Aus Sri Lanka erreichen uns in den letzten Wochen Bilder von Massenprotesten immensen Ausmaßes. Auslöser der Proteste ist die akute Versorgungskrise auf der Insel, wo Treibstoff, Medikamente und Nahrungsmittel für die meisten Menschen nicht mehr leistbar sind. Martin Zuba berichtet.

Binnen weniger Wochen hat die Bewegung alle sozialen Schichten erfasst und hinter dem Slogan „Gota Go Home“ vereint. Gemeint damit ist der Präsident Gota Rajapaksa. Vergleichbar mit den rechtspopulistischen Parteien Europas besteht seine Rolle darin, mittels Hetze gegen Minderheiten Mehrheiten für unternehmensfreundliche Politik zu sichern. Gota Rajapakse war Verteidigungsminister, als Regierungstruppen den seit Jahrzehnten schwelenden Bürgerkrieg durch ein Massaker an der Tamilischen Bevölkerung beendeten – zig- bis hunderttausende Menschen wurden gekidnappt, gefoltert und ermordet. Darüber zeichnet sich der Clan Rajapaksa durch besondere Dreistigkeit in Korruption aus. Die Panama-Papers belegten, dass bei zahlreichen öffentlichen Vergaben Milliarden in ihre Taschen fließen.

Der Sturz Rajapaksas wird jedoch selbst die drängendsten Probleme nicht lösen. Denn die Wirtschaftskrise infolge des Einbruchs des Tourismus und des Mangels an Düngemitteln hat Sri Lanka in die Zahlungsunfähigkeit geführt. Großzügige Steuersenkungen trugen ihres dazu bei, dass die Staatskassen nun leer sind. Die Bürgerlichen wollen die Bewegung mit einigen Zugeständnissen zufrieden stellen – etwa die Einschränkung der verfassungsmäßigen Rechte des Präsidentenamts, um weitere Korruptionsskandale zu verhindern – um eine stabile Regierung bilden zu können, die Verhandlungen mit internationalen Geldgebern aufnehmen soll. Doch Kredite des IWF kommen mit der Auflage, „Strukturanpassungen“ vorzunehmen, also arbeiterfeindliche Politik umzusetzen und das Sozialsystem zu zerschlagen.

Kapitalistische Erpressung

Die Erfahrung zahlreicher Aufstandsbewegungen in den letzten Jahren zeigt, dass es leichter ist, korrupte Staatschefs zu stürzen, als einen Ausweg aus der Abhängigkeit von in- oder ausländischen Geldgebern zu finden. Die Regierung Griechenlands 2012 wurde etwa mit dem Versprechen gewählt, die Last der durch die korrupte Vorgängerregierung hervorgerufene Wirtschaftskrise nicht auf die Massen abzuwälzen. 61% der Wahlberechtigten sprachen sich in einer Volksabstimmung dagegen aus, das Ultimatum der Troika anzunehmen und massive Kürzungen im Sozialbereich umzusetzen. Tsipras und seine Partei SYRIZA haben dieses Votum aber verraten und das Diktat der Troika aus EU, IWF und EZB umgesetzt. Aus Sicht der Märkte eine zwingende Notwendigkeit: Solange sich keine Regierung findet, die diese Drecksarbeit macht, wird kein vernünftiger Kapitalist einem bankrotten Staat, dessen hungrige und wütende Bevölkerung bei der Verwendung der Staatskasse mitreden will, einen Kredit geben.

Man muss weiter gehen

Was hätte man stattdessen machen können? Vor dieser zentralen Frage stehen Aufstandsbewegungen in allen Ländern. Ohne Geld aus dem Ausland und die politische Gunst der Kapitalisten wäre die Regierung vor der Herausforderung gestanden, die Wirtschaft, beginnend von der Versorgung mit Gütern des täglichen Bedarfs, abseits der marktwirtschaftlichen Profitlogik neu zu organisieren; sprich den verfügbaren Reichtum der Unternehmen zu enteignen und bestmöglich im Sinne der Gesamtbevölkerung zu mobilisieren – der erste Schritt in Richtung einer Planwirtschaft.

Die objektiven Voraussetzungen für den Erfolg so eines Programms sind gegeben. In Sri Lanka ist das gesamte politische Establishment verhasst, große Teile der Bewegung fordern neben dem Abtritt des Präsidenten „weg mit allen 255“ – gemeint sind die Mitglieder des Parlaments. Der Tod eines Demonstranten infolge von Polizeigewalt vermittelt der Bewegung die Notwendigkeit entschlossenen Handelns, ehe es der Regierung gelingt, die Bewegung mit Repression zu zermürben. Was noch fehlt sind die subjektiven Voraussetzungen: Die Bewegung muss sich organisieren, und die breite gesellschaftliche Basis der Bewegung hinter einem konkreten, effektiven Kampfplan vereinen. Wir sind der Überzeugung, dass es dafür vor allem zwei Dinge braucht: Erstens die Orientierung auf die Arbeiterklasse und den Massenstreik als Kampfform, der die Kapitalisten dort trifft, wo es ihnen weh tut – beim Profit; und zweitens den Marxismus als theoretisches Rüstzeug.

Die Bewegung in Sri Lanka steht derzeit an der vordersten Front, in Wahrheit aber sind die Massen aller Länder im gleichen Kampf gegen die Auswüchse des Kapitalismus in Form von Krieg, Krise und Elend vereint. Ein Erfolg der Bewegung in einem Land wird den Sieg der Bewegung in allen Ländern vorbereiten!

(Funke Nr. 203/22.4.2022)


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