Seit Ende Jänner 2022 streikten über 10.000 Lehrerinnen und Lehrer in mehr als 300 Städten. Florian Wahl berichtet über die Streikbewegung und die brutale Gegenreaktion des Mullah-Regimes.
Im Iran kommt es seit 2018 immer wieder zu massenhaften Protestbewegungen. Die zunächst noch spontanen Streiks und Demonstrationen entwickelten sich mit der Zeit zu kontinuierlichen Protesten. Daraus entstanden eine Reihe von Arbeiterorganisationen, so auch das „Koordinationskomitee der Lehrerinnen und Lehrer“ – eine unabhängige und zugleich die größte Gewerkschaft des Lehrpersonals im Iran. Diese Organisation rief Mitte Dezember 2021 zu landesweiten Protesten auf, welche zu Jahresende ihre Fortsetzung fanden. Das herrschende Regime reagierte mit der Niederschlagung der Proteste und mit der Verhaftung Dutzender Gewerkschaftsmitglieder.
Hierzulande verbinden die meisten die diktatorische Herrschaft der theokratischen Elite des Landes mit der Unterdrückung von Frauenrechten und der Verfolgung von Homosexuellen. Wenig bekannt ist aber, dass das Regime auch jegliche Form von gewerkschaftlicher Organisation zu unterdrücken versucht. Die Ausbeutung und Ausblutung in allen Gesellschaftsbereichen zeigen sich auch deutlich im Bereich der Bildung. Als Reaktion darauf stellte das Koordinationskomitee folgende Forderungen auf:
- Erhöhung der Lehrergehälter
- Anpassung und Auszahlung der Pensionen
- Kostenlose Bildung für alle Menschen
- Befreiung von inhaftierten Lehrern und Gewerkschaftsmitgliedern
- Abschaffung der Praxis, Lehrkräfte über Personalagenturen einzustellen.
Fast drei Viertel der Bevölkerung lebt in Armut, darunter auch viele Lehrerinnen und Lehrer, die nicht einmal den Mindestlohn erhalten, welcher selbst nur etwa 10% der monatlichen Ausgaben eines durchschnittlichen Haushalts deckt. Die steigenden Lebensmittelpreise drücken spürbar auf den Lebensstandard. Gleichzeitig bereichern sich die Kapitalisten im Land wie Blutegel am Elend der Massen, die zunehmenden Kürzungen ausgesetzt sind. So reduzierte Präsident Raisi den Staatshaushalt um mehr als 20%, die Ausgaben für den Bildungsbereich wurden um rund 16% gekürzt, während der Repressionsapparat weiter aufgerüstet wurde.
Der Kampf der Lehrerinnen und Lehrer fand von Anfang an Anklang bei weiten Teilen der Arbeiterklasse. So solidarisierten sich beispielsweise die Beschäftigten in der Erdöl- oder der Stahlindustrie, wichtige Industriezweige des Landes. Von Seiten eines Vertreters der Protestbewegungen hieß es zu den Lehrerstreiks: „Die Lehrerinnen und Lehrer im ganzen Land repräsentieren unsere Stimme, die Stimme der Arbeiterklasse und ihrer Kinder, so schön und universell.“
Ökonomischer und politischer Kampf
Die Arbeiterklasse lässt sich von der barbarischen Reaktion des Mullah-Regimes nicht entmutigen, Fortsetzungen der Streiks sind im Februar geplant. Außerdem wird sogar mit einem landesweiten, unbefristeten Lehrerstreik gedroht, der sich durchaus auf andere Sektoren ausweiten könnte. Macht das Regime aber Zugeständnisse, würde dies erst recht andere Teile der Arbeiterklasse zum Kampf ermutigen.
Eine Streikwelle für ökonomische Verbesserungen kann aber nur der erste Schritt sein. Die iranische Arbeiterbewegung muss einen politischen Kampf führen, will sie ihre Situation grundlegend verbessern. Das beginnt mit Grundrechten wie dem Streik- und Versammlungsrecht, oder der Gleichberechtigung für Frauen und nationale sowie religiöse Minderheiten. Das Ziel muss aber der Sturz des Mullah-Regimes sein.
(Funke Nr. 201/23.2.2022)