Seitdem im August die Taliban die Macht in Afghanistan übernommen haben, verschlechtert sich die Lage jeden Tag mehr und mehr. Von Wasil Faizi.
Laut der Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation (FAO) und dem Welternährungsprogramm (WFP) der UN leiden mehr als 23 Mio. Menschen derzeit täglich Hunger, darunter über 3 Millionen Kinder unter fünf Jahren. Sie brauchen dringend Hilfe: Nahrungsmittel, Trinkwasser, medizinische Versorgung und vernünftige Unterkünfte im Winter. Afghanistan hat rund 39 Mio. Einwohner, das heißt es sind mehr als 55% der Bevölkerung betroffen.
Währenddessen wird die Sicherheitslage immer schlechter: Einerseits häufen sich Entführungen und Geiselnahmen von Geschäftsleuten. Auf der anderen Seite nehmen die Anschläge vom IS in verschiedenen Städten zu. Eines dieser Ziele war eine schiitische Moschee in Kandahar, wobei mehr als 50 Menschen gestorben sind. Alleine von Mitte September bis Ende Oktober gab es mindestens 54 Anschläge seitens des IS. Bisher konnten die Taliban dem nichts entgegensetzen, obwohl sie einen großen Sieg gegen die USA und die afghanische Regierung hinter sich haben.
Der IS nimmt immer mehr die Rolle ein, die die Taliban in den letzten Jahren gespielt hatten. Laut UN ist der islamische Staat jetzt in allen Provinzen von Afghanistan aktiv. Das Wall Street Journal hat darüber berichtet, dass sich auch einige Sicherheitsbeamten der ehemaligen afghanischen Regierung dem IS angeschlossen haben – dahinter kann das Motiv der Revanche stehen. Alle diese Zeichen zeigen, dass der Krieg nicht beendet ist. Und das, nachdem in der Propaganda der Taliban seit 20 Jahre immer einer der wichtigsten Punkte war, dass ihre Machtübernahme Frieden mit sich bringen würde.
Gerade in dieser Situation fangen die Westmächte an, mit den Taliban zu verhandeln. Sie sehen, dass die Schwäche der Taliban gegen den IS und im Bereich der Wirtschaft, Gesundheit, Ernährung usw. gut ausgenützt werden kann, um wieder Fuß in Afghanistan zu fassen.
Ausdruck für diese Bemühungen des Westens sind immer mehr Medienberichte, die eine Spaltung der Taliban analysieren. Tatsächlich gibt es in ihnen verschiedene Cliquen und Strömungen: Die Hauptkonfliktlinien verlaufen zwischen Mullah Baradar, dem neue Vize-Premierminister, und dem Minister für Migranten und Führer des Haqqani-Netzwerks, Khalil ul Rahman Haqqani. Das Haqqani-Netzwerk hatte seinen Sitz in den letzten 20 Jahren in Pakistan und trägt die Verantwortung für viele der brutalsten Anschläge.
Doch wenn in den Medien zwischen „Gemäßigten“ und „Radikalen“ unterschieden wird, wenn Druck ausgeübt wird, dass sie Frauenrechte, Rechte von Minderheiten und Meinungsfreiheit respektieren sollen, deutet das vor allem an, dass die westlichen imperialistischen Mächte gerade versuchen, sich über verschiedene Wege eine eigene Basis innerhalb der Taliban selbst zu schaffen. Denn die Taliban brauchen dringend ihr Geld. Mit dem Abzug der ausländischen Truppen sind auch plötzlich Milliarden von US-Dollars verschwunden, die seit Jahren von den USA und ihren Verbündeten in das System gepumpt und die Grundlage der afghanischen Wirtschaft geworden sind. Der IS könnte letztendlich sogar als Begründung dienen, um wieder in Afghanistan militärisch aktiv zu werden.
All diese politischen Spiele der Taliban, der alten Eliten und der imperialistischen Mächte, führen zu gewaltigem Leid in der afghanischen Bevölkerung. Aber die Massen geben nicht auf und es gab seit dem ersten Tag der Taliban-Regierung Proteste, auch wenn diese nur relativ klein waren. Insbesondere die mutigen Proteste der Frauen um ihre Rechte sind hier zu nennen. Aber auch unter Arbeitern regt sich Unmut. Beispielsweise haben Lehrer (wie viele andere öffentliche Bedienstete) schon monatelang kein Gehalt mehr bekommen, es gibt enorme Wut darüber.
Die Taliban haben keine soziale Basis und sie können dem wachsenden Unmut nur mit Gewalt begegnen. Auf offener Straße oder bei Amtsgängen verprügelt zu werden, wird immer mehr zur Normalität. Immer wieder verschwinden Menschen oder werden tot aufgefunden, nachdem sie festgenommen wurden.
Für die normale afghanischen Arbeiter, Studenten, Tagelöhner und die hungrige Bevölkerung verschlimmert sich die Lage nur und sie sehen, wie alle diese Mächte mit ihrem Land und ihrer Zukunft spielen. Es gibt momentan keine Regierung, keine Macht und keine Partei, der sie vertrauen würden – von den Taliban über die falschen Friedenspropheten im Westen bis zu den eigenen verrotteten Politikern, die sie immer verkauft haben. Die einzige Hoffnung liegt darin, dass die Massen in Afghanistan, der Region und auf der ganzen Welt selbst aktiv werden.
Nur eine internationale sozialistische Revolution kann dieses ewige Elend für Afghanen beenden. Den Kampf gegen Taliban und Kapitalismus vorzubereiten, ist dabei die Aufgabe der jungen afghanischen Revolutionäre!
(Funke Nr. 199/10.12.2021)