Die Reaktion von bürgerlichen Medien und Politik in Österreich auf das erneute blutige Aufflammen des Nahostkonfliktes lässt sich mit einem Wort zusammenfassen: Heuchelei. Von Florian Keller.
- Statement der IMT: Nieder mit der Heuchelei! Für die Verteidigung von Gaza!
- Lies hier den Artikel Antisemitismus und Antizionismus - eine Klarstellung
Die Position des österreichischen Kapitals ist die bedingungslose Unterstützung Israels im herrschenden Krieg gegen die Palästinenser, der mit einer beispiellosen Kampagne in den Medien und über die Politik eingefordert wird.
Die Parteivorsitzenden aller Parlamentsparteien (ÖVP, SPÖ, FPÖ, Grüne und NEOS) geben in einer gemeinsamen Erklärung die Marschrichtung vor:
„Der brutale Angriff der Terrororganisation Hamas auf Israel ist aufs Schärfste zu verurteilen. […] Dieser Terror ist durch nichts zu rechtfertigen und muss sofort gestoppt werden. Quer über Parteigrenzen und politische Ansichten hinweg, sind wir geeint in unserer Solidarität mit dem israelischen Volk und dem Staat Israel.“
Der Gesinnungsdruck dieser nationalen Einheit richtet sich selbst gegen die journalistische Benennung von Unterdrückung. Um nur ein Beispiel zu nennen:
In einem Beitrag der „ZiB Zack Mini“, der die Hintergründe des Konfliktes für Kinder erklären sollte, wurde erklärt, dass niemand den Gazastreifen verlassen darf und dass daher „manche ihn als Freiluftgefängnis bezeichnen“. Nach einem öffentlichen Aufschrei vom Regierungssprecher bis zum Falter-Chefredakteur Klenk entschuldigte sich der ORF dafür, die Wahrheit gesagt zu haben, und entfernte den Beitrag.
Imperialistische Unterdrückung
Dabei nützen die Herrschenden die Betroffenheit über die Angriffe der Hamas auf Zivilisten für ihre eigene Agenda der rassistischen Spaltung und der Delegitimierung jeglichen gesellschaftlichen Widerstandes
Denn auf eine ähnliche Erkenntnis haben wir in den letzten Jahren des Terrors rechtsradikaler Siedlerbanden gegen palästinensische Männer, Frauen und Kinder und die blutige Unterdrückung durch den israelischen Staatsapparat vergeblich gewartet.
Als vor fünf Jahren friedliche Massenproteste gegen die Besatzung des Westjordanlandes und die Blockade des Gazastreifens von der israelischen Armee mit brutaler Gewalt niedergeschlagen wurden, sind über 200 Männer, Frauen und Kinder getötet und fast 10.000 verletzt worden. Wurde da eine palästinensische Fahne am Parlament gehisst?
Alleine die Frage so zu stellen zeigt, dass „unsere“ herrschende Klasse sich gegen den Terror der Hamas so deutlich positioniert, weil sie den Terror des israelischen Staatsapparates deckt.
Das gilt auch in Bezug auf den jetzt durchgeführten Gegenschlag der israelischen Armee mit schon jetzt hunderten toten Zivilisten im Gazastreifen. So konnte der israelische Verteidigungsminister Joaw Galant (ohne Reaktion aus Österreich) verlautbaren:
„Ich habe die komplette Belagerung des Gazastreifens befohlen. Es wird keine Elektrizität, keine Nahrungsmittel, keinen Treibstoff geben, alles ist geschlossen. Wir kämpfen gegen menschliche Tiere und wir handeln dementsprechend.“
Wir erinnern uns, dass die Zerstörung ziviler Infrastruktur durch Russland im Ukrainekrieg von EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen als „klares Kriegsverbrechen“ angeprangert wurde. Jetzt aber sind wir zur bedingungslosen Komplizenschaft aufgefordert. Die Herrschenden verteidigen immer nur ihre eigenen Interessen, das ist die einzige Moral, der sie sich verpflichten.
Die israelische Armee fordert die 1,2 Millionen Einwohner von Gaza-Stadt auf, die Siedlung zu verlassen, um Platz für die Invasion ihrer Armee zu machen. Wir können uns jetzt schon sicher sein, dass die tausenden Zivilisten, die bei der kommenden Bodenoffensive der israelischen Armee im Gazastreifen getötet werden, von unseren Damen und Herren Politikern und Medienmachern höchstens mit Krokodilstränen beweint werden – aber niemand wird das „Recht der Palästinenser sich zu verteidigen“ argumentieren.
Ein Grund für diese Positionierung des österreichischen Kapitals ist schnell genannt: Dass viele Profite des österreichischen Kapitals in Russland gemacht werden, hat Österreich im „Westen“ in die Defensive und immer wieder in Widerspruch zu den mächtigeren USA gebracht.
Jetzt gibt es einen Krieg, in dem es „unseren“ Kapitalisten nicht schwerfällt, klar Stellung zu beziehen – und daher wird fleißig überkompensiert, um die Vasallentreue zu den USA zu zeigen. Denn deren wichtigster und in Wirklichkeit auch einziger stabile Verbündete im Nahen Osten ist Israel – nach Aussage des ehemaligen US-Außenministers Alexander Haig der „größte amerikanische Flugzeugträger der Welt, der nicht versenkt werden kann“. So schickt die USA jetzt auch einen, vielleicht zwei echte Flugzeugträger, um dieses Investment zu verteidigen – und Österreich zündelt fleißig mit.
Die wehrhafte „Demokratie“
Doch es gibt auch einen innenpolitischen Grund für die geschürte Hysterie. In der schon genannten Erklärung der Parteivorsitzenden wird festgehalten: „Unsere Demokratie muss wehrhaft sein und ist aufgrund ihrer Geschichte hier besonders in der Verantwortung, mit Israel im Kampf gegen den Terror Seite an Seite zu stehen“.
Dabei bleibt es auch hierzulande bei weitem nicht nur bei Worten. Der Staatsapparat wird im Sinne der „wehrhaften Demokratie“ aufgefahren, um die Position der herrschenden Klasse zum Krieg und ihre Interessen auch mit staatlicher Gewalt durchzusetzen.
So musste sich die Wiener Polizei am Wochenende gegen einen Aufschrei aus Medien und Politik dafür rechtfertigen, eine Kundgebung von zwei Dutzend Palästinensern nicht verboten zu haben. Verschämt gab sie zu Protokoll, dass ja die Möglichkeit der freien Meinungsäußerung Teil des Grundprinzips eines demokratischen Rechtsstaats sei und das Versammlungsrecht ein hohes verfassungsrechtliches Gut. Sie verwies auch darauf, dass erst vor zwei Jahren eine Pro-Palästinademo verboten worden sei, was laut Verwaltungsgericht aber unrechtmäßig war.
Nur wenige Stunden später fand man dann nach dem massiven Druck trotzdem einen Grund, eine Pro-Palästinakundgebung zu untersagen, wie das auch schon in Deutschland, Frankreich etc. getan wurde.
Unter einem Großaufgebot der Polizei und des Verfassungsschutzes wurden die Teilnehmer immer wieder gekesselt. Doch selbst hier brachte die Wiener Polizei noch einmal die Medien ins Schwitzen. Der ORF und andere Medien berichteten, dass sich „trotzdem über hundert“ Demonstranten versammelt hätten, der Falter-Redakteur zählte „ein paar dutzend“.
Erst die Stellungnahme der Polizei, über 300 Demonstranten angezeigt zu haben, führte zu einem „nach oben korrigieren“ dieser Zahlen, der Kurier berichtet von bis zu 1000 Demonstranten.
Spaltung
So wird die Situation dafür genutzt, die Spaltung in der Arbeiterklasse zu forcieren. Von allen Seiten werden Abschiebungen und Zwangsintegration gefordert, vor „Parallelgesellschaften“ gewarnt. Der Kurier bekommt dabei die Krone in der Hysterie der bürgerlichen Medien, indem er titelt: „das freie Lebensmodell ist in Gefahr“.
Die Spaltung der Arbeiterklasse kommt dem Kapital dabei gerade recht – während die Metallerunternehmer in den Kollektivvertragsverhandlungen ein Lohnangebot vorgelegt haben, das 7% Reallohnverlust bedeuten würde, sollen wir uns gegenseitig im Kulturkampf die Köpfe einschlagen.
Die österreichische Politik unter Führung des ÖVP-Kanzlers Nehammer ist sich dabei nicht zu schade, jeder Solidarität mit Palästina pauschal implizit Antisemitismus zu unterstellen.
Der Zweck ist klar: Damit wird versucht, auf perfideste Art und Weise ihre reaktionäre Politik mit antifaschistischen Phrasen zu tarnen. Doch wir vergessen nicht: Das ist dieselbe ÖVP, die eine „differenzierte Betrachtung“ für den rabiaten Antisemiten und ehemaligen christlich-sozialen Wiener Bürgermeister Karl Lueger einfordert – der Karl Lueger, der schon Jahrzehnte vor den Nazis die Vernichtung der Juden gefordert hatte.
Am absurdesten ist aber sicherlich die Warnung vor dem Antisemitismus arabischer Jugendlicher aus dem Munde der FPÖ – hier können wir uns jegliche Erklärung sparen.
Es ist klar: Jede Form des Rassismus ist ein Gift, das bekämpft werden muss, weil es die Arbeiterklasse spaltet und vom tatsächlichen Gegner ablenkt – der herrschenden Klasse. Das gilt sowohl für den derzeit in den Medien herauf- und herunterexerzierten antimuslimischen Rassismus als auch für den Antisemitismus, den die herrschende Klasse auf eine andere Art und Weise versucht, sich zunutze zu machen.
Wir stehen für eine Bewegung, in der Arbeiter und Arbeiterinnen aller Nationen, egal welcher Herkunft oder Religion, egal ob Muslime, Juden oder Christen, gemeinsam gegen ihre Ausbeuter kämpfen.
Aber eine Vorbedingung für so einen gemeinsamen Kampf ist die Anerkennung und der Kampf gegen spezifische nationale Unterdrückung. Wie Marx in Bezug auf die englische Arbeiterklasse und die Unterdrückung Irlands erklärte, und Engels auch in der polnischen Frage so festhielt: „Ein Volk, das andere unterdrückt, kann sich nicht selbst emanzipieren.“
Und das heißt für die Marxisten in Österreich, dass wir uns deutlich gegen die rassistischen Angriffe der herrschenden Klasse auf arabische, türkische etc. Jugendliche stellen, die unter dem Deckmantel des „Kampfes gegen den Antisemitismus“ gerade zu Sündenböcken für die Krise der kapitalistischen Gesellschaft und sogar die Krise der bürgerlichen Demokratie gemacht werden sollen.
Das Versagen der Arbeiterbewegung und Linken
Die Arbeiterbewegung müsste sich entschlossen dagegenstellen. Doch leider ist das genaue Gegenteil der Fall.
Die SPÖ hat kapituliert und Andi Babler hat die Erklärung der Nationalratsparteien mitunterzeichnet. Die Wiener SPÖ übt sich sogar als Scharfmacher, indem sie als erstes die Polizei offensiv dafür kritisierte, dass die oben angesprochene Pro-Palästinademos nicht verboten wurde! Der „sozial“-Teil des Parteinamens der SPÖ hat schon durch die Orientierung der Partei, die Krise für die Kapitalisten mitzuverwalten, einen harten Schlag bekommen. Dass die Weigerung, eine klare Klassenposition einzunehmen, unweigerlich auch zur Aufgabe des „demokratie“-Teils führt, zeigt dieses Beispiel warnend auf.
Die KPÖ ist in ihren Statements unter Druck des Kapitals nicht über einen abstrakten Aufruf zum Frieden und Verhandlungen hinausgegangen, der keine klare Position bezieht. Hier zeigt sich, dass jede Schwäche nur unweigerlich zu neuen Angriffen führt, bis endlich die Kapitulationserklärung vor den Bürgerlichen unterzeichnet wird:
Nach einem Aufschrei, dass die Grazer KP-Bürgermeisterin Kahr keine Israelflagge am Rathaus gehisst hat, gab es massiven Druck – und letztendlich einigte man sich in der Grazer Stadtregierung auf den „Kompromiss“, dass das Rathaus mit den Farben Israels beleuchtet wird. Gibt man dem Kapital den kleinen Finger, nimmt es die ganze Hand.
So lastet viel Druck derzeit auf der Kommunistischen Jugend, die als einzige Kraft der Linken nicht zu feige war, sich in einem Statement auf Instagram klar auf der Seite der Palästinenser zu positionieren. Der Sturm der Entrüstung nahm dabei schon absurde Formen an.
Der Generalsekretär Stocker von der ÖVP forderte vom SPÖ-Vorsitzenden Andi Babler (!) ein, sich von der KJÖ zu distanzieren.
„Nachdem sich Babler zwar nicht entscheiden kann, ob er Marxist ist oder nicht, gleichzeitig die SPÖ aber immer weiter an den linken Rand drängt, muss er sich zu einer deutlichen Distanzierung vom Posting der KJÖ durchringen.“
Doch auch „Genossen“ aus der kommunistischen Bewegung fallen der KJÖ in den Rücken – Kay-Michael Dankl von der KPÖ Salzburg distanzierte sich von der KJÖ und hielt fest, dass sie seit Jahren gar nicht mehr die offizielle Jugendorganisation der KPÖ sei.
Wenn man solche Freunde hat, braucht man keine Feinde mehr. Wir solidarisieren uns mit der KJÖ gegen diese Angriffe. Auch wenn wir nicht allen Aussagen im Statement zustimmen ist für uns klar, dass wir gemeinsam gegen die Bürgerlichen und ihren Druck zusammenstehen, der auch über die reformistischen Führungen der Arbeiterparteien auf uns lastet.
Das palästinensische Volk wird seit Jahrzehnten systematisch unterdrückt. Den Palästinensern werden von der „einzigen Demokratie im Nahen Osten“ Israel systematisch alle Rechte verwehrt, was Amnesty International als „illegale Apartheid“ bezeichnet. Der westliche Imperialismus deckt diese Verbrechen systematisch.
Als Marxisten stellen wir uns auf die Seite der Unterdrückten und fallen nicht in den Chor der Heuchelei unserer Herrschenden mit ein. Wir stellen uns stattdessen entschlossen gegen die Angriffe auf demokratische Rechte und den Rassismus der Herrschenden hierzulande!