Im Juni ist die Inflationsrate auf 8,7% gestiegen und die Lage spitzt sich weiter zu. In dieser Situation ist der ÖGB gefragt, den Kampf zu organisieren. Von Florian Keller.

„Sie gehe davon aus, dass sich die Preise 2022 stabilisieren würden und es schrittweise zu einem Rückgang kommen werde. In den Folgejahren werde es eine weitere Entspannung an der Preisfront geben, da die Energiepreise nicht dauerhaft zulegen dürften und sich auch die Materialengpässe nach und nach auflösten“

So zitierte der ORF im Jänner EZB-Chefin Lagarde. Seither hebt die Inflation erst richtig ab und jetzt im Sommer rücken die Prognoseinstitute damit heraus, dass dieser Prozess über Jahre anhalten wird.

Dabei bildet die monatliche Inflationsrate die Teuerung aus der Sicht der Arbeiterklasse nicht vollständig ab. Die Preissteigerungen für den Miniwarenkorb, der neben dem Wocheneinkauf auch Ausgaben für Treibstoffe und verschiedene Dienstleistungen einberechnet, hat sich im Mai im Jahresvergleich schon um 15,4% verteuert. Das heißt konkret: Löhne und Pensionen reichen für viele vorne und hinten nicht mehr zum Leben.

Das Kapital will Lohnkürzungen

Lohnabschlüsse, die die Inflation vollständig abgelten würden, sind nicht im Interesse des Kapitals. Noch im Mai befürwortete das Wirtschaftsforschungsinstitut (Wifo), dass die Reallöhne heuer um 2,3% sinken sollen – der größte Reallohnverlust seit Beginn der Aufzeichnungen 1955. Ende Juni „prognostizierte“ das Wifo dann bereits einen Lohnverlust von 3,9%. Diese „Prognosen“ sind politische Vorgaben, an denen sich die Lohnverhandlungen im Herbst normalerweise orientieren. Um diesen profitschonenden Ansatz mehr Gewicht zu verleihen, appellierte Wifo-Chef Felbermayr auch öffentlich an die Gewerkschaften, Lohnzurückhaltung zu üben, um „Wettbewerbsfähigkeit und Beschäftigung" nicht zu gefährden. Zudem machte das Wifo klar, dass die Basis für die Lohnverhandlungen sich „traditionell“ an der durchschnittlichen Jahresinflation und nicht an der tatsächlichen aktuellen Inflation orientiert– das wären derzeit um die 6%.

Was sind „traditionell“ die Lohnabschlüsse in Zeiten hoher Inflation? 1975 ist z.B. das Jahr, in dem die Inflation mit 8,4% das letzte Mal so hoch war wie jetzt. Wie stark stiegen in diesem Jahr die Monatslöhne in der Metallindustrie? Um 13,6% für die ArbeiterInnen und um 10,1% für die Angestellten. Das heißt, einem Arbeiter blieben am Ende des Monats real über 5% mehr in der Tasche – und das in dem Jahr, in dem zusätzlich noch die Wochenarbeitszeit von 42 auf 40 Stunden verkürzt wurde – also eine Arbeitszeitverkürzung mit mehr als vollem Lohnausgleich!

Die Verteidiger des Systems werden uns antworten, dass mittlerweile „andere Zeiten“ herrschen würden, was nur zeigt wie verrottet das kapitalistische System mittlerweile ist. Es hat uns nichts mehr zu bieten und wir tun deshalb gut daran, unser eigenes Leben ohne Rücksicht auf die herrschende Profitlogik zu verteidigen.

Für Klassenkampf statt Lohnverzicht

Der ÖGB rief am 8.6. zur bundesweiten „Preise runter“-Konferenz auf, an der letztendlich über 3000 Betriebsräte und Gewerkschaftsfunktionäre teilnahmen (wir berichteten). Das Problem wurde von den Gewerkschaftsführungen in ihren Reden gut dargestellt, aber die Lösungskompetenz wurde allein der Regierung oder gar den G7-Staaten zugesprochen. Es war also eine Lobbyveranstaltung im sozialpartnerschaftlichen Geiste, die Frage ob man die Löhne verteidigt, wurde nur knapp angerissen: „Wer glaubt, dass wir im Herbst Lohnabschlüsse unter Inflation machen, der lebt am Mond“, meinte ÖGB-Präsident Katzian.

Es lebt auch der am Mond, der glaubt, dies wahr zu machen, ohne dafür einen Kampf zu organisieren. Dies lässt sich nicht allein durch die Verhandlerteams bewerkstelligen und auch nicht durch die Zusammenkunft von Betriebsräten. Ohne die Kraft der Arbeiterinnen, Arbeiter und Angestellten in den Betrieben zu mobilisieren, werden die Bürgerlichen den Reallohnverlust leicht durchsetzen.

Für den gemeinsamen Kampf im Herbst

Im Herbst stehen die Auseinandersetzungen über eine ganze Reihe von zentralen Kollektivverträgen an. Die gebündelte Kraft schon allein der Beschäftigten in diesen Branchen könnte das Ruder herumreißen: Die mächtigen Metaller und Eisenbahner, die Angestellten im Handel (der Branche mit den meisten Beschäftigten in der Privatwirtschaft), dem privaten Sozialbereich (dessen Beschäftigte schon vor zwei Jahren Streikerfahrung gesammelt haben), den Brauern (ohne die bekanntlich nichts läuft), der öffentliche Dienst u.a.

Wenn diese Kraft gebündelt und zum Kampf organisiert wird, ist sie nicht nur unaufhaltsam, sondern kann auch zum mächtigen Anziehungspunkt für alle anderen ArbeiterInnen werden.

Die gestiegene Ausbeutung der letzten Pandemie-Jahre wiegen schwer. Die Inflation schafft die Notwendigkeit und auch die Bedingungen für einen verallgemeinerten Kampf. Ein solcher Ansatz braucht eine bundesweite offene Betriebsrätekonferenz, auf der ArbeiterInnen tatsächlich reden können und ein gemeinsamer Kampfplan und ein Programm diskutiert und demokratisch abgestimmt wird. Die Beschlüsse einer solchen Konferenz müssen für die Führung bindend sein. Die ArbeiterInnen müssen die Entscheidung über Kampfbeginn, Kampfende und Programm selbst in die Hand nehmen, um die volle Kraft mobilisieren zu können.

Für ein sozialistisches Programm gegen Teuerung und Kapitalismus

Es stellt sich in dieser schwierigen Situation automatisch auch die Frage eines breiteren Kampfzieles über unmittelbare Lohnerhöhungen hinaus. Die Vorschläge, die auf der Teuerungskonferenz von der ÖGB-Führung präsentiert wurden, lassen sich dabei als Versuch der effizienteren Verwaltung des österreichischen und internationalen Kapitalismus zusammenfassen: etwa die Forderung nach einem Käuferkartell der G7-Staaten auf dem Energiemarkt oder die Abschaffung des sogenannten Merit-Order-Prinzips bei der Strompreisbildung in der EU.

Es braucht tatsächlich Maßnahmen, die die Frage der Verteilung und der explodierenden Preise speziell von Gas und Strom lösen. Aber ein Appell an die kapitalistischen Regierungen der G7 und EU wird das nicht schaffen (und tatsächlich haben weder Biden noch Scholz auf den ÖGB reagiert). Denn letztendlich werden diese immer im Interesse der großen Konzerne handeln. Bei seinem Wienbesuch am 12.7. warb der deutsche Vizekanzler Habeck etwa dafür, dass die Versorgung der Großindustrie mit Gas Vorrang vor der Energieversorgung der Haushalte haben soll. Dies entspricht auch der Linie der SPD. Die Erpressungsfrage der Herrschenden: Arbeitslosigkeit oder Energieabschaltung zu Hause, darf nicht zur Spaltungsfrage der Arbeiterklasse werden, sondern muss von der Arbeiterbewegung selbst gelöst werden.

Die ArbeiterInnen in den Betrieben müssen also wie die Arbeiterbewegung als Ganzes in der Gesellschaft (über die Gewerkschaften und gewählte Delegierte aus den Betrieben) die Kontrolle über die Verteilung und Bepreisung von Gas, Strom und anderen lebenswichtigen Gütern übernehmen. Nur so kann verhindert werden, dass wir alle frieren oder arbeitslos werden, während die großen Konzerne über die gestiegenen Preise weiter Milliardenprofite einfahren. Und wenn sie das tun, müssen sie unter Kontrolle der ArbeiterInnen verstaatlicht werden.

An diesem Beispiel sieht man, dass es ein Programm braucht, das mit den „Sachzwängen“ des Kapitalismus Schluss macht, ein sozialistisches Programm, durch das die Arbeiterklasse die Möglichkeit bekommt, ihr Schicksal selbst in die Hand zu nehmen. Die Führung der Arbeiterbewegung muss endgültig mit der Ideologie von Sozialpartnerschaft und „nationalem Schulterschluss“ brechen – denn sie ist das größte Hindernis für einen erfolgreichen Kampf für die Erhaltung unserer Lebensbedingungen.

Daher:

  • Für eine demokratische Konferenz aller Betriebsräte und AktivistInnen im Herbst. Für volles Rederecht für alle TeilnehmerInnen und Abstimmungen über den Kampfplan für die Herbstlohnrunde!
  • Kein Abschluss unter der aktuellen, monatlichen Inflationsrate bei KV-Verhandlungen!
  • Für die Durchsetzung einer allgemeinen, automatischen Lohnanpassung an die Inflation durch einen General-Kollektivvertrag für alle Beschäftigten!
  • Für Preiskontrollen und die Kontrolle über die Produktion und Verteilung von Gas, Öl und Strom durch die Arbeiterklasse mittels der Gewerkschaften und Betriebsräte!
  • Die Inflationsprofiteure haben genug verdient: Für die entschädigungslose Enteignung der Banken und großen Energiekonzerne!
  • Für die volle Mobilisierung der Arbeiterklasse im Kampf gegen die Teuerung! Jetzt muss systematisch ein gemeinsamer Kampf aller Sparten und Betriebe im Herbst vorbereitet werden!

(Funke Nr. 205/13.7.2022)


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