Seit März erschüttern Proteste die Sonderverwaltungszone Hongkong.

Der unmittelbare Auslöser der Protestbewegung war ein Gesetzesentwurf, der es den Behörden in Hongkong erlaubt hätte, mutmaßliche Kriminelle an die Festlandsbehörden auszuliefern. Auf dem Papier wären politische Dissidenten ausgenommen, was angesichts der Skrupellosigkeit der chinesischen Behörden, politische Gegner auch im Ausland zu entführen (so geschehen z.B. bei einem Buchhändler aus Hongkong, der aus Thailand gekidnappt wurde) aber nur ein schwacher Trost ist. Die weitaus größere Befürchtung lautet jedoch, dass mit diesem Gesetz die relative Autonomie HKs völlig untergraben würde.

Dies gliedert sich in eine Reihe von Maßnahmen der chinesischen Regierung, größere Kontrolle über HK zu erlangen ein. So wurden erst kürzlich zum ersten Mal Festlandspolizisten auf einem Hongkonger Bahnhof stationiert. Aber es ist nicht nur die zunehmende politische Dominanz Chinas, die für Spannungen sorgt, auch der ökonomische Druck auf den Massen ist enorm. In HK kosten etwa Immobilien doppelt so viel wie in London oder New York, bei etwas niedrigeren Löhnen.

Es ist klar, dass es sich hier um keine zeitweilige Krise, sondern um eine von fundamentalem Charakter handelt. Das erklärt auch den explosionsartigen Anstieg der Proteste.

Im Juni gingen mehr als eine Million Menschen in Hongkong auf die Straße – jeder siebte Bewohner Hongkongs beteiligte sich an den Demonstrationen. Sie forderten dabei den Rücktritt der Regierungschefin Carrie Lam, die politisch China-nahe ist. Doch die Führung der Proteste, ausgedrückt in der „Civil Human Rights Front“ bietet keine Perspektive für die Bewegung. Denn sie orientiert auf Verhandlungen mit der Regierung und hoffen gar auf eine Intervention des westlichen Imperialismus. Diese Illusionen in die chinesischen und internationalen Eliten ist jedoch eine Garantie für den Verrat der Bewegung.

Die Massen der Bewegung, die vor allem von Jungen getragen wird, drängt instinktiv in Richtung einer Überwindung dieses liberalen Ausblicks, indem sie sich in ihrer Radikalisierung auf die Methoden des Klassenkampfes berufen. So wurde schließlich für den 5. August ein spontaner Generalstreik angekündigt. Die Hongkong Confederation of Trade Unions (HKCTU) verlautbarte, dass 96 Teilgewerkschaften unter ihrer Kontrolle an dem Streik teilnehmen würden.
Der Ruf nach einem Generalstreik war bereits seit dem Ausbruch der Bewegung präsent. Carrie Lams Weigerung zurückzutreten bestärkten diese Position noch weiter. Doch bereits vor den Streikaktionen am 5. August setzten die Massen in Hongkong den Bossen schwer zu. Die Financial Times berichtete, dass die (privaten) unternehmerischen Tätigkeiten den tiefsten Punkt seit der letzten Weltwirtschaftskrise erreicht haben

Im Angesicht dessen hält sich die liberale „Civil Human Rights Front“ allerdings bedeckt und wechselte mehrmals ihre Haltung zu einem möglichen Generalstreik – anstatt ihn ernsthaft zu organisieren. Die HKCTU, die sich als gewerkschaftlichen Gegenpol zur Beijing-treuen Hongkong Federation of Trade Unions (HKFTU) rühmt, charakterisierte den Generalstreik als „massenhaften freien Tag“, oder „kollektiven Krankenstand“, d.h. die ArbeiterInnen sollen mit der Erlaubnis ihrer Chefs, oder zumindest im legalen Rahmen, der Arbeit fern bleiben.

Die Bilanz des 5. August sind, laut der Vorsitzenden der HKCTU, 35.000 Streikende. Der größte Erfolg gelang am Hongkong International Airport wo über 3000 FlugbegleiterInnen, PilotInnen und Angehörige des Bodenpersonals in den Krankenstand getreten sind, was sofort zu einem Ausfall von über 250 Flügen führte.

Auch größere Teile des öffentlichen Verkehrs wurden zeitweise lahmgelegt, doch gerade dort zeigt sich auch die Schwäche der zögerlichen Gewerkschaftsführung. Einige U-Bahn-Stationen wurden nämlich nicht von den ArbeiterInnen direkt bestreikt, sondern von – vor allem jungen – DemonstrantInnen blockiert. Diese taten zwar was sie konnten, um Außenstehende und Verkehrsangestellte gleichermaßen von der Notwendigkeit des Streiks zu überzeugen, erreichten aber schlussendlich nur gemischte Ergebnisse: Die Mehrheit der ArbeiterInnen konnten sie nicht gewinnen. Dies wäre aber notwendig gewesen, um den Verkehr komplett zum Stillstand zu bringen und dem Streik auch in den Augen der pendelnden Bevölkerung Legitimität zu verleihen.

Eine Ausweitung auf die Arbeiterklasse am chinesischen Festland ist der einzige Weg nach vorne für die Bewegung. Gerade aus Angst davor zögert die Führung in Beijing damit, die Armee auf Hongkong loszulassen. Gleichzeitig kann sie es sich auch nicht riskieren, die Bewegung mit Zugeständnissen zur Ruhe zu bringen und ihr dadurch Selbstvertrauen zu verleihen.

Den Regierungen in Beijing und Hongkong bleibt nichts anderes übrig, als auf Zeit zu setzen. Zunehmende Polizeirepressionen und das Ausbleiben einer klassenkämpferischen Führung würden die Bewegung auf Dauer demoralisieren. Eine genuine Streikbewegung, mit Streikkomitees in den Betrieben, anstatt sich individuell einen Tag frei zunehmen, würde eine völlig veränderte Dynamik erzeugen. Doch das wäre nur der erste Schritt vorwärts. Um wirklich weiter zu kommen, müssen sich die kämpfenden Hongkonger an die Festlandsbevölkerung wenden und den Lügen der Beijinger Führungsriege ein Programm entgegensetzen, das die ökonomischen und politischen Kämpfe der Chinesischen ArbeiterInnen miteinbezieht. Denn die chinesische Arbeiterklasse ist mächtig. Erwacht dieser schlummernde Riese erst einmal, wird er die Welt erschüttern.

(Funke Nr. 176/28.8.2019)


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