Die Niederlage des sogenannten „Islamischen Staates“ steht bevor – seine Hochburg Mossul steht vor dem Fall, Al-Rakka ist umzingelt. Das Ende der territorialen Herrschaft des IS ist greifbar und der Kampf um die Nachfolge hat begonnen. Von Niklas Albin Svensson.
Seit 2013 war der IS die beherrschende fundamentalistische Kraft des Nahen Ostens. Hervorgegangen aus der irakischen Al-Qaida, erzwang er eine Fusion mit der syrischen Al-Qaida Gruppe. Heraus kam die bestorganisierteste und schlagkräftigste dschihadistische Kraft des Nahen Ostens. Es gelang ihm, Kontrolle über einen Großteil der Waffen der Dschihadisten und das Geld zu bekommen, das von Saudi Arabien, Katar, Türkei und den USA infolge der Massenproteste gegen das Assad-Regime im Jahr 2011 nach Syrien flossen. Die Hauptstadt des IS ist Al-Rakka (Syrien), aber der größte Erfolg war die Einnahme Mossuls (Irak) im Jahre 2014. Nun steht ISIS an jeder Front massiv unter Druck.
Die De-Eskalationsvereinbarung und der Aufstieg des Iran
In dieser Situation gibt es ein Rennen aller Mächte um die Kontrolle jener Städte und Wüsten mit reichen Ölvorkommen, die bislang unter der Kontrolle des IS standen. In diesem Zusammenhang ist die De-Eskalationsvereinbarung zu verstehen, die zwischen der Türkei, Russland und dem Iran abgeschlossen wurde.
Teil dieses Abkommens ist es, dass Teile Syriens unter türkische Kontrolle gestellt werden. Als „Garant“ wird die Türkei nun die nordwestliche Provinz Idlib und Nord-Aleppo kontrollieren, womit die zwei kurdischen Regionen Syriens voneinander getrennt bleiben. Dieser türkische Vorausposten auf syrischem Territorium schwächt die syrischen Kurden, aber auch das Assad-Regime, indem verschiedenste islamistische Banden unter türkischer Dominanz intakt bleiben werden. Im Gegenzug soll die Türkei sicherstellen, dass jene Kräfte, die weiterhin gegen Assad kämpfen wollen, zur Ruhe gebracht werden.
Das iranische Regime wurde zum Hauptprofiteur des US-geführten Krieges im Irak. Die USA zerstörten dort das Regime Saddam Husseins und haben damit das Einfallstor für den Iran im Zweistromland geschaffen. Heute werden die vom Iran unterstützten Schiiten-Milizen die wichtigste militärische Stütze der irakischen Regierung. Mittels eines iranhörigen Regimes in Bagdad, freundlichen Beziehungen zu Damaskus und einem signifikanten Einfluss im Libanon versucht der Iran einen von ihm kontrollierten Korridor vom Mittelmeer bis zum Persischen Golf zu schaffen.
Die USA versucht diese Machtausweitung einzudämmen. Sie musste die de-facto Kontrolle des Irans über weite Teile des Iraks dulden, versucht aber verzweifelt das Schließen dieses Korridors unter iranischer Kontrolle zu verhindern. Gleichzeitig plant Saudi Arabien eine neue Front im Kampf gegen den Iran zu eröffnen. Trump hat gerade seine Unterstützung für Saudi Arabiens Vorgehen gegen den Iran mit einem Staatsbesuch und einem 110 Milliarden Dollar schweren Waffendeal (der zum Großteil bereits unter Obama festgelegt worden war) bekräftigt. Der Sieg über den IS unter diesen Umständen bedeutet nichts anderes, als die Vorbereitung noch blutigerer Konflikte in der Zukunft, ohne die Aussicht auf eine Lösung.
Die Kosten des Imperialismus
Die Bedingungen, die den Weg für den IS erst geebnet hatten, verschlimmern sich sogar noch. Das Chaos, das durch Bushs Interventionen im Irak und in Afghanistan entstanden ist, wurde durch Obamas zögerliches Vorgehen in Libyen und seine etwas enthusiastischere Intervention in Syrien vervollständigt. Die Zerstörung des Irakischen Staatsapparates hatte desaströse Konsequenzen für die gesamte Region. Die imperialistischen Einmischungen in die fehlgeschlagenen Revolutionen in Libyen und Syrien 2011 haben die Instabilität nur noch weiter verstärkt.
Der Großteil der Welt ist zwischen den großen imperialistischen Mächten aufgeteilt, wobei die USA und ihre Verbündeten den Löwenanteil halten. Die relative Macht des US-Imperialismus ist aber rückläufig. In diese Lücke treten nun kleinere Mächte wie der Iran und die Türkei, ebenso wie traditionelle Kräfte wie Russland. Die Unfähigkeit der USA, der Region weiter ihren Willen aufzuzwingen hat ein Vakuum hinterlassen, das verschiedene Kräfte nun versuchen zu füllen.
Die Zahl der Toten des Krieges in Syrien hat bereits 400.000 erreicht, im Irak sind es wahrscheinlich bereits mehr als 270.000. Abseits davon wurden in Syrien 5 Millionen Menschen zur Flucht gezwungen (25% der Bevölkerung) und im Irak waren es 3 Millionen (10% der Bevölkerung). Die wirtschaftliche Zerstörung ist immens. Die Kosten für den Krieg in Syrien wurden mit Ende 2015 auf 237 Milliarden Dollar geschätzt und die Wirtschaftsleistung hat sich halbiert. Ein wichtiger Grund dafür sind die Sanktionen. Die Kriege im Irak und der Zusammenbruch des Ölpreises hatten zur Folge, dass die Wirtschaftsleistung pro Kopf fast auf das Level von 1989 gesunken ist – ein Großteil der Infrastruktur des Landes liegt in Schutt und Asche. Das wird weitere Katastrophen für die Massen nach sich ziehen und zukünftige Konflikte noch zusätzlich anheizen.
Während die imperialistischen Mächte weiter um den Einfluss in der kriegsgebeutelten Region ringen, wird das Leiden der Massen zunehmen. Die Arbeiterklasse in diesen Ländern wird zerstört und nahezu atomisiert. Dagegen nimmt die Barbarei immer weiter zu. Alte Stammesstrukturen und religiöse Ideen, die auf das europäische Mittelalter beschränkt hätten sein sollen, erfahren eine Wiederbelebung. Für die Mehrheit der Bevölkerung ergibt sich eine aussichtslose Situation.
Das kapitalistische System in seiner Periode des senilen Verfalls bringt eine Katastrophe nach der anderen hervor. Immer mehr Länder werden in den wachsenden Strudel der Konflikte zwischen den imperialistischen Mächten hineingezogen. Nur ein entschiedenes Handeln der Arbeiterklasse kann diesem Schrecken ein Ende bereiten.