Die Verhandlungen zwischen dem Militärischen Übergangsrat und Vertretern der revolutionären Bewegung im Sudan sind beendet worden. Es ist Zeit für eine Offensive der sudanesischen ArbeiterInnen.
Konfrontiert mit einer mächtigen revolutionären Bewegung, die seit Dezember letzten Jahres das Land erschütterte, intervenierte die Militärführung im Sudan und entfernte am 11. April 2019 den Ex-Präsidenten Omar al-Baschir. Sie übernahm die Kontrolle über die Regierung, bildete den Militärischen Übergangsrat und versprach, in einigen Jahren Wahlen abzuhalten. Der organisierteste Teil der Bewegung, die „Declaration of Freedom and Change“ (DFC), deren wichtigster Teil der Gewerkschaftsbund Sudanese Professionals Association (SPA) ist, trat daraufhin in Verhandlungen mit dem Militärrat über die Zusammensetzung der zukünftigen Regierung. Sie forderte den Militärrat auf, die Macht aufzugeben – obwohl sie ihn als einen Teil der zukünftigen Regierung sehr wohl akzeptiert. Am Schluss stand ein Deal in Aussicht, der Wahlen in drei (!) Jahren vorsehen würde.
Dem Militärrat in irgendeiner Art Vertrauen zu schenken ist ein schwerer Fehler. Diese Militärs sind Kriminelle und Mörder, die seit Jahrzehnten an der brutalen Unterdrückung der sudanesischen Massen teilhaben. Jeder Einzelne von ihnen sollte – genauso wie al-Baschir – zur Rechenschaft gezogen werden.
Provokationen und Manöver
Der Militärrat hat die Verhandlungen genutzt, um die Protestführer zappeln zu lassen und gleichzeitig ein hartes Durchgreifen gegen die Massen auf den Straßen vorzubereiten. Vor einigen Tagen wurden (während der Verhandlungen) Proteste in Khartum von unbekannten Angreifern attackiert und vier Menschen getötet. Die Militärs haben nichts unternommen und sprachen schlicht von „Selbstjustiz“.
Seitdem hat sich die Gewalt gegen die Protestierenden verstärkt. Einige Militäreinheiten versuchten, die Barrikaden zu räumen und eröffneten das Feuer. All das hat die Proteste nur weiter anschwellen lassen, da die Menschen die Manöver der Militärs durchschauen. Sie fühlen sich stark genug, zu kämpfen und wissen, dass ein friedlicher Übergang nie möglich sein wird, solang die Militärführer involviert sind.
Zeit für eine Offensive
Die Führung der Bewegung hat mit einem Aufruf zur Verstärkung der Proteste reagiert. Sie rief ausgesprochen zögerlich und ohne einem genauen Datum zu zivilem Ungehorsam und zu Vorbereitungen für einen Generalstreik auf. Nichtsdestotrotz reagierten die Massen und gingen auf die Straße. Dutzende Arbeiterorganisationen sagten Unterstützung für den Streik zu: vom Gesundheitsbereich über Regierungsangestellte bis zu Verkehrs-, Hafen- und FlughafenarbeiterInnen. Am 28. und 29. Mai fand dieser Streik dann auch tatsächlich statt und legte das ganze Land lahm.
Generalleutnant Mohamed Hamdan „Hemeti“, der zunächst angab, auf der Seite der Protestierenden zu stehen, kündigte jedem streikenden Regierungsangestellten an, dass er gar nicht mehr daran zu denken brauche, zur Arbeit zurückzukehren. Hemeti ist stellvertretender Vorsitzender des Militärrates und Kommandeur der brutalen Stammesmiliz Rapid Support Forces, früher Baschirs persönliche Miliz. Doch die Massen haben ihre Furcht verloren. Viele Arbeiterinnen und Arbeiter haben ihm mit Bannern geantwortet, die Hemeti auffordern, persönlich zu kommen und zu versuchen sie zu entlassen.
Es waren die Massenbewegung und die kämpferische Stimmung, nicht die Verhandlungen, die im letzten Monat die Armee gespalten und al-Baschir gestürzt haben. Eine ähnliche Bewegung kann auch den Militärrat besiegen, aber dazu muss sie auf einer höheren Ebene organisiert sein.
Alle Macht der Arbeiterklasse
Die Bewegung braucht jetzt eine klare Organisation und Stoßrichtung. Im ganzen Land haben sich schon Protestkomitees in Betrieben, in Dörfern, Vierteln und Städten gebildet. Es wäre nicht schwierig, sie zu einem nationalen Netzwerk zusammenzuschließen, das den Generalstreik anleitet. Gleichzeitig sollte die Bewegung eine politische Kampagne in den Streitkräften durchführen, um die einfachen Soldaten zu organisieren, deren Mehrheit auf der Seite der Revolution steht.
Die Führung der Bewegung darf keine Zeit mehr damit verschwenden, Deals mit diesen Tyrannen auszuverhandeln. Es ist notwendig, das Baschir-Regime bis auf den letzten Rest zu beseitigen. Nicht ein Stein vom alten Staatsapparat darf auf dem andern bleiben.
Die sudanesische Arbeiterklasse kann einen neuen Staat aufbauen. Wir können jetzt schon die Keimzelle davon in den Protestcamps und Komitees im ganzen Land sehen. Ein von der Arbeiterklasse kontrollierter Staat ist möglich, und eine ernsthafte Bewegung hin zu einem politischen Generalstreik würde die organisatorischen Fähigkeiten und die Zuversicht der ArbeiterInnen stärken. Die Aufgabe der sudanesischen Revolution ist es, mit dem kapitalistischen System zu brechen. Dessen Krise ist es, die direkt den Beginn der jetzigen revolutionären Bewegung ausgelöst hat. Nur die sudanesischen ArbeiterInnen können diese neue Zukunft formen. Sie müssen die Relikte der vergangenen Regimes wegfegen und ihr Schicksal in die eigenen Hände nehmen.
(Erstmals veröffentlicht im Funke Nr. 174/30.5.2019)