Am 7.6. fanden in der Türkei Parlamentswahlen statt. Eine Analyse der Wahl von Emre Acarbas und Martin Gutlederer.


Lange und mit vielen Zwischenfälle, die Wahlbetrug mehr als nur nahelegen gingen die türkischen Parlamentswahlen spät in der Nacht am 8.6. mit der vollständigen Auszählung zu Ende. Die Adalet ve Kalkınma Partisi (AKP) verlor mit 40,8% nicht nur jede Hoffnung eine 2/3 Mehrheit zu erreichen, sondern auch ihre absolute Mehrheit und muss nun erstmals eine Koalition bilden. Hinter ihr liegen die Cumhuriyet Halk Partisi (CHP) mit 25,0%, die Milliyetçi Hareket Partisi (MPH) 16,3% und die HDP mit 13,1%.

Größter Wahlverlierer ist damit wohl die konservativ-islamische und autoritäre AKP mit einem Minus von 9% und dem Verlust einer absoluten Mehrheit. Leichte Verluste hat auch die kemalistische CHP hinnehmen müssen (-1%). Hinzugewonnen hat die rechtsextreme MHP (+3,3%) und die HDP konnte mit fulminanten 13,1% erstmals die aus der Militärdiktatur geerbte 10%-Hürde überspringen und hat es damit erreicht, dass es erstmals eine konsequente linke Alternative im türkischen Parlament gibt.

Dieses Ergebnis ist vor allem vor dem Hintergrund von 3 Prozessen zu interpretieren:

  1. Auch die bislang stark wachsende Wirtschaft leidet unter der anhaltenden Krise des Kapitalismus und die AKP war nicht mehr in wie früher in der Lage Bauprojekte und finanzielle Unterstützung zu verwenden um sich die Gunst der Bevölkerung zu kaufen. Gleichzeitig führt die sich zuspitzende wirtschaftliche Lage zu einer Verschärfung des Klassenkampfes, wie sich bei verschiedenen Streiks in der jüngeren Vergangenheit gezeigt hat. Sinnbildlich dürfte dafür das Bergwerksunglück in Soma sein, bei dem 301 Bergarbeiter starben. Das zeigt mit welcher Kälte und Zynismus die Herrschenden der Türkei die arbeitenden Massen ausbeuten. Nicht umsonst lautete der Protestruf hier: "Es war kein Unfall, sondern Mord.

  2. Die Proteste rund um den Gezi-Park zeigten den türkischen Massen einerseits ihrer Kraft, andererseits auch ihre Schwäche, wenn sie nicht gemeinsam und koordiniert vorgehen. Es war ein erstes Erwachen der türkischen Massen nach langer Zeit der Repression und Zersplitterung. Der heldhafte Widerstand zwang den türkischen Staat mit voller Härte zuzuschlagen und entlarvte die Herrschenden vollends.

  3. Der Kampf um Kobane wurde zum neuen Startpunkt eines neu erwachten kurdischen Selbstbewusstseins und Kampfbereitschaft. Der heldenhafte Sieg über die Schlächter des IS strahlte weit über die syrischen Grenzen hinaus. Um einen Aktivisten der türkischen Organisation Başlangıç (Interview durch das Lower Class Magazine) zu zitieren: "Der Kampf um Kobane hatte erst einmal den Effekt, dass große Teile der Linken, die bis dahin der kurdischen Befreiungsbewegung nicht nahe standen, nun näher an diese heranrückten. Hervorzuheben ist allerdings, dass z.B. die Halkevleri ‚Volkshäuser‘ (HE), die traditionell eher distanziert zur kurdischen Befreiungsbewegung waren, nun öffentlich dazu aufrufen, die HDP zu wählen. Diejenigen Teile der sozialistischen Linken, die sowieso schon mit der kurdischen Befreiungsbewegung sympathisierten, haben ihre Solidarität vertieft. Ansonsten hat Kobane natürlich eine große Einwirkung bei den Aleviten und Kurden gehabt, insbesondere was die anstehenden Wahlen angeht."

Vor diesem Hintergrund gelang es der HDP nicht nur den kurdischen Befreiungskampf und die unterdrückte Bevölkerung der kurdischen Gebiete zu vertreten, sondern auch auf die türkische ArbeiterInnenklasse, AlevitInnen, ArmenierInnen und die Linke auszustrahlen, was sich in einem Platz 3 in Istanbul bei den Wahlen zeigte und manifestierte. Auch in Städten wie Adana, Gaziantep, Antalya konnte die HDP gute Ergebnisse erzielen. Selbst in Ankara erreichte man mehr als 4%. Dies zeigt, dass es der HDP gelungen ist über kurdische Bevölkerungsteile hinauszuwirken. Sie hat einen Anknüpfungspunkt für viele Bewegungen geschaffen, der die fortgeschrittensten Teile der ArbeiterInnenklasse aller Völker und Religionen in der Türkei vereinigen kann, trotz staatlicher Repressionen und Terror durch faschistische Banden.

Zwar konnte man im Westen des Landes in Städten und Regionen wie Izmir und Edirne kaum Fuß fassen, doch es sind gute Ansatzpunkte da, dass auch hier die HDP die vermeintlich linke und progressive Partei CHP als Starke Kraft ablösen kann. Eine offensive Unterstützung der wieder erwachenden Bewegung der ArbeiterInnen in diesen Landesteilen, wie etwa des sehr radikal geführten Metallarbeiterstreiks, ist dafür zentral. Gerade die AlevitInnen, die bisher der kemalistischen CHP ihre Stimmen gaben,finden in der HDP oft eine Wahlalternative. Die türkische ArbeiterInnenklasse wird sich nur befreien können, wenn sie sich von den oft links und fortschrittlich auftretenden, in Wirklichkeit aber rückschrittlichen und nationalistischen Ideen und Parteien des Kemalismus löst und gemeinsam mit den Minderheiten des Landes die Fesseln des Kapitals gemeinsam abstreift und eine neue Ära des Zusammenlebens einläuten wird. Die HDP hat den ersten Schritt auf diesem Weg getan. Sie versteht sich nicht als Nationalitätenpartei, sondern als gesamttürkische, alle Völker und Religionen umfassende Partei und Bewegung.

Die HDP ist auf einem guten Weg der Befreiung der Massen der Türkei. Will sie jedoch auf diesem Weg weiterhin und dauerhaft erfolgreich sein wird es notwendig sich ein marxistisches Programm und Verständnis der Situation anzueignen um die Herrschaft des Kapitals und Imperialismus endgültig zu brechen.

Wir möchten und werden diesen Prozess in Österreich dadurch unterstützen, dass wir der kurdischen, alevitischen, armenischen und türkischen Linke in Österreich die Hand zum gemeinsamen Kampf reichen. Es genügt nicht nur mit der Bewegung in der "alten Heimat" solidarisch zu sein und sie zu unterstützen. Der Feind steht überall: Nicht nur in der Türkei, sondern auch in Österreich rüsten sich die Rechtsextremen zum Kampf gegen die ArbeiterInnenklasse und das Kapital geht gegen den Lebensstandard der Massen vor. Als Linke haben wir auch in Österreich mit den Grauen Wölfen und ihrer menschenverachtenden Ideologie zu tun, die sogar von Parteien wie der SPÖ und den Grünen geduldet wird. Ebenso werden Pegida, die Identitären und andere österreichische Faschisten immer offensiver. Die Herrschenden greifen derweil immer dreister die Errungenschaften der ArbeiterInnenbewegung und unseren Lebensstandard an. Diesen Entwicklungen müssen wir uns zusammen entgegenstellen. Es muss Schluss sein mit der Marginalisierung und Ausgrenzung der migrantischen Teile der ArbeiterInnenklasse, die die SPÖ und Gewerkschaften seit Jahrzehnten betrieben haben.Die Internationale Marxistische Tendenz (IMT) in Österreich organisiert als die marxistische Strömung "Der Funke", arbeitet am Aufbau einer revolutionären Alternative in Österreich, der Türkei und dem Rest der Welt. Schließ dich unserem Kampf an, egal woher du kommst! Gemeinsam werden wir die Welt aus den Angeln heben und "alle Verhältnisse umzuwerfen, in denen der Mensch ein erniedrigtes, ein geknechtetes, ein verlassenes, ein verächtliches Wesen ist." - Karl Marx.


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