Die Vereinbarung, die der griechischen Regierung in den frühen Morgenstunden des 13. Juli 2015 nach einem nächtlichen Euro-Gipfel aufgezwungen wurde, kann nur als demütigende Kapitulation beschrieben werden. Griechenland hat im Grunde genommen seine Souveränität an die Troika abgegeben und gegen ein neues, an strenge Bedingungen geknüpftes „Hilfspaket“ eingetauscht. Im Gegenzug gibt es seitens der Troika die vage Versprechung, dass vielleicht zu einem späteren Zeitpunkt eine Schuldenumstrukturierung (aber kein Schuldenerlass) kommt. Diese Vereinbarung wird nicht funktionieren. Sie wird Ministerpräsident Tsipras und Syriza politisch zerstören und Griechenland ökonomisch weiter in eine Rezession stürzen. Sie hat außerdem tiefe Risse innerhalb der Europäischen Union offen gelegt. Eine Analyse von Jorge Martin.
Am 25. Januar 2015 stimmte die griechische Bevölkerung mit der Wahl einer Syriza-Regierung gegen die Kürzungspolitik. Am 5. Juli 2015 lehnte sie diese Politik erneut mit einem 61 prozentigem NEIN-Votum in einem Volksentscheid ab, der von Premierminister Tsipras anberaumt wurde. Jetzt hat die Troika Griechenland eine Vereinbarung aufgebürdet, welche wesentlich schlimmer ist als die, welche im Referendum zur Abstimmung stand. Und Tsipras hat zugestimmt. Wenn es eine Schlussfolgerung gibt, die jedem aus dieser Erfahrung klar werden muss, ist es die, dass es nicht möglich ist, sich aus der Zwangsjacke der Austeritätspolitik in einem krisengeschüttelten kapitalistischen Europa zu befreien.
Die Details des Abkommens sind haarsträubend. Sie sind wesentlich schlimmer, als die, welche die griechische Regierung am letzten Donnerstag, dem 09. Juli, vorgeschlagen hatte und die schon einen demütigenden Rückzieher bedeuteten. Dieses Dokument war gemeinsam mit französischen Regierungsvertretern ausgearbeitet worden und spiegelte den enormen Druck seitens bestimmter Kreise wider, ein Abkommen zu garantieren, dass den Ausschluss Griechenlands aus der Eurozone verhindern sollte.
Spannungen innerhalb der EU
In diesem Konflikt handelte Frankreich als Agent der Interessen der USA und des IWF, aber auch mit dem Ziel, den Einfluss des deutschen Kapitals innerhalb der EU etwas entgegenzusetzen. Die letzten Tage haben den wahren Charakter der EU wie nie zuvor ans Tageslicht gebracht. Statt eines „Projekts“ zur Schaffung eines starken Europas, haben wir ein Gezänk zwischen den Mitgliedsstaaten beobachten können, bei dem die nationalen Interessen eines jeden Mitglieds in den Vordergrund traten.
Wir sahen auch, wie die Masken der „vernünftigen und zivilisierten“ Kapitalisten fielen und das Monster, das lange versucht hatte, sich dahinter zu verstecken, zum Vorschein kam. Das wurde besonders in der Person des deutschen Finanzministers Wolfgang Schäuble deutlich, der eine unbeschreibliche Zielstrebigkeit an den Tag legte, wenn es darum ging, Pläne zu entwerfen, um die griechische Bevölkerung auszuquetschen. Außerdem zeichnete er sich durch eine unverhohlene Verachtung gegenüber allen seinen Verbündeten aus, die einen Kompromiss erzielen wollten, um einen Ausschluss Griechenlands aus der Eurozone zu verhindern. Dies ist ein Indiz für die zukünftigen Spannungen zwischen den mächtigeren EU-Staaten und lässt nichts Gutes für die Zukunft der EU ahnen, sowohl in Bezug auf deren schwindenden weltweiten Einfluss als auch auf ihren inneren Zusammenhalt.
Besonders die USA fürchteten die mögliche Auswirkung eines ungeordneten Grexit vor dem Hintergrund einer schon sehr zerbrechlichen Weltwirtschaft. Während die Aufmerksamkeit der Welt auf die Krise in Europa gerichtet war, begann die Blase auf dem chinesischen Aktienmarkt zu platzen. Die Lage der Weltwirtschaft ist so instabil, dass jeder Schock diese in eine neue Rezession zurückwerfen kann. Aus diesem Grund übten die USA einen enormen Druck aus, um eine Vereinbarung zu erreichen. Eine solche Vereinbarung würde einen substanziellen Schuldenerlass einschließen. Auf jeden Fall sind die griechischen Schulden unkontrollierbar und können niemals vollständig zurückbezahlt werden, wie der IWF in einem offiziellen Bericht zugab. Ein Schuldenschnitt ist daher unausweichlich.
Die US-amerikanische Forderung bedeutet für das deutsche Kapital, dass dieses die Lasten für eine solche Schuldenreduzierung zu tragen hätte, weil Deutschland das Land ist, das besonders stark griechische Schulden hält. Hinterher ist man schlauer, wenn es um das Geld anderer geht. Das war die wahre Bedeutung hinter dem französischen Vorschlag, den die griechische Regierung der Eurogruppe der Finanzminister vorlegte.
Dieser Vorschlag führte schon dazu, dass die griechische Regierung ihre Mehrheit im Parlament verlor. Die Regierung hat eine Mehrheit von 162 Abgeordneten (149 Syriza und 13 ANEL). Zwei Syriza-Abgeordnete stimmten offen dagegen, weitere acht enthielten sich (u. a. der Energieminister und Führer der Linken Plattform Lafazanis und der stellvertretende Minister für soziale Sicherheit Stratoulis), weitere sieben waren nicht anwesend (von denen nur zwei ihre Zustimmung für die Vorschläge ausdrückten) und 15 Mitglieder der Linken Plattform, die dafür stimmten, aber eine Erklärung abgaben, in der sie ihre Ablehnung der Maßnahmen ausdrückten. Die Regierung war auf die Stimmen der Oppositionsparteien (PASOK, ND, To Potami) angewiesen, um am Samstag, dem 11. Juli, die Mehrheit der Stimmen zu erhalten. Das heißt faktisch, dass sich eine Koalition der „nationalen Einheit“ anbahnt!
Die Beschlussfassung wurde nicht als Votum für die Vorschläge selbst präsentiert, sondern als ein Votum, das die Regierung ermächtigt, auf der Basis der Vorschläge auf EU-Ebene zu verhandeln. Dies wurde gemacht, um Druck auf die kritischen Abgeordneten der Linken Plattform auszuüben, mit dem Argument, es handle sich um ein Vertrauensvotum für Tsipras. Die Linke Plattform hätte in der Tat standfester sein, en bloc dagegen stimmen und zur Mobilisierung gegen die neuen Vorschläge, die in direktem Widerspruch zum Mandat des Referendums stehen, aufrufen sollen.
Als die jüngsten griechischen (französischen) Vorschläge Brüssel erreichten, wurden sie von deutscher Seite strikt zurückgewiesen. Schäuble gab eine schriftliche Beurteilung, die eine einseitige Kapitulation zur Forderung hatte. Er verlangte weitere Kürzungen und sofortige Gegenreformen, schob die Schuld für einen möglichen Abbruch der Gespräche auf Griechenland, forderte, dass Vermögenswerte des griechischen Staates in Höhe von 50 Mrd. Euro an einen Treuhandfonds in Luxemburg zu übertragen seien und machte schließlich den Vorschlag; Griechenland für fünf Jahre eine Auszeit aus der Eurozone zu gewähren (d. h. konkret einen Ausschluss).
Die Position des deutschen Kapitals basiert auf der Vorstellung, ein allumfassender Grexit würde (politisch und ökonomisch) weniger kosten als ein neues Hilfspaket. Die ökonomischen Gründe sind klar, anstatt immer neues Geld in ein Fass ohne Boden zu werfen, ist es besser, den Schaden zu begrenzen und sich davon zu machen und vielleicht Griechenland noch etwas Geld in Form von humanitärer Hilfe zukommen zu lassen.
Wir haben die politischen Gründe dafür schon zuvor erklärt: Griechenland darf nicht von der Austeritätspolitik abweichen, denn dann könnten andere Länder diesem Beispiel folgen. Falls Syriza sich von den Kürzungen und der Sparpolitik verabschieden dürfte, würden Podemos in Spanien und die sehr geschwächten Regierungen in Spanien, Portugal, Griechenland, Frankreich, Irland und anderswo genau diese Politik verfolgen. Dazu kommt noch, dass euroskeptische Parteien auf der politischen Rechten an Bedeutung gewinnen, so dass Merkel es sich nicht leisten konnte, Griechenland gegenüber weich zu sein.
Zusätzlich müssen wir die intensive Wut verstehen, die Frankreichs Einmischung in Deutschland hervorrief. Wie konnte es Hollande wagen, den GriechInnen aus dem Würgegriff Deutschlands zu helfen! Der deutsche Kapitalismus ist der stärkste in Europa und herrscht auf genau dieser Grundlage.
Die deutschen Forderungen, die in Schäubles Dokument ausgedrückt werden, waren so skandalös und arrogant, dass sie scheinbar geplant waren, um die griechische Regierung zum Verlassen der Gespräche zu provozieren. Sie wurden durch die finnische Regierung unterstützt, die von extrem rechten Euroskeptikern abhängig ist.
Der Inhalt der Kapitulations-”Vereinbarung”
Letztendlich stimmte Tsipras zur Überraschung vieler einer Vereinbarung zu, die im Grunde alle deutschen Forderungen enthält. Das von ihm unterzeichnete Papier ist ein Skandal. Es zerstört jeglichen Anspruch, nationale Souveränität zu respektieren, und macht Griechenland faktisch zu einem Protektorat der Troika.
So wird Griechenland angewiesen, vier Maßnahmen zu beschließen und umzusetzen. So eine Mehrwertsteuererhöhung, weitere Renten- und Pensionskürzungen und quasi-automatische Ausgabenkürzungen bei Abweichungen von den ehrgeizigen Primärüberschusszielen. Alles Vereinbarte muss innerhalb von 72 Stunden bis zum 15. Juli als Gesetz beschlossen werden. Weitere Maßnahmen müssen bis zum 22. Juli umgesetzt werden.
Erst nach der Umsetzung dieser Maßnahmen und der Überprüfung durch die Institutionen und die Eurogruppe könnte eine Entscheidung zur Aufnahme von Verhandlungen über ein Memorandum getroffen werden.
Das ist aber nicht alles. Damit sie die Grundlage für einen erfolgreichen Abschluss der Vereinbarung bilden können, müssen die von Griechenland vorgeschlagenen Reformmaßnahmen erheblich ausgeweitet werden, um der deutlichen Verschlechterung der Wirtschafts- und Haushaltslage des Landes im vergangenen Jahr Rechnung zu tragen. Das bedeutet weitere Renten- und Pensionskürzungen, eine Erhöhung der Mehrwertsteuer und die Privatisierung des Stromnetzbetreibers ADMIE. Dazu soll die Regierung die Tarifautonomie und den Kündigungsschutz überprüfen. Auf der Grundlage dieser Überprüfungen sollte die Arbeitsmarktpolitik an bewährte internationale und europäische Verfahren angepasst werden und nicht zu einer Rückkehr zur bisherigen Politikgestaltung führen, die mit den Zielen der Förderung eines nachhaltigen und integrativen Wachstums nicht vereinbar ist. Das heißt im Klartext, dass die Regierung, die von Vorgängerregierungen und Memoranden außer Kraft gesetzte Tarifautonomie nicht wieder herstellen darf.
Als ob das nicht genug wäre, akzeptiert das Dokument auch Schäubles Plan eines Privatisierungsfonds im Umfang von 50 Milliarden Euro: Ausarbeitung eines deutlich nachgebesserten Programms für die Privatisierung; Transfer von griechischen Vermögenswerten in Milliardenhöhe an einen unabhängigen Fonds, der die Vermögenswerte durch Privatisierungen und andere Wege monetarisiert. Das kleine “Zugeständnis“ liegt darin, dass dieser Fonds seinen Sitz nicht in Luxemburg, sondern in Athen haben soll. Das ändert jedoch nichts daran, dass er „von den griechischen Behörden unter Aufsicht der maßgeblichen europäischen Organe und Einrichtungen verwaltet werden“ soll. Dies ist selbst aus kapitalistischer Sicht ein Irrsinn. Denn der Erlös aus allen bisherigen Privatisierungen der wertvollsten staatlichen Vermögenswerte summiert sich auf rund sieben Milliarden Euro. Es ist schlicht und einfach unmöglich, in den kommenden drei Jahren das Siebenfache dieses Betrags aus Privatisierungen zu erzielen.
Obendrein verlangt die Troika, die in Athen wieder Fuß fasst, Vetorecht bei allen künftigen und zurückliegenden Beschlüssen über Gesetze in Griechenland. Der Wortlaut spricht für sich: „Die Regierung muss die Institutionen zu sämtlichen Gesetzesentwürfen in relevanten Bereichen mit angemessenem Vorlauf konsultieren und sich mit ihnen abstimmen, ehe eine öffentliche Konsultation durchgeführt oder das Parlament befasst wird.“
Die Troika verschafft sich damit nicht nur Kontrolle über alle künftigen Gesetze, sondern auch das Recht, bereits beschlossene Gesetze abzuändern: „Die griechische Regierung wird mit Ausnahme des Gesetzes über die humanitäre Krise die Rechtsvorschriften überprüfen, um die Rechtsvorschriften zu ändern, die im Widerspruch zu der Vereinbarung vom 20. Februar eingeführt wurden und Rückschritte gegenüber früheren Programmauflagen darstellen.“ Damit ist die derzeitige griechische Regierung, die mit einem Programm, das die früheren Memoranden ablehnte, gewählt wurde, an diese Memoranda gebunden und dazu verpflichtet, sie einzuhalten und alle Gesetze zu ändern, die sie bislang gegen diese Grundsätze eingebracht hat. Dies beträfe beispielsweise den symbolischen Beschluss, die von der Vorgängerregierung entlassenen GebäudereinigerInnen im Athener Finanzministerium wieder einzustellen.
Eine Umsetzung des Diktats garantiert allerdings noch nicht automatisch ein neues „Rettungsprogramm“. So heißt es in dem Papier: „Die oben aufgeführten Verpflichtungen sind Mindestanforderungen für die Aufnahme der Verhandlungen mit der griechischen Regierung. Der Euro-Gipfel hat jedoch unmissverständlich klargestellt, dass die Aufnahme von Verhandlungen einer etwaigen endgültigen Vereinbarung über ein neues ESM-Programm, das in jedem Fall auf einen Beschluss über das Gesamtpaket (einschließlich des Finanzierungsbedarfs, der Schuldentragfähigkeit und einer etwaigen Überbrückungsfinanzierung) gestützt sein muss, keinesfalls vorgreift.” Die Gesamtsumme des neuen ESM-Rettungspakets wird auf 82 bis 86 Mrd. Euro geschätzt, davon bis zu 25 Mrd. Euro für die Rekapitalisierung von Banken.
Was bekommt Griechenland im Gegenzug für seine vollständige Kapitulation und die Übergabe des Familiensilbers und die Kontrolle über seine Finanzen? Bezüglich der entscheidenden Frage, die die griechische Regierung immer betont hat, ist die Formulierung in dem Papier wachsweich: “Vor diesem Hintergrund ist die Euro-Gruppe bereit, im Zusammenhang mit einem möglichen künftigen ESM-Programm und im Geiste der Erklärung der Euro-Gruppe vom November 2012 erforderlichenfalls mögliche zusätzliche Maßnahmen (möglicher längerer Tilgungsaufschub und mögliche längere Zurückzahlungsfristen) zu erwägen, um sicherzustellen, dass der Bruttofinanzierungsbedarf auf einem tragfähigen Niveau bleibt.”
Und selbst diese extrem vage Zusage wird dann noch stark eingeschränkt: “Diese Maßnahmen hängen davon ab, dass die in einem etwaigen neuen Programm festzulegenden Maßnahmen vollständig umgesetzt werden, und sie werden nach einem ersten positiven Abschluss der Überprüfung in Betracht gezogen.” Die Unverbindlichkeit dieser Zusage steht in starkem Kontrast zur unverblümten Weigerung in der folgenden Zeile: “Der Euro-Gipfel betont, dass ein nominaler Schuldenschnitt nicht durchgeführt werden kann.” Hingegen heißt es im nächsten Satz: “Die griechische Regierung erneuert ihre unabänderliche Zusage, dass sie allen ihren finanziellen Verpflichtungen gegenüber allen ihren Gläubigern vollständig und rechtzeitig nachkommt.
Im letzten Absatz des Papiers bekommt Griechenland dann noch einmal ein kleines unverbindliches Zuckerbrot hingeworfen. So heißt es, dass die EU-Kommission “zur Unterstützung von Wachstum und der Schaffung von Arbeitsplätzen in Griechenland [...] bis zu 35 Mrd. EUR [...] zur Finanzierung von Investitionen und der Wirtschaftstätigkeit [...] mobilisieren” wolle.
Wie konnte es so weit kommen?
Es ist offenkundig, dass Deutschland keinerlei Zugeständnisse gemacht hat. Tsipras wurde dazu verdonnert, alles zu unterschreiben, was er zuvor abgelehnt hatte. Nun fragen sich viele, wie es so weit kommen konnte. Wie konnte er eine derart schlechte Vereinbarung unterzeichnen? Er hat doch wenige Tage zuvor die Volksabstimmung angesetzt und haushoch gewonnen. Wir wissen nicht, was in seinem Kopf vorgeht. Eines ist allerdings klar. Die ganze Grundlage der politischen Strategie von Tsipras und der führenden Gruppe in Syriza hat sich in der Praxis als vollständig falsch und bankrott erwiesen. Ihre Strategie stützte sich auf die Idee, dass es möglich sein könnte, die Troika zu einem Abkommen zu bewegen, das für Syriza genug Spielraum für eine Anti-Austeritätspolitik lassen würde, die Wachstum fördern und die Grundlage für eine spätere Rückzahlung der Schulden legen würde. Aber nichts dergleichen ist eingetreten.
Als er die Volksabstimmung ansetzte, betonte Tsipras, dass ein NEIN seine Verhandlungsbasis stärken und eine bessere Vereinbarung ermöglichen würde. Das Gegenteil ist jetzt der Fall. Darüber hinaus hat sein Beharren auf der Idee, um jeden Preis in der Eurozone zu bleiben, ihn bei den Verhandlungen entwaffnet und zu noch größeren Zugeständnissen gezwungen. So war der Weg in diese demütigende Kapitulation vorgezeichnet. Er scheint nichts daraus gelernt zu haben und ist zum willigen Unterzeichner seines eigenen Hinrichtungsbefehls geworden.
Das Schlimmste an dieser Kapitulation ist, dass sie nicht funktionieren wird. Die Auswirkungen auf die griechische Wirtschaft werden katastrophal sein. Als Folge der Verhandlungen und Ultimaten der Troika ist der schwächliche Aufschwung bereits in eine Rezession umgeschlagen. Die Folgen von zwei Wochen Bankenschließung sowie der Kapitalverkehrskontrollen (die für zwei Monate angesetzt sind) sind das Abrutschen in eine tiefe Depression, die einen Großteil der wirtschaftlichen Aktivität zum Stillstand bringt.
Wenn dann noch obendrein die Haushaltskürzungen und Austeritätspakete kommen, ist das Ergebnis nicht schwer vorauszusagen. Diese Politik greift schon seit fünf Jahren in Griechenland und hat sich als krasser Fehlschlag erwiesen. Dadurch konnte nicht einmal die Staatsverschuldung im Verhältnis zum Bruttoinlandsprodukt verringert werden. Sie liegt jetzt bei über 170%. Mit diesen jüngsten Vereinbarungen wird sie rasch auf über 200% hochschnellen.
Das wahrscheinlichste Szenario: Diese aktuelle Vereinbarung (besser gesagt: diese Zumutung) wird lediglich eine Etappe auf dem Weg zu einer neuen Krise sein, die früher oder später zur Zahlungsunfähigkeit und zum Grexit führen wird.
Aus politischer Sicht bedeutet diese Vereinbarung den Selbstmord für die derzeitige Regierung und die Syriza. Schon fordern enge Mitarbeiter von Tsipras, dass die Köpfe aller Minister und Abgeordneten rollen sollen, die sich gegen diese Kapitulation sträuben. Diese Regierung hält es nicht mehr lange durch, denn sie wird sicherlich in den nächsten 48 Stunden ihre eigene Mehrheit verlieren. Verschiedene Optionen sind jetzt im Gespräch, so etwa die befristete Einsetzung einer Regierung von Technokraten unter der Führung eines “Unabhängigen“ (in Frage käme der Gouverneur der griechischen Staatsbank) oder eine Koalition mit der liberalen Partei To Potami.
Wie auch immer die konkrete Form aussehen mag, es handelt sich hier um eine Regierung der Nationalen Einheit mit dem Auftrag, brutale Austerität umzusetzen. Damit würde sich der Kreis schließen, denn die Syriza hatte im Januar den klaren Wählerauftrag, die Austerität zu beenden. Und jetzt verbündet sie sich mit Parteien, die damals abgestraft wurden, und setzt deren Programm um.
Der Druck innerhalb von Syriza ist so stark, dass Tsipras wohl kaum eine Sitzung des Zentralkomitees einberufen dürfte, zumal er nicht sicher sein kann, ob er noch alles im Griff hat. Zu allererst möchte er diese Maßnahmen im Parlament durchpeitschen und dafür braucht er ein faktisches Bündnis mit den bürgerlichen Parteien.
Gab es eine Alternative?
Aber was war die Alternative? In ihrer Kritik an den Regierungsvorschlägen erklärte die Linke Plattform in Syriza jüngst ihre Ansichten. Sie fordert die Rückkehr zu einer nationalen Währung und den Verbleib in der EU nach dem Vorbild hoch entwickelter Länder wie Schweden oder Dänemark und die Umsetzung eines Programms, das sich nur als nationaler Kapitalismus beschreiben lässt. Dies auf der Grundlage von Exporten, nationaler Produktion, Staatsinvestitionen in die Wirtschaft und einer „neuen und produktiven Beziehung zwischen dem öffentlichen und private Sektor und einem Weg hin zu einer nachhaltigen Entwicklung.“
Ein solcher Plan ist im Grunde genauso utopisch wie der von Tsipras. Während es keine Alternative zur Austerität innerhalb der EU geben kann, ist es töricht zu glauben, dass ein unabhängiges krisengeschütteltes kapitalistisches Griechenland sich im harten Konkurrenzkampf gegen stärkere kapitalistische Mächte aus der Krise heraus ziehen kann. Es drängt sich der Eindruck auf, dass aus der Sicht der GenossInnen die Austerität irgendwie „ideologisch“ motiviert ist, also als Politik hässlicher und brutaler deutscher Bänker und nicht als zwangsläufige Folge der Systemkrise. Austerität ist ein Versuch, die ArbeiterInnen für die kapitalistische Krise zur Kasse zu bitten, ganz gleich ob innerhalb oder außerhalb der Eurozone.
In diesem politischen Ansatz wird eine der Hauptschwächen der Linken Plattform deutlich. Arbeitende Menschen haben nicht ohne Grund Angst vor den katastrophalen ökonomischen Folgen eines Grexits. Diese berechtigten Ängste lassen sich nicht mit dem falschen Argument entkräften: „Eine Zeitlang wäre es schlecht, aber dann könnten wir abwerten und einen starken nationalen Kapitalismus aufbauen.“ Das löst nicht das Problem eines schwachen, weniger produktiven Industrieapparats, der mit den fortgeschrittenen, hochentwickelten und produktiven Industrien von Ländern wie Deutschland nicht erfolgreich konkurrieren könnte. Ob innerhalb von EU und Euro oder außerhalb – das Problem bleibt bestehen. Die Idee, Griechenland könne sich im internationalen Wettbewerb aus der Krise heraus boxen, ist absolut utopisch, denn angesichts des weltweiten Ausmaßes der Krise fallen die schwächeren Länder als erste.
Die einzige Alternative liegt in einem „sozialistischen Bruch“. Das heißt: Nichtanerkennung der Staatsschulden, die nach Ansicht einer parlamentarischen Untersuchungskommission für „illegitim, illegal und hassenswert” befunden wurden. Verstaatlichung der Banken und des Eigentums der griechischen Kapitalisten. Niemals zuvor hat sich der “Realismus” der reformistischen Syriza-Führung als so völlig utopisch erwiesen wie heute. Niemals war es leichter als heute, die Sache des Sozialismus zu erklären, denn diese Ideen entsprechen den praktischen Erfahrungen von Hunderttausenden und Millionen arbeitenden Menschen in Griechenland in den letzten fünf Jahren.
Nur ein radikaler Umbau der Gesellschaft auf der Grundlage des Gemeineigentums an Produktionsmitteln könnte einen Ausweg aufzeigen. Doch selbst das wäre in den Grenzen des kleinen, am Rande von Europa gelegenen Griechenland nicht möglich. Aber ein solcher Prozess, der in Griechenland beginnt, könnte ein mächtiges Signal an die arbeitende Bevölkerung in Spanien, Portugal und Irland senden.
Wenn die Führung der Linken Plattform sich zu einem echten sozialistischen Programm durchringen und damit eine klare Ablehnung der Memoranda anbieten könnte, dann wäre sie nicht nur in Worten und Erklärungen, sondern auch in der Praxis in der Lage, die wachsende Opposition um sich zu scharen.
Was nun?
Die demütigende Kapitulation ausgerechnet durch die Regierung, von der sich die Massen ein Ende der Austeriätspolitik erhofften, wird tiefgreifende Auswirkungen haben. Am Freitag reagierten die Massen ungläubig auf diesen jüngsten Kurswechsel. Jetzt schlägt die Stimmung rasch in Wut um.
Für Mittwoch, 15. Juli, hat ADEDY, die Gewerkschaft des Öffentlichen Dienstes, einen Generalstreik ausgerufen. Bezeichnenderweise haben Gewerkschafter mit Syriza-Parteibuch gemeinsam mit anderen eine entscheidende Rolle bei der Beschlussfassung im Gewerkschaftsvorstand gespielt. Für denselben Tag wurden Demonstrationen gegen das neue Memorandum anberaumt.
Es ist eine Sache, Gesetze im Parlament zu beschließen. Diese umzusetzen dürfte viel schwieriger sein. Die Beschäftigten beim Elektrizitätsnetzbetreiber, im Hafen von Piräus, die RentnerInnen und PensionistInnen, die massiv mit NEIN abstimmten, werden dies nicht mit verschränkten Armen hinnehmen. So stehen größere Klassenkämpfe an. Die europäische und griechische herrschende Klasse setzt vielleicht auf eine breite Parlamentsmehrheit, aber das Kräfteverhältnis in der Gesellschaft schlägt massiv zu ihren Ungunsten aus. Die Fragen werden nicht im parlamentarischen Prozedere geklärt, sondern im Kampf.
Schließlich dient die griechische Krise auch noch als wertvolle Erfahrung für alle Parteien und Bewegungen in anderen Ländern, die vielleicht noch die Illusion hegen, dass es möglich sei, sich der Austerität entgegen zu stellen und sich gleichzeitig mit dem europäischen Kapital zu arrangieren. Ein wirksamer Kampf gegen Austerität ist möglich, aber nur auf der Grundlage eines Bruchs mit dem Kapitalismus