Warum die Massen wieder zurück auf der Straße sind und gegen das korrupte System kämpfen analysiert Stefan Wagner.

Nach dem Tod des Fischverkäufers Mouhcine Fikri in Al-Hoceima gingen letztes Oktoberwochenende zehntausende Menschen auf die Straße. Fikri wurde von der Müllpresse eines Müllwagens zerquetscht, als er seinen (illegal gefangenen) Schwertfisch retten wollte. Obwohl die Regierung von einem Unfall spricht, so gehen die Menschen in Marokko davon aus, dass er absichtlich getötet wurde – es gibt Augenzeugenberichte, die behaupten, dass die Polizisten dem Fahrer zuriefen, er solle die Müllpresse anwerfen. Im Internet wurden sofort unter den Hashtags „Wir alle sind Mouhcine Fikri“ und „Zerquetscht ihn“ Solidarität bekundet. Die Leute demonstrierten damit gegen Polizeiwillkür und gegen „Hogra“, was so viel bedeutet wie die Gefühle von Missbrauch und Ungerechtigkeit seitens des Staates. Nicht nur in Al-Hoceima sondern auch in Casablanca, Rabat und anderen Städten kam es zu Massendemonstrationen. Der Vergleich mit dem Gemüsehändler Mohamed Bouazizi liegt nahe, der sich 2010 in Tunesien wegen Polizeiwillkür selbst verbrannte und damit die Proteste auslöste, die den Arabischen Frühling einläuteten. Auch in Marokko gab es damals große Proteste rund um die Bewegung F20 (für die erste Demonstration am 20.02.2012) Im Gegensatz zu Tunesien und Ägypten konnte sich der Despot König Mohamed VI. aber halten, indem er eine Scheinabstimmung über eine veränderte Verfassung durchführte, in der er eine unglaubwürdig hohe Zustimmung von 98,74% erreichte. Die neue Verfassung, von der sich viele eine Demokratisierung des Landes erhofften, zementierte aber vielmehr die Allmacht des Königs. Zudem wurden Finanzmittel für den Sozialbereich frei gemacht, die zwar nicht mehr waren als ein Tropfen auf dem heißen Stein, aber gemeinsam mit der Verfassungsänderung ausreichten, um der Massenbewegung den Wind aus den Segeln zu nehmen.

Doch eine Verbesserung gibt es bis heute nicht. Am Anfang des Jahres gab es großen Widerstand seitens der LehrerInnen, die über 100.000 Leute auf die Straße brachten. Schon während des Arabischen Frühlings und bis heute gibt es seitens der bürgerlichen Presse die Behauptung, dass Marokko eine Ausnahme sei, was aber natürlich ein Mythos ist. Die marokkanische Arbeiterklasse hat eine lange Tradition von Kämpfen, die zum Beispiel in den Jahren 1958, 1965, 1981, 1984 und 1991 zu Volksaufständen wurden. Und seit dem Arabischen Frühling gab es Streiks und Besetzungen seitens der Bergarbeiter, der ArbeiterInnen im Energiesektor als auch der Studierenden, der SchülerInnen und eigene Frauenproteste. Der König und sein ganzes korruptes Regime fürchten die eigene Bevölkerung, da diese die Angst vor ihnen verloren hat. Da kommt es nicht gerade gelegen, dass vom 7. bis 18. November die UN-Klimakonferenz in Marrakesch stattfindet. Man befürchtet, dass die Bewegung die internationale Aufmerksamkeit nutzen wird, ähnlich der brasilianischen Bevölkerung während des Confederation Cup. Es herrscht eine Gemengelage aus verschiedenen sozialen und gesellschaftlichen Unterdrückungen, die von den vorhandenen Parteien nicht gelöst werden kann. Marokko ist auf einer neuen Stufe angekommen, die Massen müssen wieder den revolutionären Geist aus dem Jahr 2011/2012 gegen das Regime in Stellung bringen, um die einzig wirkliche Revolution durchzuführen: eine sozialistische Revolution.


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