Südafrika. Der Mord an Sindiso Magaqa, dem ehemaligen Generalsekretär der African National Congress Youth League (ANCYL), ist mit den schweren Konflikten innerhalb des ANC verbunden und spiegelt die Krise der Partei besonders drastisch wider. Mario Wassilikos berichtet.
Sindiso Magaqa und zwei seiner Genossen wurden im Juli in der Stadt Umzimkhulu in einem Auto angeschossen, als sie vor einem kleinen Lebensmittelgeschäft hielten. Wie durch ein Wunder überlebten sie. Magaqa erholte sich im Krankenhaus von seinen Schussverletzungen. Aber plötzlich klagte er über Bauchschmerzen und verstarb am 4. September. Es besteht der Verdacht, dass er mit Gift ermordet wurde.
Radikalisierung der Jugend
Magaqas Tod führte zu Schock, Empörung und Wut in ganz Südafrika. Das ist mit seiner Rolle im Aufschwung des Klassenkampfes und der massiven Radikalisierung der Jugend ab 2009 verbunden. Die schwere Krise des Kapitalismus führte zu einem enormen Anstieg von Streiks und Massenprotesten nach der damaligen Parlamentswahl. Dieser Druck der Massen bewirkte einen scharfen Linksschwenk in vielen Orts- und Regionalgruppen des ANC. Ein klarer Ausdruck davon war die antikapitalistische Linie des ANCYL, der ANC-Jugendorganisation. Magaqa spielte dabei als ANCYL-Generalsekretär eine zentrale Rolle. Er und seine AnhängerInnen vertraten das Programm „Wirtschaftlicher Frieden in unserer Lebenszeit“, das 2011 auf dem 24. nationalen Kongress des ANCYL mit überwältigender Mehrheit angenommen wurde. Es forderte die Enteignung der Großgrundbesitzer – ohne Entschädigung – sowie die Verstaatlichung des Rohstoffabbaus, der Großunternehmen und der Konzerne. Auf Basis dieser Forderungen organisierte die damalige ANCYL-Führung sogenannte „Märsche für Wirtschaftsfrieden“, an denen zehntausende Jugendliche und GewerkschaftsaktivistInnen teilnahmen. Diese starke Aktivität der Massen, verbunden mit sozialistischen Ideen, machte die herrschende Klasse zunehmend nervös.
Fragmentierung des ANC
Jacob Zuma (seit 2007 Vorsitzender des ANC, seit 2009 Präsident Südafrikas) – mit Unterstützung des linken Flügels an die Macht gekommen – geriet immer mehr unter den Druck der Bourgeoisie, den Linksschwenk der Partei zu stoppen und die Massen zu mäßigen. Dabei spielte die mit dem ANC koalierende Südafrikanische Kommunistische Partei (SACP) eine äußerst unrühmliche Rolle. Genauso wie die ANC-Führung hatten ihre führenden Funktionäre es sich seit dem Ende der Apartheid im Jahr 1994 im Staatsapparat gemütlich gemacht und hatten daher kein Interesse an einer sozialistischen Revolution. Gemeinsam mit den ANC-Führern starteten sie einen Angriff auf die revolutionäre Jugend und die Gewerkschaftslinke. Mit der Aussicht auf gut bezahlte Posten in Staat und Regierung korrumpierten sie deren Führung, die sie als linke Feigenblätter für eine offen prokapitalistische Politik benötigten. Diejenigen, die sich nicht bestechen ließen, wurden mit bürokratischen Manövern ausgeschaltet. Der Druck auf Magaqa und die ANCYL-Führung wurde mit dem Rechtsschwenk des ANC seit der nationalen Konferenz im Jahr 2012 noch heftiger. Ihre Isolation in der Partei nahm immer mehr zu.
Schließlich kam es zu einer antilinken Säuberungswelle. Ausgeschlossene wie Julius Malema und Floyd Shivambu gründeten die Linkspartei Economic Freedom Fighters (EFF), während andere politisch inaktiv wurden. Magaqa blieb trotz eines einjährigen Funktionsverbots – den Ausschluss des beliebten Gesichts einer politisch erwachten Jugend wagte man nicht – im ANC. Er glaubte noch immer, dass die Partei für ein radikales linkes Programm gewonnen werden könnte, und bat die Führung, Malema wieder aufzunehmen. Doch er sollte sich täuschen.
Mit dem Hinausdrängen der führenden Teile der Parteilinken, die für eine ehrliche Politik im Sinne der Arbeiterklasse und der Jugend stehen, eroberten im ANC KarrieristInnen, OpportunistInnen und UnternehmervertreterInnen die Macht. Für sie ist der Parteiapparat nur ein Mittel zur Durchsetzung ihrer eigenen materiellen Interessen. Der zentrale Ausdruck dafür ist auf der nationalen Ebene der offene Krieg zwischen zwei rivalisierenden Lagern – der Zuma-Fraktion, unterstützt von der mächtigen indisch-südafrikanischen Gupta-Dynastie, und der Gruppe rund um den Unternehmer und Vizepräsidenten Südafrikas Cyril Ramaphosa. Beide vertreten unterschiedliche Interessen der herrschenden Klasse.
Auch die Regional- und Ortsorganisationen sind zerrissen. Dort kämpfen verschiedene lokale und nationale Cliquen um die materiellen Ressourcen der Partei – verschärft durch die empfindlichen Verluste in den Regionalwahlen im August 2016. Mittlerweile ist der Konflikt schon so brutal, dass politisch motivierte Attentate durchgeführt werden – oft sogar von beauftragten Profikillern. Kwazulu-Natal, die Heimatprovinz Magaqas, ist das Epizentrum dieser Auftragsmorde. Dort sind seit den Kommunalwahlen im Vorjahr mehr als ein Dutzend führende ANC-Funktionäre ermordet worden. Magaqa ist das jüngste Opfer dieses internen Parteikriegs. Als Gemeinderat von Umzimkhulu war er knapp davor, einen Korruptionsskandal rund um die Errichtung einer örtlichen Stadthalle aufzudecken. Das und seine linke Politik dürften ihn für die lokale Parteiführung zu lästig gemacht haben.
Der Fall Magaqa verdeutlicht wie kaputt der ANC ist. Die komplett destabilisierte Partei zerfällt von der nationalen bis zur kleinsten lokalen Ebene. Das Massaker von Marikana (Tötung von 34 Bergarbeitern während des Streiks 2012 durch die Polizei), die nicht enden wollenden Korruptionsskandale, die internen Machtkämpfe und der Angriff auf den Lebensstandard der Bevölkerungsmehrheit zugunsten der Bosse diskreditieren die ehemalige Befreiungsbewegung in den Augen der Arbeiterklasse und der Jugend immer mehr. Zum ersten Mal seit den 1950er Jahren sind schon jetzt große Teile von ihnen außerhalb des ANC und seiner Verbündeten (SACP, Gewerkschaftsverband COSATU) organisiert – vor allem in den EFF (ca. 527.000 Mitglieder) und im Gewerkschaftsverband SAFTU (ca. 700.000 Mitglieder). Ist die moralische Autorität der Partei einmal endgültig zusammengebrochen, gibt es nichts mehr, was die Massen aufhalten kann – ein Alptraum für die Bourgeoisie, eine neue Chance für die Ausgebeuteten und Unterdrückten.