschte ein langes „Hin und Her“ wer wann was machen, sowie nach außen kommunizieren darf und soll. Dieses Micromanagement führte dazu, dass die vollen Möglichkeiten der Mobilisierung unter den Beschäftigten nicht ausgeschöpft wurden. Zudem wird darauf gedrängt, dass es „die Einheit“ im Vordergrund stehen soll und es „keine Demo in der Demo geben soll“. In diesen Details wird klar, dass hier ein Ventil maßgeschneidert wird, das genau so groß sein soll, um mit Gesundheitsminister Mückstein oder den Sozialpartnern der Dienstgeberseite sinnvoll ins Gespräch zu kommen, ohne dass jedoch in der Kollegenschaft zu viele Erwartungen auf eine tatsächliche Verbesserung geweckt werden.

Wir mobilisieren!

Dessen ungeachtet mobilisieren klassenkämpferische AktivistInnen an Wiens Krankenhäusern aktiv für die Maßnahmen, um sie zu einem Erfolg zu machen. Dies ist nicht einfach.

Wir erleben Tag für Tag wie Politik und Dienstgeber in verschiedenen Einrichtungen in Österreich immer weniger Rücksicht nehmen und uns psychisch und physisch auspressen. Dagegen sich zu erheben ist hierbei ein Akt der Notwehr und des Selbstschutzes. Doch da das Signal hierfür immer weiter ausbleibt, verlassen aus dem Motiv des Schutzes der eigenen Gesundheit, Familie und des Privatlebens immer mehr KollegInnen den Sektor oder reduzieren Stunden, da sie es nicht mehr ertragen können.

Was die Politik auch immer behauptet: es arbeiten immer weniger in den Spitälern und Pflegeeinrichtungen, weil es nur noch machbar ist, wenn man selbst vollständig psychisch und körperlich gesund ist. Es ist klar, dass angesichts dessen, dass viele zu müde für irgendwas sind auch genau überlegen was sie unterstützen und was nicht. Die sachten, technokratisch vorgetragenen Mobilisierungen der Gewerkschaftsspitzen stoßen bei vielen auf taube Ohren und Zynismus.

Viele KollegInnen sagen etwa: „Warum demonstrieren wir gegen die Regierung, warum nicht gegen unseren Dienstherrn, die Gemeinde Wien?“ Sie bemerken das Zögern und Zaudern der Gewerkschaftsspitze, die schwache Mobilisierung durch die späten Ankündigungen, und die vielen gewerkschaftlichen Vertröstungen und Versprechungen, anstatt endlich Klartext zu reden. Das Bemühen engagierter VertreterInnen (die es in allen Fraktionen gibt) kann dies nicht aufwiegen.

Die Liste Solidarität steht programmatisch für folgendes:

  • 20% mehr Personal in allen Bereichen
  • 20% weniger Arbeitszeit bei vollem Lohn- und Personalausgleich
  • Ausreichende öffentliche Mittel für ein qualitätsvolles öffentliches Gesundheitssystem.

Und was sofort aufhören muss:

  • dass Nachtdienste alleine bestritten werden müssen.
  • dass die gesetzliche Mindestpräsenz zum Normalzustand wird.
  • dass die Ausbildung von neuem Personal nicht bezahlt wird.

Was wir unbedingt brauchen ist ein gewerkschaftsübergreifender Kampfplan, der von den Beschäftigten aktiv mitgestaltet werden kann, Maßnahmen in der Öffentlichkeit und Aktionen, die den Verantwortlichen in der Politik wirklich weh tun. Es muss Schluss sein mit einem Ausscheren aus koordinierten Initiativen wie der „Offensive Gesundheit“ (ein Bündnis aller Gewerkschaften in der Branche).

Stattdessen braucht es starke gemeinsame Aktionen aller Beschäftigten im Sektor. Ein Schulterschluss aller Gewerkschaften in der Branche und das Zurückstellen der jeweiligen organisatorischen Einzelinteressen einzelner Teilgewerkschaften ist dafür unumgänglich. Im Vordergrund müssen die Interessen der Beschäftigten stehen und nicht, welcher Apparat am besten wegkommt.

Ein Eskalationsplan von ersten Flashmobs bis hin zu Demonstrationen und Streiks ist der einzige Weg uns und unsere PatientInnen zu schützen und notwendige Verbesserungen zu erkämpfen. Denn die Erfahrung der letzten Jahrzehnte zeigt, dass am grünen Tisch der Sozialpartnerschaft nichts mehr zu gewinnen ist.

Wir müssen unsere Stationen streikbereit machen!

(Funke Nr. 198/5.11.2021)


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