Im Iran sind vor wenigen Tagen Massenproteste ausgebrochen, die das dortige Regime ins Wanken bringen. Wir veröffentlichen hier einen Artikel von Hamid Alizadeh vom 01. Januar zu den Protesten.

In den letzten vier Tagen ist es im Iran zu den heftigsten Protesten seit der Revolution von 1979 gekommen. Obwohl die Bewegung zahlenmäßig kleiner ist als die „Grüne Bewegung“ 2009, so hat sie sich doch, anders als damals, über die großen Städte hinaus ausgebreitet. Das ist eine fundamentale Änderung der Situation, welche das Regime in seinen Grundmauern erschüttert.

Bisher scheint es so, dass es in 52 Städten in 27 Provinzen zu Protestaktionen gekommen ist, die ihren Anfang nahmen, als die Menschen am 28. Dezember in Maschhad auf die Straße gingen. Diese Proteste richteten sich gegen Präsident Hassan Rohani und wurden vom erzreaktionären Imam von Maschhad unterstützt.

Die Parolen wandten sich jedoch schnell gegen das gesamte klerikale Establishment. Maschhad, die zweitgrößte Stadt des Landes, wurde immer als eine konservative und religiöse Stadt angesehen, in der die religiösen Hardliner große Unterstützung erfuhren. Aber in den letzten Jahren hat sich die Stimmung in der Stadt geändert. In Wirklichkeit ist das bestimmende Merkmal dieser Proteste, dass sie in Gegenden und Schichten stattfinden, in denen das Regime traditionell viel Rückhalt hatte.

Am 29. Dezember gingen tausende Menschen in der heiligen Stadt Ghom, dem Sitz der wichtigsten klerikalen Institutionen, auf die Straße und riefen „Tod der Hisbollah!“, „Seyad Ali [Khameni] verschwinde, gib die Macht ab!“ und „Tod der Islamischen Republik“. Auf einer Demonstration wurde sogar das Bild von Che Guevara gezeigt.

In der Stadt Rascht im Norden des Iran rief die Menge: „Ehrenwerte Armee, hilf den Menschen!“ In Haschtgard sang die Menge: „Unser einziges Ziel ist das Regime, dies ist unser letztes Wort!“

In anderen Slogans wandten sich die Menschen gegen die Einmischung in den syrischen Bürgerkrieg und riefen: „Verlasst Syrien, denkt an uns!“
Gestern kam es zu kleineren Protesten in Teheran, die von StudentInnen der Universität initiiert wurden. Ein Augenzeugenbericht auf der Internetplattform IranWire erklärte: „Die Slogans drehten sich um die Wirtschaft. Arbeitslosigkeit, Armut und Elend lassen die Menschen verzweifeln. In anderen Parolen ging es um die politischen und die Grundrechte, einschließlich des Rechts auf Freiheit – individuelle Freiheit, Gedankenfreiheit und die Versammlungsfreiheit. StudentInnen der Universität schlossen sich den demonstrierenden Menschen an, denn sie sind ein Teil des Volkes.“

Zu den auf der Demonstration in Teheran skandierten Losungen gehörten „Tod dem Diktator!“, „Die Menschen sind Bettler während die Mullahs wie Götter leben!“ und „Unabhängigkeit, Freiheit, iranische Republik [im Gegensatz zur Islamischen Republik]!“

Andere Parolen lauteten “Wir sterben, wir sterben, aber wir bekommen den Iran zurück!“ und „Reformisten und Prinzipialisten, es ist vorbei mit euch!“, „Brot, Arbeit, Freiheit!“, „StudentInnen und ArbeiterInnen vereinigt euch!“ Die Polizei ging brutal gegen die Demonstrierenden in Teheran vor. Es gibt Berichte, dass mindestens 200 Menschen verhaftet wurden, aber die Proteste breiten sich schließlich auf die Straßen der Hauptstadt aus, wobei ein Mannschaftswagen der Polizei angegriffen wurde und festgenommene Demonstrantinnen befreit wurden. Heute sollen die Proteste in Teheran weitergehen.

Zur gleichen Zeit wurden einige Banken, attackiert, vor allem diejenigen, die mit den Revolutionsgarden in Verbindung stehen. So sah sich die Polizei gezwungen, die Banken im gesamten Land zusätzlich zu sichern.

Aus der Stadt Izeh wird berichtet, dass es zu Auseinandersetzungen zwischen DemonstrantInnen und der Polizei kam und die Sicherheitskräfte schließlich vertrieben wurden. Bei den Zusammenstößen wurden zwei Menschen getötet. Das staatliche Fernsehen spricht von zehn Toten als Folge des harten Durchgreifens der Polizei. Die große Zahl der Proteste hat aber den Staat insgesamt zu einem vorsichtigen Vorgehen bewogen, um nicht eine noch größere Bewegung auszulösen.

Es scheint aber, dass die Proteste trotzdem weitergehen. Obwohl die Aktionen in Teheran ursprünglich sehr klein waren, gibt es Anzeichen dafür, dass sie an Fahrt aufnehmen und es heute zu größeren Demonstrationen kommen kann und weitere Städte sich anschließen.

Die schnelle Ausbreitung der Bewegung hat das Regime in Panik versetzt, und es sucht händeringend nach einer passenden Antwort. Nach einigen Tagen des Schweigens trat Präsident Hassan Rohani gestern im Fernsehen auf. Er räumte ein, dass „die Menschen das Recht auf Kritik“ hätten, gleichzeitig drohte er damit, dass das Regime bereit sei, in Fällen von „Gewalt und Zerstörung öffentlichen Eigentums“ hart durchzugreifen.

In der Zwischenzeit wurden hunderte friedliche DemonstrantInnen an der Teheraner Universität zusammengeschlagen und massenhaft verhaftet, während Protestierende in anderen Landesteilen getötet wurden. Andere liberale „Reformisten“ wie Masoumeh Ebtekar haben zu einem sofortigen harten Durchgreifen aufgerufen, um die Massen zu zügeln. Diese Liberalen geben vor die demokratischen Rechte zu verteidigen, aber nur solange diese Rechte nicht wirklich genutzt werden, um die wahren Ziele der Massen zu formulieren.

Rohani kam vor fünf Jahren mit dem Versprechen, etwas zu ändern, an die Macht. Millionen Menschen aus allen sozialen Schichten hatten sich hinter seinen Versprechen versammelt, um die angespannte Lage zu beenden, politische Gefangene zu befreien, die demokratischen Rechte auszuweiten und den Lebensstandard zu erhöhen. Sein Versprechen „nicht nur die Räder der Uran-Zentrifugen zu drehen, sondern auch den Lebensstandard der Menschen zu erhöhen“ kam bei den Millionen ArbeiterInnen und Armen an. Aber vier Jahre später kämpfen die einfachen Menschen immer noch. Die Arbeitslosigkeit ist ständig angestiegen, und obwohl die Inflation unter Kontrolle gebracht worden ist, steigen die Lebenshaltungskosten kontinuierlich. Die Rohani-Administration plant sogar die Subventionen für Grundnahrungsmittel sowie die Geldzuwendungen für die Ärmsten weiter zu kürzen.

Wir werden jetzt Zeugen einer Rebellion dieser Schichten: der Armen, der Besitzlosen, der unteren Mittelschichten und Teilen der Arbeiterklasse. Sie kommen aus konservativen Regionen und haben über Jahrzehnte stillgehalten und ihr Los akzeptiert. Viele der Menschen, die sich jetzt auf der Straße versammeln, kommen aus Schichten, auf welche sich das Regime oft gestützt hat. Aber das ist jetzt offensichtlich vorbei.

In diesem Stadium sind die Losungen sehr konfus und gehen von wirtschaftlichen Forderungen, über „Tod dem Diktator“ bis zu Hochrufen, die Reza Khan preisen [dem früheren Schah vor und während dem 2. Weltkrieg, Anm. d. Übersetzer]. All dies spiegelt eine tiefsitzende Wut auf die gesamte verrottete Islamische Republik wieder. Die Menschen haben Hunger und haben die Arbeitslosigkeit, Inflation und Korruption satt. Der fromme und saubere Deckmantel, unter dem sich der Klerus traditionell versteckt, ist nach Jahrzehnten der verkommenen und korrupten Herrschaft angekratzt.

In der Zwischenzeit haben sich der „Westen“ und Saudi-Arabien, aber auch Israel aufgestellt, um von dieser Bewegung zu profitieren. Donald Trump hat per Twitter dem „iranischen Volk“ seine Unterstützung zugesichert. Trump, Saudi-Arabien und Israel befolgen ganz klar die Taktik eines Regimewechsels im Iran. Aber aufgrund des tiefsitzenden Hasses gegen den westlichen Imperialismus werden sie sich schwer tun, Fuß zu fassen.

Es ist noch nicht klar, was heute passieren wird. Es ist möglich, dass die Bewegung vorübergehend abflaut. Aber eins ist deutlich geworden: Dies ist der Prozess eines zunehmenden Klassenkampfes und des Wiedererwachens der revolutionären Massen. Es handelt sich um die ersten Erschütterungen großer historischer Ereignisse, die Schockwellen über die gesamte Region aussenden und das Kräfteverhältnis zwischen den Klassen verändern werden.


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