Trotz hoher Kampfbereitschaft gab es im Sozialwirtschaft-Österreich-Kollektivvertrag (SWÖ) ohne Streiks einen Abschluss. Mehrere Betriebe organisieren nun Urabstimmungen „von unten“.

 Die Kampfbereitschaft unter den Beschäftigten im privaten Gesundheits- und Sozialbereich war hoch. Weit über 3000 Beschäftigte gingen am 8.11. in Wien auf die Straße und es schallte: „Wir sind streikbereit“ durch den Demozug. In einigen Betrieben fanden bereits erste Warnstreiks statt (und das obwohl es keine Streikfondsfreigabe durch den ÖGB gab) und es kam durch längere Betriebsversammlungen zu „de-facto Streiks“, die beispielsweise dazu führten, dass die Nachmittagsbetreuung an Schulen ausgefallen ist. Überall wurden Streikbeschlüsse gefällt.

Eine Reihe aktiver Betriebsräte und AktivistInnen in Wien setzen sich seit einigen Jahren für eine kämpferische Gewerkschaftspolitik ein. Dieser Sektor bestimmte die große Demonstration und gab damit den Beschäftigten das Werkzeug, ihre eigenen Bedürfnisse und Forderungen auf die Straße zu tragen, was hunderte auch mit selbstgemalten Schildern und Rufen taten. Doch die Selbstbestimmung über den Arbeitskampf erstreckte sich nicht auf die Verhandlungen, die letztendlich ganz im Sinne der Arbeitgeber verliefen.

Obwohl sich viele bereits auf längere Auseinandersetzungen eingestellt hatten, wurde der SWÖ (Sozialwirtschaft)-Kollektivvertrag in der 4. Verhandlungsrunde am 16. November mitten in der Nacht abgeschlossen. Die Gewerkschaften GPA und vida loben sich öffentlich zum gelungenen Abschluss, der mit bis zu +10,2% deutlich über der Inflation wäre. Bei genauerem Hinsehen bleibt für die Beschäftigten aber eigentlich nicht viel mehr über als ein weiteres Einzementieren von Reallohnverlusten, Personalknappheit und Überbelastung.

Der schnelle Abschluss, noch lange bevor der Kollektivvertrag am 1.1.2023 dann wirklich in Kraft tritt, ist also eine vertane Chance. Und auch die Möglichkeit, mit anderen Branchen solidarisch zu kämpfen, ist somit vertan. Denn Ende November streikten sowohl die Eisenbahner, als auch die Brauereien und die Ordensspitäler. Diese Kämpfe gemeinsam zu führen und zu verbinden wäre eigentlich Aufgabe der Gewerkschaften. Das hätte die Möglichkeit geboten, den Druck nochmal deutlicher zu erhöhen und echte Verbesserungen zu erwirken. Fast ein Drittel des Verhandlungsteams stimmte gegen den Abschluss – doch die sozialpartnerschaftliche Logik setzte sich durch und wirkt als Bremse für die Beschäftigten dabei, für ihre Anliegen zu kämpfen.

Der Abschluss im Detail

Zwar gibt es kleine Verbesserungen für einige wenige Bereiche (Verwendungsgruppe 8 für offene Jugendarbeit der vollen Erziehung, lineare Umstufung bei fertig absolvierter Ausbildung), aber der Abschluss gleicht keinesfalls die Verluste des letzten 3-Jahres-KV-Abschluss aus, von Verbesserungen gar nicht zu sprechen. Denn +10,2% bekommt nur die untere Verwendungsgruppe, bei der dieser Prozentbetrag durch die Mindesterhöhung von 175€ Brutto bei Vollzeit entsteht. Bei den meisten der 130.000 Beschäftigten bleibt es bei +8% – angesichts der hohen Inflation ein Reallohnverlust. Außerdem liegt der Abschluss nur minimal über dem ersten Angebot der Arbeitgeber, dafür aber nur bei der Hälfte dessen, was das Verhandlungsteam vorab als Forderung festgelegt hatte.

Auch die Forderung nach mehr Anrechnung von (nicht facheinschlägigen) Vordienstzeiten wurde auf ein Minimum reduziert und es bleibt real nur ein weiteres anrechenbares Jahr. Gleichzeitig bleibt die Deckelung auf 10 Jahre bestehen, was dazu führt, dass MitarbeiterInnen mit viel Berufserfahrung bei einem Wechsel plötzlich schlechter verdienen. Die Forderung nach einer 35-Stunden-Woche bei vollem Lohn- und Personalausgleich wurde in den Verhandlungen überhaupt kaum erwähnt, obwohl sie für viele Beschäftigte weiterhin ein zentrales Anliegen ist. Die wichtigste Lehre dieses Herbstes ist abermals: Wir brauchen Kontrolle über unsere Arbeitsbedingungen und unser Leben – und dafür über unsere Gewerkschaften.

Nein zu diesem Abschluss – Urabstimmung jetzt!

Um vorschnelle Abschlüsse zu verhindern und den Beschäftigten die Möglichkeit zu geben auch wirklich für ihre Anliegen zu kämpfen, braucht es Urabstimmungen über die Verhandlungsergebnisse bevor ein Kollektivvertrag unterschrieben wird.

Eine Urabstimmung gibt nicht nur den Beschäftigten mehr Kontrolle über ihre Arbeitskämpfe, sie stärkt auch das Verhandlungsteam. Leider ist die Gewerkschaftsführung im SWÖ nicht bereit, eine solche Urabstimmung zu machen, auch wenn es zumindest aus Wien bereits aufrechte Beschlüsse dazu gibt. Daher müssen wir auch heuer wieder auf selbstorganisierte Urabstimmungen zurückgreifen um zu zeigen, wie die Beschäftigten den Abschluss sehen. Solche selbstorganisierten Urabstimmungen von unten fanden bereits nach dem Abschluss 2020 statt und zeigten damals ein sehr eindeutiges Bild gegen diesen. Heuer wollen wir diese Abstimmungen ausweiten und mehr Betriebe miteinbeziehen. Wir wollen uns nicht mundtot machen lassen oder darauf warten, dass uns jemand erlaubt mitzureden. Mehr Gewerkschaftsdemokratie ist unbedingt notwendig – doch sie muss verknüpft werden mit einem weiterreichenden, sozialistischen Kampfprogramm für die Arbeiterbewegung.

  • Nein zu diesem Abschluss – er ist ungenügend für die Bedürfnisse der Beschäftigten!
  • Organisieren wir uns von unten, holen wir uns die Kontrolle über unsere Arbeitskämpfe und damit auch über unsere Lebens- und Arbeitsbedingungen zurück!

Von Sarah Ott, Funke-Aktivistin und Betriebsrätin beim Verein LOK – Leben ohne Krankenhaus.

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(Funke Nr. 209/6.12.2022)


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