Die Revolution in Ägypten ist der Schlüssel zur Entwicklung in der arabischen Welt. Wir führten ein Interview mit Stefanie Ines, die an den Protesten in Kairo teilnahm.
Funke: Du warst beim ersten Höhepunkt der ägyptischen Revolution dabei. Wie war das?
Stefanie: Es ist schwierig alles zu rekapitulieren, es war eine Explosion, und es kam so unterwartet. Wir haben monatelang diskutiert, weil die Situation in Ägypten einfach schlimm war. Ich hab zu meinen ägyptischen Freunden, allesamt Studis oder Uni-Abgänger gesagt: Warum geht ihr nicht auf die Straße, hängt Plakate auf. Sie aber hielten das für unmöglich, wegen der Polizei, weil man das nicht tut, und weil die Menschen einfach nur apathisch waren. Und dann von einem Tag auf den andern war alles anders. Jeder ging auf die Straße, die Stimmung war extrem solidarisch.
Funke: Der Tahrir-Platz hat sich als wichtigster Sammelpunkt und Symbol der Bewegung etabliert.
Stefanie: Ja, da waren alle dort, von den Ärmsten bis zu den Reichsten und viele Frauen aus allen gesellschaftlichen Schichten. Alle konnten hier ihre Meinung äußern. Aber das Bild wurde auch etwas verzerrt durch die Berichterstattung von Al Jazeera. Der Tahrir-Platz war nicht alles, da gab es noch viel mehr. Der Sturz von Mubarak und der Ruf nach Demokratie standen auch nicht von vorneherein im Mittelpunkt, das wurde verzerrt wiedergegeben. Die Masse der Menschen wollte einfach nur Löhne, von denen man auch leben kann, eine funktionierende Müllabfuhr, Wasser und Nahrung, von dem man nicht krank wird, fixe Arbeitsverträge, leistbare Mieten. Sie protestierten einfach gegen die allgemeine Perspektivlosigkeit, für das eigene Leben. Natürlich forderten sie auch Demokratie, aber das ist ja ein sehr undefinierter Begriff. Am ehesten ging es darum, dass man endlich ohne Angst seine Meinung sagen darf. Anfangs schwieg Mubarak. Alle fragten sich: Warum ignoriert er uns? Richtig eskaliert ist es dann. als die Polizei anfing zu schießen und Verbrecherbanden das Leben unsicher machten. Es wurden die Gefängnisse geöffnet, Kriminelle begannen zu plündern und schürten Chaos. Als dann das Nationalmuseum geplündert wurde, war es Schluss mit lustig, weil mit der Geschichte des Landes legt sich keiner an! Das war auch ein kritischer Moment, weil sich eine Stimmung breit machte, dass jetzt wieder Ruhe und Ordnung her muss. Dies machten dann aber die Revolutionäre selbst.
Funke: Durch Komitees?
Stefanie: Ja, so kann man sagen. Das war alles sehr informell, und im Nachhinein betrachtet eigentlich unvorstellbar, wie das funktionierte. Die Burschen haben sich zusammengeschlossen und ihre Wohnviertel und Krankenhäuser verteidigt. Die haben einfach die Zufahrtsstraßen in ihre Viertel gesperrt und kontrolliert. Das war ein Fulltime-Job, da war nicht mehr viel los am Tahrir. Es gab es ja kein Telefon, kein Internet in diesen kritischen Tagen, aber trotzdem hat man immer gewusst, wo diese Vandalen gerade sind. Wir waren in diesen Tagen in Mansoura, wussten aber im Vorhinein, dass diese Plünderer in Bussen auf dem Weg in die Stadt sind, und die wurde dann abgeriegelt von den Menschen. Die Polizei war völlig machtlos, dann kam das Militär. Es herrschte auch große Angst vor einer US-Militärinvasion, es gab da viele Gerüchte. Dass eine solche Einmischung Krieg bedeuten würde, war allen klar.
Funke: Worin bestand denn diese Perspektivlosigkeit, die geradewegs in die Revolution führte?
Stefanie: Eben darin, dass man studiert, sich ausbildet und dann vor dem nichts steht. Es sei denn, man hat Beziehungen. Arbeit haben alle, aber keine von der man leben kann. Man verdient 1000 Pfund (ca. 150 €), aber die Preise im Supermarkt sind wie hier. Und dann die hohen Mieten, die Menschen können sich in Kairo keine Wohnung leisten, außer sie haben das Glück einen alten Mietvertrag von den Großeltern zu übernehmen. 1000 Pfund zahlt man heute für eine kleine Wohnung. Pizza Hut zahlt nur 400 Pfund im Monat, und viele gehen nach Sharm el Sheik für 500 Pfund im Monat. Dafür bekommen sie dann noch Unterkunft und Essen, das ist wie Sklaverei. Und niemand bekommt einen Arbeitsvertrag, das geht alles auf Tagesbasis. So und jetzt hab ich eine Frage an euch? Warum kennt ihr euch so gut aus, obwohl ihr da nicht dabei gewesen seid?
Funke: Wir studieren Revolutionen, um davon zu lernen und Bewegungen programmatisch zu befruchten, Entwicklungsmöglichkeiten aufzuzeigen. Es ist klar, dass diese „Demokratie“ nichts erfüllen wird, wofür die Menschen auf die Straße gegangen sind. Die Revolution hat einen ersten Sieg erreicht, aber jetzt müsste man den Staatsapparat von allen kleinen Mubaraks säubern, das Eigentum der Diktatorenfamilie enteignen und alles, was privatisiert wurde, wieder verstaatlichen. Damit würde die Demokratie mit einem klaren sozialen Inhalt gefüllt, und objektiv würde dies das Ende des Kapitalismus bedeuten.
Stefanie: Ja das ist stimmig. Und was macht ihr sonst so?
Funke: Wir bereiten uns auf die österreichische Revolution vor.
Stefanie: Das ist eine gute Sache. Da sollten viele mitmachen.
Stefanie Ines studiert Internationale Entwicklung an der Uni Wien und war vom September 2010 bis März 2011 in Ägypten.