In den frühen Morgenstunden des 7. April führten die USA in Zusammenarbeit mit Frankreich und dem Vereinigten Königreich einen Luftangriff durch, im Rahmen dessen über 100 Marschflugkörper eingesetzt wurden.
Diese Flugkörper schlugen gemäß eines Briefings des Pentagons in einer wissenschaftlichen Forschungseinrichtung (den USA zufolge für die Produktion von chemischen Waffen), sowie in zwei Lager für chemische Waffen und Ausrüstung ein. Die jeweils getroffenen Einrichtungen befanden sich in der Hauptstadt Damaskus sowie in Homs. Der Grund für diese Bombardierung ist der vermeintliche Einsatz von Giftgas von Seiten Assads, der am 7. April in Duma, einer von Islamisten kontrollierten Vorstadt von Damaskus, erfolgt sein soll. Ob dieser tatsächlich erfolgte, ist bis jetzt nicht geklärt. Aktuell befindet sich ein Untersuchungsteam der „Organisation für das Verbot chemischer Waffen“ (OPCW) in Duma.
Diese Bombardierungen stellen den jüngsten Eingriff der imperialistischen Mächte in einen Konflikt dar, welcher seit mehr als sieben Jahren in Syrien tobt. Doch wie kommen die USA gerade in einer Koalition mit Frankreich und Großbritannien dazu, in einer Nacht- und Nebelaktion gegen chemische Waffen in Syrien Bomben abzuwerfen? Um dies zu beantworten ist ein Blick auf den Kontext des Ereignisses notwendig.
Der aktuelle Punkt, an dem wir uns im Konflikt befinden, ist durch einen faktischen Sieg des Präsidenten Baschar al-Assad im Bürgerkrieg geprägt, einem Verbündeten von Moskau und Teheran. Er konnte mit der Eroberung der Ost-Ghouta bei Damaskus, welche Anfang April erfolgte, faktisch seine Vormacht in Syrien sichern. Denn damit ist eine der letzten Rebellenhochburgen wieder an die Zentralmacht Assads gefallen, der damit in seiner Macht militärisch nicht mehr zu gefährden ist. Dass dies den USA nicht passt, die die Behauptung Assads zu Recht als Sieg Russlands betrachten, erstaunt kaum.
Wie passt das Giftgas nun in diesen Kontext? Abgesehen davon, dass es immer noch keine stichfesten Beweise für einen Giftgasangriff durch Assads Truppen gibt: dem (oppositionellen) Syrian Network for Human Rights mit Sitz in Großbritannien zufolge fanden durch Regierungstruppen 214 Angriffe in Syrien statt, im Rahmen derer toxische Substanzen verwendet wurden. Nun steht es außer Frage, dass Assad in diesem Krieg äußerst brutal vorgeht. Doch wenn man der offiziellen Argumentation zu den Angriffen folgen möchte, zieht sich der Einsatz von Giftgas durch den gesamten Syrien-Konflikt. Eine Antwort der USA findet allerdings nur sehr selektiv statt. Wieso das? Ganz einfach: Menschenrechte oder der Kampf gegen Diktatoren waren nie der Grund für imperialistische Kriegseinsätze, sondern werden nur hervorgekramt, wenn sie benötigt werden: Das heißt, um die eigentlichen wirtschaftlichen, geopolitischen und strategischen Interessen zu kaschieren. Diese sind gerade für die USA vielfältig: Mit Assads de facto-Sieg werden neue Verhandlungen beginnen (vor oder hinter den Kulissen), bei denen die USA möglichst stark auftreten wollen.Auf der anderen Seite drängten gerade ihre regionalen Verbündeten Saudi-Arabien und Israel im Hinblick auf die Niederlagen ihrer islamistischen Handlanger auf eine größere Intervention, um eine völlige Niederlage zu verhindern. Und blicken wir außerdem auf die innenpolitische Lage der USA, so sehen wir, dass erst vor ein paar Tagen eine FBI-Razzia im Hause eines Anwalts von Trump stattfand. Dass er angesichts einer solchen Razzia lieber als Kämpfer gegen chemische Waffen als als Ziel von FBI Untersuchungen in der Presse steht, ist nachvollziehbar. Und auch Macron steht lieber als Verteidiger der Menschenrechte gegen Assad und chemische Waffen in der Zeitung, als dafür, dass unter seiner Regierung demonstrierende StudentInnen von der Polizei aus besetzten Hörsälen geprügelt werden. So wird aus der ruhmreichen Troika Trump, May und Macron, welche sich der Menschenrechte verschrieben hat, ein tristes Trio, das einer Selbsthilfegruppe zur Bewältigung der innenpolitischen Problematiken gleichkommt.
Die Bombardierungen fallen also in den Kontext des de facto Sieges von Assad und der innenpolitischen Spannung der USA. Letztendlich blieben die Angriffe mehr oder minder symbolisch und werden am Verlauf des Krieges nichts ändern. Aber wir müssen sie trotzdem entschieden verurteilen. Aus einem revolutionären Aufstand, vor allem der Jugend, wurde ein blutiger Bürgerkrieg, der letztendlich ein Stellvertreterkrieg zwischen den Großmächten, ohne positive Perspektive für die breiten Massen ist. Gerade der Westen unterstützte jahrelang islamistische und dschihadistische Kräfte, vorgeblich der „Menschrechte“ wegen, die in ihrem Herrschaftsgebiet eine Terrordiktatur errichteten. Wenn also der Westen scheinheilig von „humanitären Interventionen“ spricht, wissen wir, dass den Mächtigen eine leidende Zivilbevölkerung so lange egal ist, wie die Unterdrückenden den eigenen Interessen dienlich sind.
Kanzler Kurz zeigte „Verständnis“ für die Angriffe der USA und ihrer Verbündeten. Wir zeigen das nicht. Nach sieben Jahren Bürgerkrieg in Syrien, bei dem auf dem Rücken der syrischen Bevölkerung die Großmachtinteressen ausgetragen wurden, müssen wir klar sagen: Nein zu jeder Intervention in Syrien!
Dieser Artikel erschien erstmals am 24.4.2018 in der Funke-Ausgabe Nr. 163