Die Bewegung gegen das iranische Regime geht trotz der massiven Repression des Staatsapparats ungemindert weiter. Der Protest gegen den Mord einer jungen kurdischen Frau hat sich mittlerweile auf mehr als 140 Städte und auch ländliche Gebiete ausgedehnt und das Ausmaß einer revolutionären Bewegung der Jugend gegen das gesamte Regime angenommen. Es bleibt jedoch die Frage der Perspektiven dieser Bewegung. Von Hamid Alizadeh, 28. September 2022.
Das Regime war anfangs von der Geschwindigkeit und der Radikalität der Bewegung überrascht worden, doch nun setzt es verstärkt auf gewaltsame Repression. Nach seiner Rückkehr von der UN-Generalversammlung warnte der iranische Präsident Ebrahim Raisi am Sonntag, dass die Behörden „mit Entschlossenheit gegen jene vorgehen werden, die die Sicherheit und den Frieden des Landes bedrohen“. Seit dem Wochenende wurden unzählige Studierende im ganzen Land verhaftet, und einigen Berichten zufolge wurden bereits 180 Menschen bei den Straßenprotesten umgebracht. In der Zwischenzeit wurde das Internet stark eingeschränkt, und auf den Universitäten wurden alle Vorlesungen in Präsenz durch Online-Veranstaltungen ersetzt, damit die Studierenden nicht in großer Zahl zusammenkommen können.
Dennoch ist es zum jetzigen Zeitpunkt nicht klar, ob die Repression ihr Ziel erreichen kann. In Teheran machte ein Video die Runde, in der die Menge trotzig rief: „Wir werden nicht nach Hause gehen, bevor wir nicht eine Revolution gemacht haben.“ Aufgrund des eingeschränkten Internets ist es nicht gerade einfach, sichere Informationen zu bekommen, was es schwierig macht, die Lage vor Ort richtig einzuschätzen. Doch Videos und Bilder von Jugendlichen, die Sicherheitskräfte attackieren und Autos in Brand setzen machen weiterhin die Runde. Auch Büros von religiösen Einrichtungen und Sicherheitsbehörden werden weiterhin angezündet, Plakate mit Regimepropaganda verbrannt.
Nach Razzien in Studentenheimen und in Universitäten, bei denen hunderte Studierende verhaftet wurden, reagierten Studentenvereinigungen und riefen zu einem nationalen Studentenstreik auf, um die Freilassung aller politischen Häftlinge zu fordern. Der Streik soll laut Berichten von 15 Studentengewerkschaften, einschließlich jener an der Sharif Universität für Technologie, der Al-Zahra Universität, der Khawaja Nasiruddin Tousi Universität, Khwarazmi, Sourah, Chamran Ahvaz, Sahand Tabriz und Boli Sinai Hamedan unterstützt werden. In Tabriz streiken auch alle Zahnmedizinstudenten mit Ausnahme jener, die im Notdienst tätig sind. Es gab auch Aufrufe an das Universitätspersonal sich dem Streik anzuschließen, was teilweise auch von Professoren befolgt wurde.
Seit Samstagnacht wurden etwliche Studierende im ganzen Land verhaftet. Bild: Darafsh
Am Sonntag rief der Koordinationsrat der Iranischen Lehrerverbände für Montag und Mittwoch (Dienstag war ein Feiertag) zu Streiks auf, um ein Ende der Repression und die Freilassung aller verhafteten StudentInnen zu fordern. In Shiraz, Isfahan, Teheran und Khuzestan riefen die lokalen Lehrergewerkschaften ihre Mitglieder dazu auf, sich den Protesten anzuschließen. Aus Angst vor dem Einfluss von Streiks haben die Behörden in mehreren Städten, darunter Shiraz und Qazvin, sowie in der Provinz Alborz, präventiv am Montag die Schulen unter dem Vorwand „überhöhter Luftverschmutzung“ geschlossen.
Der Rat zur Organisierung von Protesten der Erdölarbeiter, eine Vereinigung, die in den vergangenen Jahren mehrere landesweite Streiks organisiert hat, ging ebenfalls mit einer Streikdrohung an die Öffentlichkeit, sollte das Regime die Repression nicht einstellen.
Gruppen von Arbeitern, die in organisierter Weise die Bühne betreten, das ist ein wichtiger Schritt vorwärts für die Bewegung. Doch die aktuelle Situation verlangt mehr als nur Streikdrohungen bzw. begrenzte Streikaktionen. Das einzige, was die Repression wirklich stoppen kann, ist ein wirklicher Generalstreik, der das Regime zu paralysieren vermag und in der Gesellschaft die Machtfrage stellt. In einigen Regionen wurde der Ruf nach einem Generalstreik laut, und auch eine unbekannte Aktivistengruppe hat in den sozialen Medien diese Idee verbreitet. Diese Initiativen gilt es aufzugreifen und zur Kampfparole der gesamten Bewegung zu machen.
Solch ein Streik muss organisiert und vorbereitet werden durch den Aufbau von Aktionskomitees und Räten in jedem Stadtteil, jeder Bildungseinrichtung und in jedem Betrieb. Diese Komitees müssen lokal, regional und landesweit miteinander verbunden werden. Wenn die Jugend auf den Straßen auch enormen Mut und Opferbereitschaft an den Tag gelegt hat, alleine kann sie das Regime nicht stürzen. Aus diesem Grund ist die Beteiligung der Arbeiterklasse in organisierter Art und Weise von entscheidender Bedeutung. Nur so kann der Repressionsapparat außer Tritt gebracht werden und die Bewegung wieder Momentum erlangen.
Die Isolation durchbrechen
Der heroische Kampf der iranischen Jugend und speziell der Frauen im Iran fasziniert Millionen Menschen auf der ganzen Welt. Die Haltung dieser jungen Menschen steht im direkten Widerspruch zu jener der liberal-demokratischen Reformier, die 2009 die „Grüne Bewegung“ anführten und sich selbst als Wortführer der Demokratie darstellten, aber in Wirklichkeit jahrelang vor den Hardlinern des Regimes buckelten, um ein paar kleine Zugeständnisse zu bekommen. Im Gegensatz zu den Reformern, die vom Regime benutzt wurden, um die Kämpfe der Massen in sichere Kanäle zu lenken, hat die heutige Bewegung die Mullahs in Angst und Schrecken versetzt.
Doch so inspirierend diese Bewegung auch ist, muss uns doch bewusst sein, dass die Zahl derer, die sich aktiv auf der Straße gegen das Regime stellen, noch immer relativ klein ist, und dass es erst darum geht, die aktive Unterstützung der Masse der Arbeiter und der Armen zu mobilisieren. Nur so kann die Bewegung einen entscheidenden Schritt vorwärts machen. Die Mehrheit der iranischen Bevölkerung sympathisiert mit der Bewegung, aber die meisten sind noch zögerlich, wenn es darum geht, sich mit ganzer Kraft an den Protesten zu beteiligen. Denn die meisten sehen darin noch keine glaubwürdige Alternative zum gegenwärtigen System.
Die letzten fünf Jahre waren die turbulentesten in der Geschichte der Islamischen Republik, dem Regime, das 1979 die verhasste Monarchie ersetzt hat. Seit 2018 haben wir eine Vielzahl von lokalen, aber auch landesweiten Kämpfen gesehen: gegen Wasserknappheit, gegen Teuerung, Korruption, den Abschuss des Ukraine International Airlines Fluges 752, die Unterdrückung nationaler Minderheiten und Angriffe auf demokratische Rechte, das Gesundheitssystem, die Bildung, die Pensionen, Löhne usw.
In diesem Zeitraum haben wir die größten Streiks seit der Revolution von 1979 gesehen. Fast jede Woche brachen irgendwo neue Kämpfe aus. Nichtsdestotrotz blieben diese Kämpfe allesamt isoliert, auch wenn keiner dieser Kämpfe als isoliertes Phänomen gesehen werden darf. Was sie alle widerspiegeln und wodurch sie letztlich auch verursacht werden, ist die Tatsache, dass der Kapitalismus im Iran in einer Sackgasse steckt und nicht imstande ist, die grundlegendsten Bedürfnisse der Gesellschaft zu befriedigen. Die Aufgabe von Revolutionären ist es, genau diese Lehre zu ziehen und daraus eine Praxis zu entwickeln, indem all diese Kämpfe zu einer großen Bewegung miteinander verknüpft werden, die das Problem an der Wurzel packt.
Für ein revolutionäres Programm
Die gegenwärtige Bewegung entsprang dem Kampf für Frauenrechte, für die Rechte der nationalen Minderheiten und generell für demokratische Rechte. Diese müssen konkretisiert werden zu der Forderung nach einer Beendigung jeder Unterdrückung und nach der vollen rechtlichen Gleichstellung aller Menschen im Iran, unabhängig von Geschlecht, sexueller Orientierung und Nationalität. Dazu fordern wir die Auflösung der Sittenpolizei, der Basij und der paramilitärischen Truppen der Revolutionsgarden samt dem Geheimdienst, die Freilassung aller politischen Gefangenen, volle Meinungs- und Pressefreiheit, das Recht sich zu organisieren, und die Einberufung einer verfassungsgebenden Versammlung mit freien und fairen Wahlen, die von demokratischen Räten, von den Massen selbst einberufen, organisiert werden.
Die Forderung nach gleichen Rechten für nationale und religiöse Minderheiten muss Hand in Hand gehen mit der Forderung nach dem Recht auf Bildung in der eigenen Sprache, wenn das gewünscht ist, sowie einem Sofortprogramm an Investitionen zur Entwicklung der strukturschwachen Gebiete.
Die Bewegung muss unter anderem für die Auflösung der Sittenpolizei kämpfen. Bild: Satyar Emami
Demokratie für sich genommen wird aber die brennenden Probleme und Hoffnungen der Massen nicht erfüllen. Es ist kein Zufall, dass die Losung „Brot, Arbeit, Freiheit“, einer der Hauptslogans der 1979er-Revolution, jetzt wieder die Runde macht. Die Bewegung muss den Kampf für demokratische Rechte mit dem Kampf für wirtschaftliche und politische Forderungen verknüpfen.
Vor allem muss die Forderung für die Beseitigung der sogenannten „Blanko-Arbeitsverträge“ erhoben werden, mit denen 90 Prozent aller Erwerbstätigen beschäftigt sind und in denen die Arbeitszeit und die Dauer des Beschäftigungsverhältnisses nicht geregelt sind. Stattdessen sollten alle ArbeiterInnen unbefristete, reguläre Arbeitsverträge erhalten. Dieser Kampf sollte verbunden werden mit der Forderung nach Löhnen, von denen man auch wirklich leben kann. Seit Jahrzehnten sinken die Reallöhne. Die Arbeiterorganisationen sollten festlegen, welche Lohnhöhe es brauchen würde, um einen würdigen Lebensstandard zu garantieren, und zwar nicht für die, die aktiv im Erwerbsleben stehen, sondern auch für PensionistInnen. Gleichzeitig braucht es angesichts der Inflation eine gleitende Lohnskala, die davor schützt, dass die Löhne von der Teuerung aufgefressen werden. Die Wochenarbeitszeit sollte auf 30 Stunden reduziert werden, um allen eine Beschäftigung zu ermöglichen.
Um diese Maßnahmen finanzieren zu können, müssen alle großen Unternehmen verstaatlicht und alle privatisierten Unternehmen und Banken wieder in gesellschaftliches Eigentum überführt werden. Alle Unternehmen in staatlichem Eigentum müssen sofort unter Arbeiterkontrolle gestellt werden und von den ArbeiterInnen selbst verwaltet werden. Die Profite dieser Unternehmen müssen für die Entwicklung der Gesellschaft und die Anhebung des Lebensstandards eingesetzt werden, anstatt die korrupten Günstlinge des Regimes, die dort das Sagen haben, zu füttern. Die Geschäftsbücher dieser Unternehmen müssen geöffnet werden, und das Vermögen all jener, die sich dort bereichert haben, konfisziert werden. Das gilt auch für all jene, die sich an öffentlichen Geldern bereichert haben.
Die verstaatlichte Wirtschaft muss auf der Grundlage eines nationalen, demokratischen Plans unter direkter Einbeziehung der arbeitenden Massen neu organisiert werden, die über diesen Plan mittels ihrer eigenen Organisationen abstimmen. Auf diesem Weg kann die Basis für eine schnelle Entwicklung und Industrialisierung der Wirtschaft gelegt werden, womit es möglich wäre, die Mehrheit der Gesellschaft aus einem Zustand der Armut emporzuheben.
Solch ein Programm muss von den Kampforganisationen der Massen entwickelt, konkretisiert und wenn nötig abgeändert werden. Auf diesem Weg wäre es möglich, die Mehrheit der iranischen Arbeiterklasse, der Jugend und der Armen, die unter der Last des Kapitalismus leiden, in den Kampf einzubeziehen, die einzelnen Kämpfe zu vereinen mit dem Ziel, das Regime zu stürzen und ein neues basierend auf der Macht des Proletariats aufzubauen.
Die Frage der Führung
Mangels einer revolutionären Führung und eines Programms erscheint vielen in der Bevölkerung Reza Pahlavi, der Sohn von Mohammad Reza Pahlavi, der von der 1979er-Revolution gestürzt worden war, als einzige Alternative. Der Einfluss dieses Möchtegern-Prinzen wird von den westlichen und den von Saudi-Arabien unterstützten Medien maßlos übertrieben. Er wird als die große Zukunftshoffnung der iranischen Massen porträtiert. Selbst bezeichnet er sich gerne als liberaler Demokrat, dessen einzige Sorge dem iranischen Volk gehört. In diesen Tagen stachelt er die Bewegung an, sie möge auf den Straßen weiterkämpfen, das Regime stürzen und eine konstitutionelle Monarchie errichten.
Die einzige Alternative, die sich den Massen darbietet, ist bisher Reza Pahlavi, der Sohn Mohammed Reza Pahlavis, der in der 1979er Revolution gestürzt wurde. Bild: Gage Skidmore
Diese Propaganda könnte aber heuchlerischer nicht sein. Pahlavi versucht es so darzustellen, als habe sein Vater über eine offene, liberale Gesellschaft geherrscht, wo die Rechte der Menschen eingehalten wurden. In Wirklichkeit stand der alte Schah einem für seine Brutalität berüchtigten Regime vor, wo Tausende verhaftet, gefoltert oder gar ermordet wurden, wenn sie die herrschende Ordnung auch nur ansatzweise ablehnten.
Wie es um die angeblich demokratische Haltung des jungen Pahlavi steht, kann man daran ermessen, dass er vom Regime in Saudi-Arabien unterstützt wird, das sich auf die reaktionärste Form des islamischen Fundamentalismus stützt und in dem der Mehrheit der Bevölkerung jegliche demokratische Rechte vorenthalten werden.
Die meiste Unterstützung erhält er jedoch vom westlichen Imperialismus, der den Iran jahrzehntelang wie eine Halbkolonie in Abhängigkeit hielt. Den zahlreichen Verbrechen der Vergangenheit kann das gegenwärtige Sanktionsregime hinzugefügt werden, das die schärfsten Wirtschaftssanktionen der Geschichte umfasst. In Wirklichkeit handelt es sich um eine Wirtschaftsblockade, die eine Wirkung wie ein Krieg hat. Washington ist somit für die schlimmsten Verbrechen gegen die iranische Bevölkerung verantwortlich. Die USA haben die iranische Wirtschaft zugrunde gerichtet und Millionen Menschen im Iran zu Armut verdammt.
Reza Pahlavis einzige Antwort auf diesen grausamen Wirtschaftskrieg ist, dass er den Westen dafür kritisiert, mit der Führung der Islamischen Republik überhaupt zu verhandeln und eine Lockerung der Sanktionen anbietet, sollte der Iran sein Nuklearprogramm drosseln. In Wirklichkeit besteht der Konflikt zwischen den Monarchisten und ihren Herren im Westen einerseits und dem jetzigen Regime auf der anderen Seite nur darin, wer von der Ausbeutung der arbeitenden Menschen im Iran Nutzen ziehen soll.
Die Tatsache, dass sich die Monarchisten jetzt als Verteidiger der Menschenrechte und als Unterstützer der Revolution im Iran darzustellen versuchen, schwächt die gegenwärtige Bewegung nur, weil dadurch in der breiten Bevölkerung Zweifel geschürt werden, ob man diesen Kampf wirklich unterstützen kann. Auf diese Art und Weise spielen die Monarchisten dem Regime in die Hände, das seit Jahrzehnten die Vorstellung einer Bedrohung von außen durch den westlichen Imperialismus nutzt, um die Massen dazu zu bringen, die Herrschaft des Klerus zu akzeptieren.
In einem Interview mit „Iran International“, einem der vielen von Saudi-Arabien finanzierten iranischen Media Outlets, rief Reza Pahlavi zur Einheit aller politischen Kräfte gegen das Regime auf:
„Die Welt sollte wissen, dass es eine Alternative gibt, und die besteht darin, dass die politischen Kräfte über den Protest auf der Straße hinaus zusammenarbeiten können. Wir mögen unterschiedliche politische Ansichten haben über den Iran von morgen, aber zum jetzigen Zeitpunkt müssen wir uns zusammentun für unser gemeinsames Ziel, geeint das Land zu retten.“
Einige AktivistInnen haben derartige Aufrufe zur Einheit aller politischen Kräfte, unter Einschluss der Monarchisten und der Liberalen, aufgegriffen. Doch das ist eine reaktionäre Idee, die nur zu einer Niederlage führen kann. Die Interessen der Massen einerseits und jene der iranischen Bourgeois, die vom Westen unterstützt werden, andererseits sind diametral entgegengesetzt. Eine Einheit auf dieser Grundlage bedeutet nur die Unterordnung der Interessen der Arbeiterklasse und der Armen unter jene der herrschenden Klasse, obgleich ihrer glatt rasierten Fraktion. Dadurch werden einige Schichten der Bevölkerung erst recht in die Arme des Regimes getrieben und so die radikale Jugend isoliert. Wir sahen einen ähnlichen Prozess bereits in der Syrischen Revolution, wo die Forderung nach einer westlichen Militärintervention von Teilen der Führung der Bewegung die Arbeiterklasse abschreckte und das Assad-Regime stärkte.
In der vergangenen Woche wurde bei vielen Demonstrationen der Ruf „Tod dem Tyrannen, egal ob Schah oder der Führer (Khamenei, Anm.)“. Das ist ein absolut richtiger Slogan, der Teil des Programms der Bewegung werden muss, wie auch die Forderung nach einem Kampf gegen den Imperialismus.
Im gesamten Nahen Osten haben die Imperialisten und ihre reaktionären Marionetten eine Spur von Chaos und Barbarei hinterlassen. Die einzigen wirklichen Verbündeten der iranischen Revolution sind die ArbeiterInnen und die Armen in der Region, die unter ähnlichen Bedingungen leiden, und die Arbeiterklasse im Westen, die die gegenwärtige Bewegung bejubeln.
Wir haben bereits jetzt gesehen, dass die gegenwärtige Bewegung in den kurdischen Gebieten im Irak, in Syrien und in der Türkei große Sympathie genießt. Doch uns muss bewusst sein, dass darüber hinaus in der gesamten Region die Bedingungen für revolutionäre Massenbewegungen herangereift sind. Ein Aufruf zu einem vereinten Kampf gegen die Herrscher in der Region würde zweifelsohne im gesamten Nahen Osten auf ein gewaltiges Echo stoßen.
Was ist die Alternative?
Mangels einer wirklichen revolutionären Führung ist es den vom Westen unterstützten Monarchisten möglich gewesen, sich als die einzige organisierte Alternative zum jetzigen Regime zu präsentieren. Das haben einige in der iranischen Linken, speziell jene, die sich in der stalinistischen Tradition sehen, zum Vorwand genommen, sich nicht an der jetzigen Bewegung zu beteiligen. Sie stellen die Fragen, wo bleibt die Führung? Was die Alternative zum Mullah-Regime wäre? Das ist eine korrekte Fragestellung. Doch die Schlussfolgerung, die sie ziehen, ist falsch.
Die 1979er Revolution gegen ehemaligen Schah wurde auf kapitalistischer Basis durchgeführt. Bild: sajedir
Es stimmt, dass es abgesehen von den Monarchisten bisweilen keine klare, organisierte Alternative zum jetzigen Regime gibt. Doch die Jugend, die jetzt auf den Straßen kämpft, und die Massen, die hinter den Protesten stehen, haben sich nicht erhoben, weil die Pahlavis sie dazu aufgerufen haben. Sie protestieren, weil sie ihre Lebensbedingungen nicht mehr länger akzeptieren wollen. Die Monarchisten versuchen lediglich, die Bewegung zu kapern und in ihr Gegenteil zu verkehren.
Doch indem sie sich weigern, die Proteste zu unterstützen, überlassen diese „KommunistInnen“ und Linke einfach die Bühne den Monarchisten, die ihre Übernahmeversuche weiter betreiben können, was wiederum dem Regime die Chance gibt, die Bewegung zu zerschlagen. Indem sie sich mit der Beobachterrolle begnügen und sich über die Manöver der Monarchisten beschweren, leisten sie nur einen Beitrag dazu, dass sich die Bewegung von der Linken entfremdet und Unterstützung bei den vom Westen unterstützten Reaktionären sucht. Die Aufgabe von echten KommunistInnen und RevolutionärInnen ist es, der Bewegung zu helfen, ein Programm zu entwickeln und eine Führung aufzubauen, die bislang noch nicht existiert.
Ist nicht gerade jetzt die beste Zeit, eine Führung aufzubauen, wenn die radikalsten Teile auf der Straße Erfahrungen machen und binnen kürzester Zeit sehr viel lernen? Doch das ist nur möglich, wenn man die Bewegung unterstützt und sie politisch begleitet, und dabei die besten Kräfte in der Bewegung zu schulen versucht. Selbst wenn es nicht gelingt, rechtzeitig eine Führung herauszubilden und die Bewegung deshalb eine Niederlage erfährt, wird sich diese Frage immer wieder stellen, bis sie gelöst sein wird.
In jeder Protestbewegung der letzten fünf Jahre haben diese Linken ihre selbe Position vertreten und sie so zur selbsterfüllenden Prophezeiung gemacht.
Wir MarxistInnen unterstützen die revolutionäre Jugend im Iran ohne Wenn und Aber. Aber wir verstehen uns nicht als reine Cheerleader der Proteste. Die Aufgabe von MarxistInnen ist es, die Bewegung Schritt für Schritt zu begleiten und in jeder Phase die notwendigen Schlussfolgerungen zu ziehen. Diese Bewegung hat uns einen Eindruck von der Macht der iranischen Massen gegeben. Doch auf der jetzigen Grundlage, ohne Organisation und ohne revolutionärem Programm, besteht die Gefahr, dass das Regime genügend Zeit gewinnt, sich neu zu formieren und zurückzuschlagen.
In letzter Instanz kann man das Problem auf die Frage des Fehlens einer revolutionären Führung reduzieren. Dieses Problem wird bestehen bleiben unabhängig davon, ob es der Bewegung gelingt, Schritte nach vorne zu machen oder ob sie geschlagen wird. Die ganze Erfahrung der vergangenen Periode lässt uns keinen Zweifel daran. Die wichtigste Aufgabe der iranischen KommunistInnen liegt genau darin, solch eine Führung aufzubauen, sprich eine revolutionäre Organisation aufzubauen, die sich auf die Theorie des Marxismus stützt.
Die Zeit für diese Aufgabe war noch nie reifer als jetzt. Jeden Tag schließen sich neue Schichten der Arbeiterklasse und der Jugend dem revolutionären Kampf an und suchen nach Ideen, die ihnen dabei eine Perspektive bieten können. Der Marxismus ist die einzige umfassende Theorie, die dazu imstande ist.
Über 100 Jahre hat der Kapitalismus in all seinen Ausformungen und Transformationen gezeigt, dass er unfähig ist, die iranische Gesellschaft vorwärts zu bringen. Das war die eigentliche Ursache der Revolution von 1979 gegen den Schah, und das ist letztendlich auch die Basis der jetzigen Bewegung. Die Zeit ist gekommen, eine Führung aufzubauen, die dazu imstande ist, die Arbeiterklasse und die Armen entschlossen zu mobilisieren, um dieses bösartige Krebsgeschwür zu beseitigen und die herrschende Klasse, die dieses System mit allen Mitteln verteidigt, zu stürzen.
- Brot, Arbeit und Freiheit!
- Tod dem Diktator!
- Bauen wir eine revolutionäre Führung auf!
- Für die sozialistische Revolution!
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