Im Gazastreifen herrscht wieder einmal Krieg. Sandro Tsipouras und Yola Kipcak gehen der Frage nach, welche Ziele die Herrschenden beider Seiten verfolgen, und erklären, warum die jahrzehntelange Barbarei im Nahen Osten im Kapitalismus kein Ende finden kann.
Am 8. Juli begann die israelische Armee die sogenannte Operation „Protective Edge“ als Antwort auf Raketenangriffe durch die Hamas. Dem Konflikt ging die Entführung und Ermordung von drei israelischen Jugendlichen voraus, die von israelischen TäterInnen mit dem Mord an einem palästinensischen Jugendlichen beantwortet worden war. Der Konflikt forderte bisher (Stand 22. Juli) 543 palästinensische und 32 israelische Todesopfer.
Dieser erneute Krieg im Gazastreifen steht im Kontext einer generellen Instabilität im nahöstlichen Raum seit dem Beginn der arabischen Revolutionen. In Syrien herrscht BürgerInnenkrieg, in Ägypten eine neue Militärregierung, der Irak wird von islamischen Milizen überrannt und der Iran wird plötzlich von den USA hofiert. In der jetzigen Periode hat sich die Rolle der imperialistischen Großmächte im Allgemeinen und des US-Imperialismus im Besonderen verändert.
Die imperialistische Strategie der USA seit 2001, durch Militäreinsätze Stabilität zu schaffen, ist auf ganzer Linie gescheitert. Der US-Imperialismus steht hilflos vor dem Trümmerhaufen, den er geschaffen hat und der sich von Afghanistan über den Irak bis nach Syrien zieht. Die Unfähigkeit der USA, ihre Interessen in Syrien durchzusetzen, ist dafür das schlagendste Beispiel.
Die traditionellen Verbündeten der USA in der Region nehmen immer mehr eine eigenständige Rolle ein, wie sich unter anderem daran zeigte, dass Saudi-Arabien versprach, die Kürzung von US-Zuschüssen an die ägyptische Armee auszugleichen. Mubarak war für Saudi-Arabien ein verlässlicher Partner gewesen, doch Washington hatte die ägyptische Armee provoziert, indem es ihr nach dem Sturz Mursis die Zuschüsse gestrichen hatte.
Die Invasion im Irak und die daraus gefolgte Zerstörung der irakischen Armee führten zu einer relativen Stärkung des Irans. In dem aktuellen Konflikt rund um ISIS sehen sich die USA gezwungen, gemeinsam mit dem Iran die irakische Regierung militärisch gegen ISIS aufzurüsten. Der Iran profitierte auch von der Stärkung seiner Verbündeten Assad und Hisbollah im Zuge des syrischen BürgerInnenkriegs.
In diesem Kontext muss man die Handlungen Israels so verstehen, dass Israel darauf erpicht ist, die eigene Stärke in der Region zu unterstreichen. Durch den Krieg versucht Israel die USA zu zwingen, die Karten auf den Tisch zu legen und sich vor aller Welt zu ihrem traditionellen Verbündeten zu bekennen.
Doch ist dies nicht die einzige Kalkulation der israelischen Regierung, die durch die massiven Sozialproteste 2011 in Zugzwang geraten ist und deren Akzeptanz in der Bevölkerung seitdem erodiert. In dieser Situation kommt es ihr sehr gelegen, einen äußeren Feind zu beschwören und auf die nationale Einheit nach innen zu setzen.
Und welches Interesse hat die Hamas an dem Konflikt? In der letzten Periode versuchte sie ihre Legitimation vor allem mit dem Versprechen auf eine Verbesserung im Gegensatz zu der korrupten Regierung der Fatah. In der Phase der Konsolidierung ihrer Macht war sie bereit, in den letzten Jahren eng mit den israelischen Sicherheitsbehörden zusammenzuarbeiten, um gegen innere Feinde vorzugehen, die palästinensische Bevölkerung zu reprimieren und islamistische Dschihadisten zu entwaffnen. Die „Friedensverhandlungen“ mit Israel im April 2014 verdeutlichen die opportunistische, machtorientierte Haltung der Hamas: Sie war bereit, die Entmilitarisierung des palästinensischen Staates und die Entwaffnung seiner Milizen zu akzeptieren, den Grenzschutz israelischen und internationalen Streitkräften zu überlassen, Jerusalem zur gemeinsamen Hauptstadt zu machen und 80 Prozent der illegalen Siedlungen im Westjordanland bestehen zu lassen, sowie auf das Rückkehrrecht der 1947—49 vertriebenen PalästinenserInnen zu verzichten. Dies stellt einen völligen Verrat an alldem dar, wofür sie zu kämpfen vorgibt. Dennoch weigerte sich die israelische Regierung unter Berufung auf den terroristischen Charakter der Hamas, darauf einzugehen, woran man merkt, dass ihr Interesse an einer Beilegung des Konflikts gelinde gesagt recht gering gewesen sein muss.
Doch die Bevölkerung Palästinas musste feststellen, dass die Verbesserung der Lebenssituation leere Versprechen seitens der Hamas waren. Mit der Schließung des Verbindungstunnels nach Ägypten nach dem dortigen Sturz Mursis verschlechterte sich die Versorgung am Gaza-Streifen zusätzlich, was den Druck auf die Hamas-Regierung verstärkte. Der scheinbar selbstmörderische Raketenangriff auf Israel ist tatsächlich ein Versuch, die eigene Legitimation als „Befreiungskämpfer“ wieder aufleben zu lassen. Dabei darf nicht unerwähnt bleiben, dass diese „Befreiung“ gegen Israel auf der ideologischen Basis eines erzreaktionären, religiösen, wahnhaften Vernichtungsprogramms gegen die Juden und Jüdinnen im Allgemeinen und „ihren“ Staat im Besonderen passieren soll.
Natürlich sind beide Parteien in diesem Konflikt reaktionär und handeln gegen die Interessen der von ihnen Beherrschten auf beiden Seiten der Grenze, denen unsere Solidarität gilt. Es ist Verrat an diesen Menschen, sich auf die Seite eines der Unterdrückerregimes zu stellen.
Für die unterdrückte ArbeiterInnenklasse und Jugend auf beiden Seiten kann die Lösung daher nur im Sturz dieser Regimes bestehen. Das ist etwas anderes als die Stilisierung „DER PalästinserInnen“ zu Opfern „DER Israelis“, weil damit die Leugnung der Ausbeutungs- und Unterdrückungsverhältnisse innerhalb der palästinensischen Gebiete einherginge. Der Konflikt wird nicht von Völkern, sondern von bewaffneten Unterdrückercliquen (Staaten) auf Basis der kapitalistischen Produktionsweise geführt. Sowohl Israel, als auch die umliegenden arabischen Staaten, haben ein imperialistisches Expansionsinteresse, das daraus hervorgeht. Die einzig denkbare Grundlage für ein friedliches Zusammenleben der arbeitenden Menschen im Nahen Osten ist deshalb die Errichtung einer sozialistischen Föderation.
Das unvergleichlich größere Leiden der palästinensischen Bevölkerung kann nicht als Basis einer politischen Strategie dienen, indem man etwa die „Befreiung des palästinensischen Volkes“ in Kollaboration mit der herrschenden Klasse in den palästinensischen Gebieten fordert. Die endgültige Beilegung des Konflikts kann nur im Kontext der arabischen Revolution und der Verbindung der unterdrückten Massen über religiöse und nationale Grenzen hinweg erfolgen. Nicht nur die arabischen Revolutionen, sondern auch die Protestbewegungen in Israel und Palästina selbst haben gezeigt, dass die ArbeiterInnenklasse durchaus in der Lage ist, über religiöse und ethnische Grenzen hinweg gegen den gemeinsamen Feind zu kämpfen und zu siegen.
Wir verurteilen das verbrecherische Handeln der Imperialisten und fordern deshalb:
Die Bombardierung von Gaza einstellen!
Die Besatzung beenden!
Für eine sozialistische Föderation des nahen Ostens!