Vergangenen Donnerstag kehrte Benazir Bhutto, die Vorsitzende der Pakistan People's Party (PPP), nach 8 Jahren im Exil nach Pakistan zurück. Damit hat der Wahlkampf für die bevorstehenden Parlamentswahlen begonnen. Begrüßt wurde sie von einer riesigen Massendemo, die jedoch von einem Selbstmordattentat je unterbrochen wurde.

Die Rückkehr von Benazir Bhutto wurde zu einem Mega-Fest der Unterdrückten und Ausgebeuteten. Rund 3 Millionen Menschen waren dem Aufruf der PPP gefolgt und sahen diesen Tag als eine Art Wiedergeburt ihrer Partei. Die PPP ist ein Produkt der revolutionären Ereignisse in Pakistan in den Jahren 1968-9 und wird von den arbeitenden Massen seither als ihre Partei gesehen. Benazir Bhutto ist die Tochter des Parteigründers Zulfiqar Ali Bhutto und war in den 1980ern und 1990ern bereits zwei Mal Ministerpräsidentin. In beiden Fällen setzte sie eine pro-imperialistische Politik um, und auch diesmal gingen ihrer Rückkehr nach Pakistan intensive Verhandlungen mit den USA und dem herrschenden Regime unter Präsident und Ex-Militärdiktator Musharraf voraus. Sie präsentiert sich als „staatstragend“ und „pro-marktwirtschaftlich“. Sie weiß, dass das Weiße Haus Musharraf derzeit noch nicht fallen lassen will. Bhuttos Rolle aus der Sicht der USA ist es jedoch, der Quasi-Militärdiktatur von Musharraf ein „demokratisches Gesicht“ zu verleihen. Mit einer Regierung der nationalen Einheit soll dem „Extremismus“ im Lande der Nährboden entzogen werden. Sie sichert der „Weltöffentlichkeit“ (und wenn sie dieses Wort verwendet, dann meint sie USA) bei jeder Gelegenheit ihre Unterstützung für die NATO in Afghanistan zu. Pakistan müsse ein enger Verbündeter der USA im „Krieg gegen den Terror“ bleiben. In diesem Sinne brauche es auch einen Deal der PPP mit dem Militär, so Bhutto.

Trotz alledem...

...bleibt die PPP in den Augen der Mehrheit der Unterdrückten und Ausgebeuteten die einzige Alternative zum Status quo. Die PPP steht auch heute noch für den Slogan der 1968er-Revolution „Brot, Kleidung, Wohnung“. Dies erklärt auch, warum aus allen Teilen des Landes über alle nationalen, ethnischen und religiösen Grenzen hinweg so viele Menschen nach Karachi kamen, um ein politisches Zeichen für eine politische Wende in Pakistan zu setzen. In Hunderten Bussen und Hunderttausenden PKW waren die AnhängerInnen der PPP oft stundenlang angereist.
Die MarxistInnen in der PPP

Die GenossInnen der marxistischen Strömung „The Struggle“ in der PPP hatten schon vor langem die Perspektive aufgestellt, dass die Rückkehr von Benazir Bhutto zu einer Massendemo gegen die herrschenden Verhältnisse werden würde und konzentrierten ihre Kräfte voll auf dieses Ereignis. Sie produzierten ein eigenes Flugblatt (siehe unten), von dem sie 50.000 Stück auf der Demo verbreiteten. Genosse Manzoor Ahmed, PPP-Parlamentsabgeordneter von Kasur, hatte aus seinem Wahlkreis einen Konvoi mit Tausenden AnhängerInnen mobilisiert. Mehr als 24 Stunden waren diese GenossInnen unterwegs nach Karachi. Ähnliche Mobilisierungen gab es von Jampur, Quetta, Kalat, Rahim Yar Khan, Sadiqabad, Multan, Jhang, Rawalpindi, Pakhtoonkhwa, dem Kashmir und verschiedenen Bezirken aus Sindh.

Die GenossInnen aus Karachi selbst organisierten Kundgebungen und Camps mit Veranstaltungen entlang der Demoroute. Federführend dabei die GenossInnen aus dem riesigen Stahlwerk in Karachi, die letztes Jahr einen historischen Kampf gegen die Privatisierung der Stahlindustrie geführt hatten. Überall intervenierten die GenossInnen mit sozialistischen Losungen und auf der Hauptbühne wurde ein Transparent angebracht, auf dem „Sozialismus oder Tod“ stand. In Layari, der Hochburg der PPP in Karachi, mobilisierten die GenossInnen Tausende ArbeiterInnen zur Parade.
Das Flugblatt der „Struggle“-Strömung stieß auf ein großes Echo unter den DemoteilnehmerInnen. Großes Aufsehen erregten sie außerdem mit dem Anzünden von US-Fahnen vor nationalen und internationalen Kamerateams. Diese antiimperialistische Geste wurde ebenfalls von den DemoteilnehmerInnen mit großer Begeisterung aufgenommen.

Das Selbstmordattentat

Und plötzlich mitten in die Feierstimmung jagten sich zwei Selbstmordattentäter in der Nähe des LKW, auf dem die Führung der PPP durch die Straßen fuhr, in die Luft. Rund 150 Menschen kamen dabei ums Leben, darunter die Sicherheitsleute von Bhutto. 600 Menschen wurden verletzt.
Die beiden Selbstmordattentate lösten Panik und Chaos aus. Unter diesen Umständen war es unmöglich die Parade fortzusetzen. Benazir Bhutto und der Rest der Führung wurde unverzüglich in Sicherheit gebracht, zurück blieben die unmittelbaren Opfer der Anschläge.

Die GenossInnen der „Struggle“-Strömung gehörten zu den ersten die konkrete Hilfe organisierten. Genosse Harish, ein Arzt, beteiligte sich an der medizinischen Erstversorgung. Andere GenossInnen organisierten den Transport von Verletzten und leisteten psychologische Betreuung für die Opfer. In dieser Notsituation gelang es mehrere Hundert Menschen davon zu überzeugen, aktiv bei der Ersten Hilfe mitzumachen. Gleichzeitig erklärten die GenossInnen, dass dies ein Anschlag gegen alle ArbeiterInnen und LandarbeiterInnen in Pakistan war.

Erst nach geraumer Zeit kamen Militärs um die Sache in die Hand zu nehmen. Sie versuchten die Menschenansammlungen aufzulösen. Die von unseren GenossInnen organisierten Gruppen reagierten darauf jedoch mit einer spontanen Protestkundgebung gegen die Militärdiktatur und riefen: "Zinda hai Bhutto! Zinda hai!" (Bhutto lebt) und "Har ghar se Bhutto Nikle ga! Tum kitne Bhutto maro ge!" (Wie viele Bhuttos wollt ihr töten? Bhutto wird aus jedem Haus herauskommen!).

Die meisten Opfer stammten aus den ärmsten Stadtteilen Karachis. Die GenossInnen von „The Struggle“ beteiligten sich an den Trauermärschen und besuchten die Hinterbliebenen um ihnen Beleid zu wünschen.

Was kommt jetzt?

In den vergangenen Monaten rückte Pakistan immer mehr in das Interesse der Weltöffentlichkeit. Das generelle Bild von Pakistan ist jenes von einem Land, das am Abgrund steht. Die staatlichen Institutionen werden von einer Krise nach der anderen erschüttert. Und dem liegt eine tiefe sozio-ökonomische Krise zugrunde.

Der pakistanische Staat war von Anbeginn an, nach der Partition (Teilung des indischen Subkontinents 1947 nach der Unabhängigkeitserklärung, Anm.), ein sehr schwaches Gebilde. Erschwert wird die Ausgangsposition des pakistanischen Regimes und der herrschenden Klasse in Pakistan weiters dadurch, dass sie unter dem ständigen Druck des Imperialismus stehen. Unter der Militärdiktatur von Zia ul Haq und später von Musharraf haben Teile des Militärs in großem Stil von der Privatisierungspolitik profitiert und eigene kapitalistische Interessen entwickelt. Ein Viertel der Wirtschaft wird vom Militär kontrolliert. Sie sind dabei aber nicht vielmehr als Handlanger multinationaler Konzerne und setzen rigide die Richtlinien des IWF und der Weltbank um.

Diese Konstellation hat zu einem höchst explosiven Gemisch geführt. Die herrschende Klasse setzte zur Absicherung ihrer Macht nämlich immer schon auch auf die islamistische Karte. Militär und Geheimdienst pflegten enge Kontakte zu islamistischen Kräften. Dies geht zurück auf die 1980er Jahre, als die USA mit Hilfe des pakistanischen Geheimdienstes den Jihad in Afghanistan unterstützten. Seit dem 11. September und dem Afghanistan-Krieg sind die islamistischen Kräfte aber in offenen Widerspruch zum US-Imperialismus geraten. Im Militär und im Geheimdienst gibt es eine mehr oder weniger offene Spaltung anhand dieser Frage. Dahinter stehen noch dazu handfeste ökonomische Interessenskonflikte.

Pakistan gehört heute zweifelsohne zu den Ländern, in denen die kapitalistische Barbarei am drückendsten ist. Es handelt sich um eine Gesellschaft im Niedergang. 78 Prozent der Bevölkerung leben von weniger als 2 $/Tag. 82 Prozent sind zu arm, um sich eine ordentliche medizinische Versorgung leisten zu können. 68 Prozent aller Erkrankungen sind Folgeerscheinungen der Armut. In keinem anderen Land der Erde wird ein derart geringer Prozentsatz des BIP für das Gesundheitssystem ausgegeben (nämlich 0,5% im Jahr 2005). 54 Prozent aller Kinder gehen nicht zur Schule. Lediglich 1 Prozent des BIP fließt in das Bildungswesen.

Die damit verbundene soziale Krise nimmt barbarische Ausmaße an. In den westlichen Medien wird dabei immer wieder von der Gefahr einer islamistischen Machtübernahme gesprochen. Entlang der Grenze zu Afghanistan gibt es tatsächlich eine Art „Talibanisierung“. In diesem Gebiet haben sich die Taliban festgesetzt. Die Armee erwies sich bisweilen als unfähig die Menschen dort zu beschützen und verliert zusehends an Glaubwürdigkeit und Autorität.

Angesichts der wachsenden militärischen Auseinandersetzung mit dem islamischen Fundamentalismus machen hohe Militärs Druck, damit nach den Wahlen Maulana Fazl ur Rehman, der Führer der Jamiat Ulema-i-Islam (JUI), in der Regierung vertreten sein soll. Die JUI bildet das Rückgrat des Wiederauflebens der Taliban in Afghanistan wie auch in Pakistan und gehört zu den größten Profiteuren des Drogenhandels in der Region. Sollte die JUI tatsächlich Teil der Regierung werden, ist es unvorstellbar, dass Pakistan den US-„Krieg gegen den Terror“ zu führen vermag. Präsident Musharraf stand schon die längste Zeit unter dem Druck des US-Imperialismus einerseits und dieser pro-islamistischen Kräfte in seinen eigenen Reihen andererseits. Daran wird sich in der nahen Zukunft nichts ändern. Ganz im Gegenteil. Die Widersprüche werden sich immer mehr über ihm auftürmen.
Was die pakistanischen MarxistInnen jedoch zum jetzigen Zeitpunkt für unrealistisch halten, ist eine Machtübernahme durch den islamischen Fundamentalismus. Damit soll aber die Gefahr, die von diesen Kräften unter den Bedingungen dieser sozialen und politischen Krise ausgeht, keinesfalls klein geredet werden.

Für eine revolutionäre Alternative

Die Massendemo der PPP-Anhängerschaft bei der Rückkehr von Benazir Bhutto hat gezeigt, dass die Ausgebeuteten und Unterdrückten vor den Mullahs am Zug sein werden. Bhutto will auf der Grundlage des Deals mit Musharraf zum verlängerten Arm des Weißen Hauses in der pakistanischen Regierung werden. Bei den bevorstehenden Wahlen werden aber „die da unten“ eine Stimme für die PPP mit einer Stimme gegen Privatisierungen, Arbeitslosigkeit und die soziale Misere verbinden. Sobald Bhutto in der Regierung sitzt, wird es eine große Erwartungshaltung ihr gegenüber geben. Allein schon die Tatsache, dass ein Diktator sich mit der von ihm exilierten Oppositionschefin an einen Tisch setzen und verhandeln muss, zeigt wie schwach dieses Regime eigentlich ist. Das wird das Selbstbewusstsein der Massen stärken. Der Massencharakter der Großdemo letzten Donnerstag hat dazu das ihre beigetragen.

Ausgangspunkt der Arbeit unserer GenossInnen in der PPP ist, dass diese Partei aufgrund ihrer Geschichte und Traditionen eine ähnliche Rolle wie die traditionellen Organisationen der ArbeiterInnenbewegung in Europa (wie die Sozialdemokratie) spielt. Die Autorität der PPP-Führung wird vom Imperialismus dazu genutzt, um den Unmut der Massen in geordnete Bahnen zu lenken. Die pakistanischen Massen werden in der kommenden Periode wichtige Erfahrungen machen. Die Rolle der MarxistInnen in Pakistan ist es unter diesen Bedingungen Schulter an Schulter mit den arbeitenden Massen zu stehen und diese Erfahrungen zu verallgemeinern und der Bewegung eine revolutionäre Perspektive zu geben.

Pakistan steuert im Eilzugstempo auf eine Phase größter Instabilität zu. Soziale und politische Unruhen stehen in diesem Land auf der Tagesordnung. Der Imperialismus sieht für Pakistan eine ähnliche Perspektive. Das ist der wahre Grund, warum Washington Benazir Bhutto wieder ins Land zurückgeholt hat. Die kommenden Wahlen werden diesen Prozess aber nicht beruhigen sondern weiter beschleunigen. Es geht jetzt um den Aufbau einer revolutionären Massenströmung, die in dieser Situation eine entscheidende Rolle spielen kann. Es ist unsere Pflicht als InternationalistInnen die Herausbildung einer starken marxistischen Strömung in Pakistan mit allen Mitteln zu unterstützen.


Flugblatt:

Brot, Kleidung und Wohnung (Roti, Kapra aur Makan)

"Ein Militärputsch zeigt, dass der Klassenkampf nicht durch Kompromisse gelöst werden kann. Er wird mit dem Sieg der einen oder der anderen Klasse enden".
Zulfiqar Ali Bhutto "Wenn ich ermordet werde" Seite 55


In Pakistan brennen uns heute die Schmerzen
Die Verletzungen können wir nicht länger ertragen
Arbeitslosigkeit tötet die Träume unserer Mütter
Armut und Teuerungen nehmen unseren Kindern das Leben
Das Gesundheitsbusiness ermordet unsere Alten
Indem Bildung zur Ware wird, bauen sie der jüngeren Generation eine neue Hürde
Das Wasser ist todbringend
Die ständigen Zusammenbrüche der Stromversorgung machen das Leben unerträglich
Der Müll füllt unsere Straßen
Staus machen das Reisen zur Qual
Teuerungswellen bereiten dem Hunger den Weg
Durch Privatisierungen wird unser Reichtum um ein Butterbrot verscherbelt
Die Leiharbeit vernichtet die menschliche Arbeitskraft
Die Barbarei der Mullahs hat Flüsse von jungem Blut zum Strömen gebracht
Der US-Imperialismus bringt Krieg und Elend
Der Feudalismus zerstört das Land und die Bauern
Die kapitalistische Ausbeutung zerstört Leben
Das Leben auf diesem Planeten ist in Gefahr

Unser Programm

1. Stopp Privatisierungen, Leiharbeit, Downsizing, Massenentlassungen und die imperialistische und kapitalistische Politik des IWF und der Weltbank.
2. Für die Enteignung der imperialistischen und kapitalistischen Institutionen, Industrien und Vermögen unter der demokratischen Kontrolle durch die ArbeiterInnen. Alle Ressourcen sollen in Gemeineigentum überführt werden.
3. Setzen wir dem Feudalismus und dem religiösen Fanatismus eine Ende. Brechen wir die Ketten des US-Imperialismus.
4. Für freien Zugang zu Bildung, Gesundheitsversorgung, Energie, öffentlichen Verkehrsmitteln, Wohnen und anderen Grundbedürfnissen der Massen.
5. Schluss mit dem Verbot zur Bildung von Gewerkschaften und Studentengewerkschaften. Volle Gewerkschaftsfreiheit in allen Institutionen und Arbeitsplätzen.
6. Für einen Mindestlohn in der Höhe von 1500 Rs., der an die Inflation gekoppelt ist und eine entsprechende Arbeitslosenunterstützung.
7. Sturz des kapitalistischen Systems durch eine sozialistische Revolution, indem wir auf der Grundlage des Gründungsmanifests der People’s Party eine ökonomisch und politisch gerechte Gesellschaft handeln.


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