Vor Kurzem wurde ein Attentat auf den Maristen und Gewerkschafter Raiz Lund verübt. Lis Mandl berichtet über die besonders schwierige Situation für politische Arbeit in Pakistan.
In der Psychotherapie nimmt die Resilienzforschung einen immer größeren Stellenwert ein. Resilienz ist die Fähigkeit, sich trotz widriger Umstände, schwerer Lebensbedingungen und Schicksalsschlägen nicht unterkriegen zu lasen. Es bedeutet, ein unerschütterliches Vertrauen, sein Leben selbst in den Griff zu bekommen und weiterzumachen. Was bedeutet diese Fähigkeit auf der politischen Ebene? Die GenossInnen der „Pakistan Trade Union Defence Campaign“ (PTUDC) und „The Struggle“ zeigen es mit beeindruckenden Beispielen vor.
Das Attentat auf Riaz Lund
Vor wenigen Wochen wurde Riaz Lund, ein pakistanischer Anwalt und Gewerkschafter mehrfach angeschossen. Sein Zustand ist kritisch aber stabil. Es ist nicht das erste Attentat auf ihn. Schon vor einigen Jahren wurde er von Anhängern der faschistischen MQM angeschossen. Mit viel Glück überlebte er damals. Riaz Lund ist beispielhafter Kämpfer für die Sache der pakistanischen ArbeiterInnenbewegung. Er ist einer der führenden Köpfe, der PTUDC, die wir auch in Österreich seit Jahren aktiv unterstützten. Er zählt außerdem zu den führenden Köpfen der International Marxist Tendency.
Horror ohne Ende
Osama´s Paradise, permanentes Säbel-rasseln mit Indien und FIFA-Fußbälle, die von Kindern gefertigt sind – Pakistan ist für viele Menschen in Europa ein Synonym für islamischen Terror, Frauenunterdrückung und Barbarei. Seit der Unabhängigkeit 1947 erlebte Pakistan jahrzehntelang Militärdiktaturen und korrupte Zivilregierungen. Militärs regierten das Land von 1958 bis 1971, von 1977 bis 1988 und von 1999 bis 2008. Pakistan ist ein klassisches Beispiel von ungleichzeitiger und kombinierter Entwicklung, wie Trotzki es nannte, da seine rückständigen halb feudalen Eigentumsverhältnisse von modernen Unternehmen und der Weltwirtschaft durchdrungen sind. Die politische und wirtschaftliche Elite ist bis heute sowohl eng mit dem Militär und den Großgrundbesitzern, als auch mit dem Westen verbunden. Das Land zählt zu den korruptesten Staaten der Welt und hat eines der höchsten Militärbudgets.
Seit Beginn der Krise hat sich die Arbeitslosigkeit verdoppelt (offiziell: 16%), Hungerrevolten und Stromunterbrechungen stehen an der Tagesordnung. Pakistan ist immer wieder in Stellvertreterkriege im Interesse der imperialistischen Mächte verwickelt worden. Seit der Verbrüderung mit der USA im Kampf gegen den „Terror“, toben in Pakistan militärische Auseinandersetzungen auf dem Rücken der Zivilbevölkerung vor allem an der Grenze zu Afghanistan. Ganze Dörfer werden ausgelöscht, ob von der pakistanischen Armee, den Taliban/Al Quaida/MQM oder den US-Drohnen ist für die 190 Millionen EinwohnerInnen inzwischen weder ersichtlich noch von Bedeutung. Denn auch wenn Pakistan das zweitgrößten muslimische Land ist, lebt die überwältigende Mehrheit ihre Religiosität unspektakulär im privaten Bereich. Doch es war und ist ein Land der Widersprüche. Neben seinen landschaftlichen und kulturellen Reichtümern gibt es auch die täglichen Kämpfe gegen Ausbeutung und Barbarei.
Einer der großen revolutionären Aufstände stürzte 1968/69 die Militärs und bracht die Pakistan Peoples Party (PPP) unter Zulfiqar Bhutto mit einem linksreformistischen Programm an die Macht. Auch wenn Bhutto nur Teile seines linken Programms verwirklichte, ist er bis heute ein Referenzpunkt für viele. 2008 verjagten Menschenmassen den Militär Pervez Musharraf aus dem Amt kurz nachdem Bhuttos Tochter Benazir auf offener Straße ermordet worden war. Danach regierte ihr Ehemann Zadari (PPP) mit dem alten Programm von Privatisierung, Korruption und
Unterdrückung und wurde 2013 vom reichsten Mann Pakistans, Nawaz Sharif, bei den Wahlen geschlagen.
The Struggle und die PTUDC
Mit der Ankündigung Sharifs die 65 größten Industriekomplexe zu privatisieren sowie massive Anti-gewerkschaftsgesetze und Verschlechterungen im Arbeitsrecht einzuführen sind wir Mitten im täglichen Kampf von „The Struggle“ bzw der PTUDC. Der politische Flüchtling Lal Khan gründete 1980 im europäischen Exil, unter Einfluss der britischen Militant-Strömung die Gruppe “The Struggle“, die sich als revolutionäre Kraft und Teil der IMT in Pakistan verstand. Im Untergrund wuchs „The Struggle“ zu einer der größten linken Strömungen und ist nun im ganzen Land, in jeder ethnischen und sprachlichen Gruppe vertreten. Bekannt ist ihre Jugendarbeit und ihre konsequente internationalistische Haltung gegenüber den Menschen vor allem in Kashmir, Indien, Afghanistan und Iran. Besonders beeindruckend ist ihre Arbeit in der PTUDC.
Diese wurde 1995 gegründet. Der traurige Anlass war die Ermordung des bekannten Gewerkschaftsführers Arif Shah. Er führte einen Streik im Chemie und Textilbereich gegen Privatisierungen und Entlassungen an. Nachdem er diesbezüglich einen faulen Regierungsvorschlag ablehnte, wurde er vor seinem Haus kaltblütig ermordet. Die PTUDC ist ein Versuch die gespaltene Gewerkschaftsbewegung auf Grundlage eines kämpferischen Programms zur Verteidigung der Interessen der pakistanischen ArbeitnehmerInnen zu vereinen. Die UnterstützerInnen der PTUDC spielen eine Schlüsselrolle in der pakistanischen ArbeiterInnenbewegung. In den letzten Jahren stand die PTUDC in allen Arbeitskämpfen in der vordersten Reihe. Sie ist die einzige Vereinigung, die ArbeiterInnen aller 52 nationalen Gruppen Pakistans organisiert, unabhängig von Geschlecht oder Sprache.
Ein Schwerpunkt in der Arbeit ist nicht zuletzt auch die Organisierung von Frauen. Die Arbeits- und Lebensbedingungen der pakistanischen Arbeiterinnen sind besonders schlimm: Ein 14- bis 16-stündiger Arbeitstag und Stundenlöhne von gerade einmal 60 US-Cent sind die Regel. Dazu kommen Diskriminierung und immer wieder sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz. Gerade in den multinationalen Konzernen nimmt die Ausbeutung die schlimmsten Auswüchse an.
2001, während der Militärdiktatur, führten die AktivistInnen der PTUDC den ersten erfolgreichen Streik unter Musharraf an, um die Arbeitsbedingungen in Quetta zu verbessern. Hunderte GewerkschaftsaktivistInnen wurden festgenommen, mussten jedoch aufgrund der von der PTUDC organisierten Proteste und des internationalen Drucks wieder freigelassen werden. Wichtig ist vor allem der Kampf gegen Privatisierungen, Entlassungen und das Recht auf gewerkschaftliche Organisierung. Einer der größten Erfolge der PTUDC war das Verhindern der Privatisierung der Karachi Stahlwerke, die eine der größten Anlagen des Landes ist. Zugleich engagiert sich die PTUDC gegen Kinderarbeit und ist in der Antikriegsbewegung aktiv.
Physische Vernichtung
Attentate auf linke AktivistInnen haben in Pakistan eine lange Tradition. Malala Yousafzai wurde vor drei Jahren international berühmt, als sie in einem Blog für BBC ihr Leben unter den fundamentalistischen Taliban beschrieb. Das Swat-Tal ist die Grenzregion zu Afghanistan und eine Hochburg der Taliban. Malala protestierte damals gegen die Schließung der Schulen für Mädchen durch die islamischen Fundamentalisten. Seither steht sie für den Kampf um das Recht auf Bildung und die Rechte von Mädchen und Frauen in Pakistan. 2011 wurde sie dafür mit dem pakistanischen Friedenspreis ausgezeichnet.
Weniger bekannt ist, dass sich Malala auch für sozialistische Ideen einsetzte. Kurz vor dem Attentat organisierten Mitglieder der PTUDC und The Struggle ein marxistisches Seminar mit über 200 TeilnehmerInnen. Darunter war auch die 14jährige Malala, die als Rednerin auftrat. Voll Selbstvertrauen und Enthusiasmus betonte sie die Notwendigkeit des Kampfes für die gerechte
Sache. Die MarxistInnen in Pakistan haben es sich zum Ziel gesetzt, die Menschen im Swat-Tal sowohl gegen die Taliban, als auch die US-Armee, bzw. deren Verbündete in der pakistanischen Armee, zu organisieren. Deshalb wurden sie zur Zielscheibe des fundamentalistischen Terrorismus.
Schnelle Hilfe
Die soziale Ungleichheit in Pakistan wird im Fall von Naturkatastrophen, wie dem Erdbeben vor einigen Jahren oder dem Hochwasser noch spürbarer. Es ist kein Zufall, dass von solchen Naturkatastrophen die Ärmsten der Armen immer am stärksten betroffen sind. Dazu kommt, dass in Pakistan, als einem der korruptesten Länder der Erde, ein großer Teil der Hilfsgüter nicht bei den Betroffenen ankommen, sondern vielmehr in den dunklen Kanälen der staatlichen Behörden und NGOs verschwindet. Dazu kommt, dass die „internationale Gemeinschaft“ angesichts der Weltwirtschaftskrise in noch geringerem Maße als bisher Hilfsgelder zur Verfügung stellt. Umso beeindruckender sind die Solidaritätskampagnen und Unterstützungsmaßnahmen der PTUDC, sowohl bei dem Erdbeben 2005, als auch bei der Flutkatastrophe 2010.
In Kaschmir hat die PTUDC aufgrund ihrer internationalen Ausrichtung eine starke Verankerung. Sie organisierte nach dem Beben mehrere Hilfs- und Solidaritätskonvois. Zwei davon wurden über Kontakte zu linken ParlamentarierInnen und GewerkschafterInnen in Indien organisiert. Dies ist gerade im Kaschmir ein historisches Symbol. Die PTUDC unterhielt Hilfscamps mit Notunterkünften, in denen eigene Ärzteteams Kranke und Verletzte betreuen. Diese Camps sind zu dauerhaften Einrichtungen der Organisation geworden, in denen den Menschen im Kaschmir politisches und kulturelles Programm geboten wird. Während den Überschwemmungen wurden in ganz Pakistan sogenannte „Revolutionary Flood Relief and Protest Committees“ ins Leben gerufen, um eine effiziente Hilfskampagne durchführen zu können. Es wurden ca. 60 HIlfscamps aufgebaut. Außerdem organisierten die Komitees immer wieder Protestaktionen mit der Forderung nach einer konkreten und schnellen Unterstützung durch die Regierung. Die authentischen und unbürokratischen Hilfsmaßnahmen haben der PTUDC zurecht ein großes Ansehen verliehen.
Ein Netzwerk der Resilienz!
Die politische Arbeit und die verschieden Kampagnen konnten nicht zuletzt aufgrund einer breiten internationalen Solidaritätskampagne umgesetzt werden. Der Funke unterstützt seit Jahren die Arbeit der GenossInnen in Pakistan. Dreimal konnten wir bereits eine VertreterIn der PTUDC nach Österreich einladen um einen konkreten Einblick in die Arbeit der GenossInnen zu geben und auch Spenden zu sammeln. Wir rufen nun wieder, aufgrund des aktuellen traurigen Anlasses, alle AktivistInnen und SympathisantInnen auf, sich über die Arbeit der PTUDC zu informieren (wir stellen gerne auch ReferentInnen und Material zur Verfügung) und zu spenden. Immer wieder berichtet die PTUDC von dem Kampfeswillen ihrer AktivistInnen. In einem Land wo politisches Engagement als Freibrief für Vergewaltigung, Verfolgung und Vernichtung betrachtet wird, schließen sich tausende Menschen im Kampf um ein besseres und würdevolleres Leben zusammen und trotzen der Gefahr. Das Verlassen der „Opferrolle“, Freundschaften und Netzwerke gehören zu den wichtigsten Resilienzfaktoren. Stärken wir die PTUDC, stärken wir uns selbst und werden Teil dieses Netzwerkes – egal wo. Hoch die internationale Solidarität!