Hunderte Tote, tausende Verletzte, ganze Städte, die dem Erdboden gleich gemacht wurden, Zehntausende, die nie mehr in ihre Stadtviertel zurückkehren können: Die traurige Bilanz des einseitigen Bürgerkriegs der türkischen Regierung gegen das kurdische Volk.

In der Türkei wütet derzeit die Reaktion mit Sultan Erdogan an der Spitze. Was nach seiner Wahlschlappe letztes Jahr im Juni mit dem systematischen Kampf gegen die kurdische Bevölkerung und deren Organisationen begonnen hat, geht mit Angriffen auf die grundlegendsten Freiheiten der bürgerlichen Demokratie weiter. Zeitungen werden geschlossen, JournalistInnen, AkademikerInnen, ja selbst Kinder werden unter dem Vorwand verhaftet, den Terrorismus zu fördern oder zu organisieren.

Erdogan und die Seinen haben inzwischen offensichtlich jeden Bezug zur Realität verloren. Besonders grausam zeigen dies die Ereignisse rund um eine islamische Stiftung, in der Erzieher hunderte Kinder missbrauchten und vergewaltigten – mit frappierenden Parallelen zu den Vorgängen in der Katholischen Kirche, die in den letzten Jahren ans Licht kamen. Die Familienministerin hat lapidar kommentiert, dass eine Vergewaltigung doch nicht so schlimm sei.

Erdogan hat sich in eine Sackgasse des Wahnsinns manövriert, in der er alles einsetzen und riskieren muss, um sein Regime zu retten. Zu offensichtlich sind er und seine AKP in Korruption, Amtsmissbrauch und andere Schandtaten verwickelt, als dass man auch nur bürgerliche KritikerInnen zu Wort kommen lassen dürfte. Je enger sich die Schlinge um seinen Hals zieht, umso wütender reagiert er.

Und sie zieht sich enger. Trotz aller versuche, kritische Stimmen mundtot zu machen, gibt es regelmäßig Proteste. An den Unis herrscht ebenso wenig Ruhe wie an der Streikfront in den Betrieben. Besonders pikant ist dabei, dass die Bauarbeiter der dritten Bosporusbrücke in den Streik getreten sind, da ihnen von Erdogan persönlich versprochene Bonuszahlungen vorenthalten worden waren.

Eines ist klar: Trotz Bürgerkrieg und des Schürens nationaler Gefühle schwimmen Erdogan die Felle davon. Gleichzeitig ist die kurdische Befreiungsbewegung alles andere als geschlagen. Das Newrozfest (Bild), das kurdische Neujahrsfest, in Diyarbakir (Amed) ist hierfür der deutlichste Beweis. Trotz drohender Repressionen (die Polizei hat 40.000 Menschen von der Einreise nach Amed abgehalten) sind fast eine Million Menschen dem Aufruf der HDP und ihrer lokalen Organisationen gefolgt und haben dort lauthals ihren Willen zum Widerstand kundgetan.

Der zentrale Aspekt vieler Reden war immer wieder der Aufruf zum Frieden. Die HDP ist bei ihren Bemühungen um Frieden aber völlig in ihrer parlamentarischen Orientierung gefangen. Nachdem sie ihre ganze Kraft darauf konzentriert hat, die Massen auf Basis demokratischer und sozialer Forderungen zu den Wahlen zu bringen und in der Folge auch ins Parlament einzuziehen, schafft sie es nicht, einen strategischen Wechsel vorzunehmen. So wichtig der Frieden für das kurdische Volk auch ist, die bürgerliche Demokratie hat gezeigt, dass sie nicht das richtige Instrument ist, um den Frieden zu bringen. Weder die AKP noch ihre mächtigen UnterstützerInnen in der Wirtschaft haben irgendein Interesse an der Lösung der Kurdenfrage oder gar einem föderalen System. Und so wichtig die Forderung nach Demokratie ist – auch die anderen bürgerlichen Parteien haben und hatten nie ein Interesse an einer Lösung irgendeiner sozialen oder nationalen Frage.
Es ist vielmehr im Interesse der Herrschenden, der KapitalistInnen, dass die Arbeiterklasse und die Armen in der Türkei anhand nationaler Linien gespalten werden. Erdogan ist nur in der unangenehmen Situation, dies exekutieren zu müssen, da die Wirtschaft strauchelt und die Massen erwachen.

Welchen Weg vorwärts?

Die bewaffnete PKK hat, bei allen Unterschieden der eingesetzten Mittel, die gleiche Orientierung wie die HDP. Sie fordert vom türkischen Staat Friedensverhandlungen und ein föderales System in der Türkei. So auch der Vorsitzende der KCK (Union der Gemeinschaften Kurdistans, die Dachorganisation der PKK zur Durchsetzung des „Demokratischen Konföderalismus“, Anm.) Cemil Bayik, der das Folgende formulierte: Föderalismus oder Krieg.

Dabei wird der Krieg ja schon seit geraumer Zeit (einseitig) geführt. Die kurdische Jugend hat in den Aufständen von Sur und anderen Vierteln und Städten diese Tatsache richtig beantwortet – mit Widerstand. In einem revolutionären Akt haben die Jugendlichen diese Orte für autonom erklärt, Verteidigungseinheiten gebildet und damit begonnen, auch das zivile Leben selbst zu organisieren. Sie haben verstanden, dass es einen entschlossenen Kampf braucht, damit das kurdische Volk in Frieden leben kann. Mit den Bürgerlichen ist eben nur ein unterdrückerischer Staat zu machen, bei dem jede demokratische Errungenschaft und jedes Recht einer Minderheit immer nur so lange währen, wie die Herrschenden sie sich leisten wollen.

Das gilt für die ganze Türkei. Erdogan führt einen Kampf nicht nur gegen die KurdInnen, sondern gegen alle demokratischen Rechte. Er führt diesen aber nicht, da er plötzlich verrückt geworden ist, sondern, um die Arbeiterklasse zu spalten und die Interessen seiner Kapitalistenclique umzusetzen. Das ist nichts anderes, als das, was andere Kapitalfraktionen in der Türkei bereits vorher gemacht haben.

Dieser Klassenkampf von oben, den er als Kampf gegen den Terrorismus bezeichnet, muss entschieden beantwortet werden. Doch dazu braucht es andere Mittel als Guerillakampf und Kompromisse um jeden Preis. Die Aufstände der kurdischen Jugend könnten für die ganze Türkei ein Vorbild sein, für alle Unterdrückten, egal, ob KurdInnen oder TürkInnen. Mit der HDP besteht auch eine Partei, die bei den letzten Wahlen das Potenzial gezeigt hat, Jugendlichen und ArbeiterInnen über alle Nationalitätengrenzen hinweg eine kämpferische Alternative zu bieten. Doch dieser Kampf braucht auch eine Perspektive. Die Erpressungen und Betrügereien von Erdogan zeigen, wie hohl die Phrase der Demokratie ist. Die Grausamkeiten der Armee in den kurdischen Gebieten beweisen, wie utopisch der Wunsch des Friedens mit Erdogan ist. Was es braucht, ist eine Verknüpfung des Befreiungskampfes in den kurdischen Gebieten und des Widerstandes der Jugend in den großen Städten mit der Arbeiterbewegung, die das System durch Arbeitskämpfe lahmlegen kann. So kann es tatsächlich eine revolutionäre Perspektive einer Beseitigung des Kapitalismus und einer sozialistischen Zukunft geben.

  • Nieder mit dem Sultan!
  • Nieder mit dem korrupten bürgerlichen Regime!
  • Nieder mit dem Kapitalismus!
  • Vorwärts zur sozialistischen Revolution in der Türkei und Kurdistan!

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