Am 30.6. legten die Ärzte der zentralen Notaufnahme der städtischen Klinik Ottakring eine Stunde lang die Arbeit nieder. Hunderte Beschäftigte anderer Berufsgruppen und Abteilungen zeigten sich solidarisch.
Der letzte Winter war ein Katastrophenwinter und einer zu viel. Zwar ist die angespannte Situation in den Spitälern und Pflegeeinrichtungen ständig Thema der öffentlichen Debatte, aber jetzt ist klar, das schafft keine Abhilfe.
Die „Pflegereform 2022“ wurde von den Gewerkschaftsführungen als Erfolg gewertet. Übergreifende Mobilisierungen wurden seither eingestellt und die gemeinsame Plattform „Offensive Gesundheit“ eingestampft. Einmalige Boni-Zahlungen und eine weitere Hierarchisierung der Pflege (ab Herbst startet zusätzlich die Pflegelehre) sind aber keine Lösung. Es muss schlicht mehr Geld ins öffentliche Gesundheitssystem, um die Standards wieder zu erhöhen und die Arbeit erträglich zu machen.
Der Normalbetrieb im Pflegeheim und im Krankenhaus wird stattdessen als ständiger Notbetrieb organisiert. Es gibt keine Dienstplansicherheit und viele Überstunden, medizinische und pflegerische Standards können oft nicht eingehalten werden, was durch Gefährdungsanzeigen ausreichend dokumentiert ist. Es fehlt ständig an Personal. Dies ist ein Teufelskreis, weil die Verweildauer der Beschäftigten im Beruf aufgrund dieser Umstände sinkt. Man kann die Arbeit schlicht nicht leisten, ohne selbst dabei krank zu werden.
Sich kollektiv zu wehren, ist allein daher ein Akt der Verantwortung, für Patienten und das Gesundheitssystem. Diesen Weg gegangen ist das Ärzteteam der Zentralen Notaufnahme der Klink Ottakring. Sie formulierten Forderungen an den Arbeitgeber, die Stadt Wien, zu Löhnen, Prämien und technischer Ausstattung und bildeten ein Streikkomitee zur Vorbereitung des Arbeitskampfes.
Younion: auf der Seite des Arbeitgebers
Rechtliche und logistische Unterstützung erhielt das Streikkomitee von der Ärztekammer (ÄK). Dies ist politisch fraglich, da die ÄK selbst in einer tiefen Krise steckt und in sich widersprüchliche und auch reaktionäre Interessen vertritt (etwa jene selbstständiger Ärzte die von der öffentlichen Unterversorgung profitieren und dieses Geschäftsfeld ausbauen wollen). Das ärztliche Streikkomitee der ZNA in der Klink Ottakring formulierte jedenfalls ein Forderungsprogramm, das keine wie auch immer gelagerten Forderungen enthielt, die den schleichenden Privatisierungsprozess der öffentlichen Gesundheitsvorsorge vorantreiben würde. Dafür steht auch die Sprecherin des Streikkomittees, Aglaia Kotal politisch glaubhaft. Die Notfallärztin ist auch Bezirksrätin der SPÖ Hernals.
Auch die Mehrheit der Personalvertretung an der Klinik Ottakring und der Hauptgruppe 2 der eigentlich zuständigen Gewerkschaft younion wird von der Fraktion Sozialdemokratischer Gewerkschafter (FSG) gestellt. Diese KollegInnen stellten sich öffentlich ganz und gar auf die Seite des Arbeitgebers, der Stadt Wien. Um den Arbeitskampf zu behindern, wurde Druck auf die Streikleitung ausgeübt und gemeinsam mit der Kollegialen Führung der Klinik Ottakring alles Mögliche getan um eine wachsende Solidarisierung in anderen Abteilungen und Berufsgruppen des Spitals zu unterbinden.
„Wir verhandeln zielorientierte Lösungen für alle – ohne Zwischenrufe von außen“ lautet dafür die Argumentation der FSG. KollegInnen berichten sogar davon, dass von der Führungsebene aktiv auf sie mit der Drohung von dienstrechtlichen Konsequenzen Druck ausgeübt wurde, sich nicht zu solidarisieren oder den Warnstreik zu besuchen. Offensichtlich glauben die KollegInnen von der FSG, dass sie den Arbeitgeber, die SPÖ Wien, dadurch beeindrucken können, dass sie den Deckel auf dem Druckkochtopf Krankenhaus fest draufhalten können. Dies entspricht der sozialpartnerschaftlichen Tradition der Bewegung. Der Umstand, dass Gewerkschaftschef Christian Meidlinger gleichzeitig 2. Wiener Landtagspräsident ist, hilft sicher auch nicht dabei genau zu verorten auf welcher Seite man als Gewerkschaft zu stehen hat. Aber das Problem ist: die Krise ist so tief, dass die Beschäftigten nicht mehr warten können. Tiefe Probleme verlangen neue, radikale Lösungsansätze.
Dies bewahrheitete sich in der Praxis. Die Leitung des Spitals musste der Stimmung in der Belegschaft nachgeben und stellte es allen Beschäftigten schlussendlich frei, sich außerhalb ihrer Arbeitszeit solidarisch zu den KollegInnen der ZNA zu zeigen. Allein die Führung der younion stellte sich bis zuletzt öffentlich gegen die Streikenden, die über 100 KollegInnen aller Berufsgruppen am Spital, die sich mit ihnen aktiv solidarisierten und der positiven Stimmung unter fast allen Beschäftigten. Viele kamen in ihrer Freizeit, andere organisieren die Arbeit in der Abteilung in dieser Stunde so auf, dass sie eine Delegation zum Arbeitskampf entsenden konnten, andere winkten aus dem Fenster.
Solidarität – mehr als ein Slogan
AktivistInnen von Der Funke und der Liste Solidarität in der Personalvertretung der Klinik Ottakring warben im Spital genau für diese Haltung. Wir knüpften Kontakte mit der Streikleitung, traten offen gegen die spalterische Politik der Gewerkschaftsführung auf und gingen mehrmals durch die Stationen um KollegInnen zu ermuntern, den Streik aktiv zu unterstützen. Dazu produzierten wir auch ein eigens Flugblatt. Der Ärztestreik ist ein Schritt vorwärts, unser Ziel bleibt es, die Streikfähigkeit auf das gesamte Spital und alle Berufsgruppen auszuweiten. Die Kontrolle über den Arbeitskampf und den politischen Prozess, der dadurch ausgelöst wird, sind uns wichtig. Wir stehen für eine Gewerkschaft ausschließlich im Dienste und unter völliger Kontrolle ihrer Mitglieder. Ohne uns geht nichts. Wir tragen täglich das Gesundheitssystem, organisieren die Dienste, leisten Schwerstarbeit. Damit es besser wird, muss man weiter mit der Kraft der Solidarität rechnen.
Emanuel Tomaselli schrieb den Artikel auf Basis von Berichten der involvierten Akteure der Klinik Ottakring.
(Funke Nr. 215/05.07.2023)