Eine erste Stellungnahme zum Krieg in Gaza. Von Walter Leon (In Defence of Marxism).
Seit dem 28. Dezember 2008 führt die israelische "Verteidigungsarmee" die Operation "Gegossenes Blei" gegen die Menschen im Gazastreifen. Nachdem bei den Bombenangriffen über 450 Menschen ihr Leben verloren, geht das Sterben nach Beginn der Bodenoffensive weiter. Hauptziel dieser Aggression gegen die palästinensische Bevölkerung ist die Zerschlagung der islamistischen Hamas-Bewegung. Israel reiht seinen Kampf gegen die Hamas in den von Bush initiierten „weltweiten Kampf gegen den Terror“ ein und erhält dafür den Beifall der meisten westlichen, aber auch der sekulären, US-freundlichen arabischen Regierungschefs von Ägypten und Saudi Arabien.
Die herrschende politische Klasse Israels braucht dringend einen militärischen Erfolg, nachdem der Feldzug gegen die Hisbollah im Libanon 2006 scheiterte und jetzt Wahlen bevorstehen. Die Führer der regierenden Kadima- und der Arbeitspartei möchten diese Wahlen gewinnen und führen einen „Wahlkampfkrieg“, wie es der Sprecher der Friedensbewegung Gush Shalom, Uri Avneri, ausdrückte. Bereits der ehemalige Regierungschef Menachem Begin nutze eine Militäraktion während des Wahlkampfes 1981, bombardierte irakische Atomreaktoren und gewann die Wahlen. Anders erging es Shimon Peres, der den ersten Libanon-Krieg vor den Wahlen 1996 befahl und nicht wiedergewählt wurde, als dieser nicht erfolgreich verlief. Verteidigungsminister Barak (Arbeitspartei) und Außenministerin Tzipi Livni (Kadima) haben auf diesen Trick zurückgegriffen und die aktuellen Umfragen scheinen ihnen Recht zu geben. Die Umfragewerte für die beiden Regierungsparteien stiegen nach den ersten Bombenangriffen auf Gaza sprunghaft an, bei der Arbeitspartei um 5 Sitze. "Ungefähr 80 tote Palästinenser für einen Knesset-Sitz," wie es Uri Avnery verbittert ausdrückte. Hunderte, vielleicht Tausende Tote, um die politische Macht zu erhalten, sind ein deutliches Zeichen für ein verkommenes imperialistisches System.
Der Krieg gegen die Hamas
Israel erklärt, die Bombenangriffe dienten dem Schutz der eigenen Bevölkerung im Süden des Landes, die während des sechsmonatigen Waffenstillstands wiederholt von Raketen aus Gaza angegriffen worden war. Dieser Waffenstillstand war jedoch nie vorhanden, weil Israel die Grenzen zu Gaza blockierte und verhinderte, dass die Menschen mit Lebensmitteln, Brennstoffen und Medikamenten versorgt wurden. Eine solche Blockade gegen 1,5 Millionen PalästinenserInnen war eine kriegerische Handlung. „Sie lähmt das Leben im Gazastreifen: Sie zerstört die Verdienstmöglichkeiten und bringt Hunderttausende an den Rand des Hungers; Krankenhäuser hören auf zu funktionieren; Strom und Wasserzufuhr sind unterbrochen.“ (Uri Avnery) Die Provokationen einzelner Hamas-Anhänger, die Kassam-Raketen auf israelisches Gebiet schossen, wurden zum Anlass genommen, ein Massaker unter der Bevölkerung des Gazastreifens anzurichten.
Die Hamas errang bei den Parlamentswahlen 2006 eine überwältigende Mehrheit, nachdem die palästinensische Bevölkerung das Vertrauen in die die Fatah-Führung verloren hatte, weil diese sich mehr oder weniger als Marionette Israels und der USA erwies. Die Hamas war ursprünglich eine karikative Organisation, die mit Duldung Israels Krankenhäuser und Schulen in den besetzten Gebieten errichtete. Erst 1988 gründete sich die Hamas als Partei. Während die Aktivitäten der PLO von Israel brutal unterdrückt wurden, ließ man der Hamas freie Hand, in der Hoffnung, damit die Palästinenserbewegung zu spalten und der PLO und ihrem damaligen Chef Yassir Arafat die Führungsrolle im Kampf gegen die israelische Besatzung zu entreißen. Die Hamas, die sich gern als anti-imperialistisch präsentiert, ist in Wirklichkeit eine reaktionäre nationalistische Organisation, die einen islamistischen Staat anstrebt, in dem alle Organisationen der Arbeiterklasse verboten würden. Kurz nachdem die Hamas die Kontrolle des Gazastreifens übernahm, gab es einen Übergriff auf die Büroräume des Palästinensischen Gewerkschaftsbundes. Dahinter steckt das Ziel, eine unabhängige Organisation der palästinensischen ArbeiterInnen zu unterdrücken.
Die Haltung der arabischen Nachbarn
Die PalästinenserInnen fühlen sich seit langem von ihren arabischen Nachbarn im Stich gelassen. Als Israel seine Luftangriffe auf Gaza vorbereitete, besuchte die israelische Außenministerin Tzipi Livni den ägyptischen Regierungschef Mubarak, wahrscheinlich um ihn über Israels Absichten zu unterrichten. Mubaraks einzige Reaktion: Er rief die Hamas auf, den Raketenbeschuss einzustellen. Es war auch nichts anderes zu erwarten, hatte sich doch Ägypten aktiv an der Blockade des Gazastreifens beteiligt und zum Handlanger Israels gemacht. Als Hunderte PalästinenserInnen versuchten, während der Luftangriffe nach Ägypten zu fliehen, wurden sie von ägyptischen Sicherheitskräften daran gehindert.
Als sich einzelne arabische Staaten für ein Krisentreffen aussprachen, lehnte Ägypten dies ab und Saudi Arabien meldete „Vorbehalte“ an. Was treibt Ägypten zu einer solchen Politik? Ägypten ist einer der wichtigsten Verbündeten der USA im arabischen Raum im Kampf gegen den radikalen Islamismus und der zweitgrößte Empfänger von US-Militärhilfe. Präsident Mubarak und sein saudiarabischer Amtskollege hoffen, dass durch eine Niederlage der Hamas der Einfluss des Iran und radikalislamistischer Bewegungen in den verschiedenen arabischen Ländern gestoppt wird.
Diese Kalkulation könnte sich als sehr kurzsichtig erweisen. In fast allen arabischen Ländern ist es zu Solidaritätskundgebungen für das palästinensische Volk und die Hamas gekommen. Die arabischen Führer sind wegen ihrer Kollaboration mit Israel bzw. ihrer mangelnden Unterstützung der PalästinenserInnen der Kritik ihrer eigenen Bevölkerung ausgesetzt. Sollte sich die Situation im Gazastreifen weiter zuspitzen, so könnte sich die bereits instabile Situation im Nahen Osten weiter verschlechtern, so dass auch anderswo islamistische Organisationen die Oberhand gewinnen und bisherige sekuläre Regimes hinwegfegen. Damit wäre die Strategie der US- und israelischen Imperialisten gescheitert und der gesamte Nahe und Mittlere Osten würde zu einem explosiven Pulverfass.
Die israelische Arbeiterbewegung
Die israelische Arbeiterbewegung hätte die moralische Pflicht, die Aggressionspolitik der eigenen herrschenden Klasse zu stoppen. Der israelische Gewerkschaftsbund Histadrut sollte sich weigern, jegliche Kriegshilfe zu leisten und seine Mitglieder zu Streiks aufrufen, um zu verhindern, dass Rüstungsgüter produziert oder geliefert werden. Die israelischen und palästinensischen ArbeiterInnen sind natürliche Verbündete. Sie werden am meisten unter dem Krieg leiden, denn schon jetzt verschlingt der aufgeblähte Rüstungshaushalt enorme finanzielle Mittel; dies führt dazu, dass überall die Sozialausgaben gekürzt und weniger Wohnungen, Schulen und Krankenhäuser gebaut werden.
Wir machen uns aber keine Illusionen, weil die israelischen Gewerkschaften und die Arbeitspartei integrale Bestandteile des zionistischen Systems sind und ihre Führungskräfte jegliche Aggression gegen das palästinensische Volk mit dem Existenzrechts Israels begründet. Wer sich dieser Ideologie nicht anschließt, der gilt in Israel als Landesverräter.
Nichtsdestotrotz gibt es in Israel eine Friedensbewegung, die von den westlichen Medien bewusst ignoriert wird, die aber immer wieder ihre Stimme gegen die Aggressionspolitik der herrschenden politischen Klasse erhebt. Es sind ArbeiterInnen, Intellektuelle und Jugendliche, die nicht länger mit ansehen wollen, wie das von den westlichen imperialistischen Ländern hochgerüstete Israel Tausende unschuldige Zivilisten umbringt. Es wäre zu hoffen, dass diese Kräfte an Einfluss gewinnen und besonders Druck auf die FührerInnen der Gewerkschaften und der Arbeitspartei ausüben, um diesen schmutzigen Krieg schnell zu beenden.
Wir fordern:
- Das sofortige Ende aller Aggressionshandlungen gegen die Menschen im Gazastreifen! Abzug der israelischen Bodentruppen! Nein zum Staatsterror und zum individuellen Terror!
- Ein Ende der Blockade, damit die Menschen mit Lebensmitteln, Brennstoff und Medikamenten versorgt werden und sich frei bewegen können!
- Schluss mit den terroristischen Angriffen gegen die Zivilbevölkerung in Israel; die Führung des palästinensischen Widerstands muss die Massen bewaffnen und regionale Verteidigungskomitees in jeder Stadt und jedem Dorf organisieren!
- Die Unterstützung der Menschen in Gaza durch die israelische Arbeiterbewegung! Keine Zusammenarbeit mit der israelischen Kriegsmaschinerie!
- Für die revolutionäre Entmachtung der herrschenden Eliten und Föderation demokratisch-sozialistischer Staaten im Nahen und Mittleren Osten!