Wir erklärten wiederholt, dass der Zynismus und die politische Frustration der griechischen Arbeiterklasse nicht lang anhalten, sondern die Hammerschläge des dritten Memorandums schon bald die nächsten Wellen der Revolution auslösen würden. Von Sandro Tsipouras.

Der Versuch der griechischen Regierung, die von den EU-Gläubigern geforderten „prior actions“ buchstabengetreu umzusetzen, ist für die griechische Bevölkerung in ihrer Gesamtheit eine existentielle Bedrohung. Obwohl ihr Nein! Von der Volksabstimmung vom 5. Juli 2015 von der Tsipras-Clique verraten wurde, hat sie keine andere Wahl, als weiterzukämpfen. Das tut sie jetzt.
Der erste Generalstreik gegen die Neuauflage der SYRIZA-ANEL-Regierung am 12. November richtete sich gegen die Rentenkürzungen und Steuererhöhungen, die die neue SYRIZA-Regierung gebracht hat. Die Teilnehmerzahlen waren, verglichen mit der großen Generalstreikwelle von 2010 bis 2013, gering, doch es wurde deutlich sichtbar, dass sich die fortgeschrittensten Schichten der Klasse wieder in Bewegung gesetzt hatten. In einer Umfrage vom 15. November beantworteten 78% der Befragten die Frage „Glauben Sie, dass Die Dinge sich in die richtige Richtung bewegen?“ mit „Nein“. Doch der nächste Generalstreik am 3. Dezember brachte wieder nur wenige Leute auf die Straße. Die Schwäche der Arbeiterbewegung in dieser Periode war das Resultat ihrer Desorientierung nach dem Verrat der Tsipras-Clique und des sektiererischen Verhaltens ihrer Führungen.

Gescheiterte Umgruppierungen

Als Hauptaufgabe der neuen Periode nach der Spaltung von SYRIZA im Spätsommer, nach der Neukonstituierung ihres linken anti-Euro-Flügels als LAE und der Neuauflage der SYRIZA-ANEL-Regierung ergab sich die Herstellung der Einheitsfront der drei großen oppositionellen in der Arbeiterklasse verankerten Parteien: LAE, die kommunistische Partei KKE und das linksradikale Bündnis ANTARSYA. LAE und ANTARSYA hatten unmittelbar nach der Spaltung von SYRIZA schon den Wunsch bekundet, zusammenzuarbeiten. Doch der Aufbau eines Bündnisses scheiterte an der sektiererischen Politik beider Seiten: LAE wollte ANTARSYA schlucken und verlor das Interesse, als letztere eine Diskussion auf Augenhöhe forderte. Doch ANTARSYA verhielt sich ebenso sektiererisch indem sie die Übernahme des ANTARSYA-Programms verlangte. Diese Bemühungen endeten in der Spaltung von ANTARSYA, wobei sich die Spaltungsfraktion LAE anschloss. Nachdem die Arbeiterklasse es nicht schaffte, zu einer neuen Aktionseinheit zu gelangen und der Regierungspolitik einen gezielten Schlag zu versetzen, ergriff eine andere gesellschaftliche Kraft die Initiative.

Kleinbürgertum mobilisiert sich

Seit dem 26. Januar wird die Anti-Austerität-Bewegung – und das ist sehr untypisch – von den LandwirtInnen angeführt, die seitdem mit ihren Traktoren Autobahnen und Häfen blockieren und staatliche Gebäude und Banken besetzen. Die Initiative der LandwirtInnen gab dem ganzen Prozess einen riesigen Schub nach vorne. Die großen Gewerkschaftsdachverbände GSEE und ADEDY riefen für 4. Februar zu einem weiteren Generalstreik auf. Am 2. Februar kündigten LAE und ANTARSYA eine gemeinsame Mobilisierung an. Der Streik am 4. Februar war der größte Streik der vergangenen Jahre und stellte ungefähr 30 Generalstreiks, mit denen die griechische Bevölkerung sich seit 2010 gegen die Memorandenpolitik gewehrt hatte, weit in den Schatten.
Noch am Abend des 4. Februar erklärte die Kommunistische Strömung, die griechische Sektion der IMT, die besondere Bedeutung des Streiks. Er zeichnete sich vor allem durch die erhöhte Teilnahme kleinbürgerlicher Schichten – AnwältInnen, Laden- und WerkstättenbesitzerInnen, freie DienstnehmerInnen, ÄrztInnen, Angestellte der Universitäten usw. – aus, die von erhöhten Steuersätzen von teilweise über 50% in ihrer Existenz bedroht sind. Die Einheit des verarmten Kleinbürgertums mit der Arbeiterklasse wurde schon von Lenin als Notwendigkeit für den Sieg beider erkannt. Diese objektive Notwendigkeit beginnt, sich mit Paukenschlägen Geltung zu verschaffen: Am 7. Februar fand in Nikaia eine Konferenz der Blockadekomitees der LandwirtInnen – der entscheidenden kleinbürgerlichen Schicht in diesem Kampf – statt. Hier wurde beschlossen, die Gesprächsangebote der Regierung, die die LandwirtInnen aufgefordert hatte, am 9. Januar VertreterInnen zur Sitzung des Parlamentsausschusses für Produktion und Handel zu schicken – „mit dem Ziel, uns in einen Dialog zu verwickeln, der eine Sackgasse bildet und nicht zur Erfüllung unserer Forderungen führen wird“ – konsequent auszuschlagen. Stattdessen wurde entscheiden den Syntagma-Platz in Athen am 12. und 13. Februar mit Traktoren zu blockieren. Die Massenorganisationen der ArbeiterInnen und Angestellten wurden aufgerufen, sich am Kampf zu beteiligen.
Das stellt eine große Chance für eine erfolgreiche Neuauflage des offenen Kampfes gegen die „schwarze Front” aus Gläubigern und griechischen Kapitalisten dar. Es besteht die reale Chance, die Pläne der Regierung zu durchkreuzen. Die Weigerung der Bauern, sich durch die ständigen „Gesprächsangebote“ der Regierung brechen zu lassen, ist die destillierte Erfahrung von über einem Jahr SYRIZA-Geschwätz. Nach der Kommunistischen Strömung veröffentlichte auch die Massenpartei KKE eine Erklärung, die genau das auf den Punkt brachte: „Wir haben genug Erfahrung gesammelt. Die letzten Jahre waren voll großer Kämpfe und Mobilisierungen, doch sie waren dominiert von einer schwachen Anti-Memoranden-Linie, die die Maßnahmen der Memoranden auf diese oder jene Regierung zurückführte und Illusionen schuf, als würde sich durch einen bloßen Regierungswechsel etwas für das Volk ändern ... Heute gibt es viel bessere Bedingungen für die Entfaltung des Kampfes der ArbeiterInnenklasse im Bündnis mit den kleinen Selbstständigen, den armen und mittleren Bauern, der Jugend und den Frauen um ihre eigene Arbeiter- und Volksmacht.“
Die KKE stützt sich in ihrem Kommentar auf die Tatsache, dass sich eine große Einheitsfront der Arbeiterklasse und der verarmten kleinbürgerlichen Schichten in Stadt und Land herauszubilden beginnt. Als stärkste politische Organisation der antikapitalistischen Linken ist ihre Positionierung von entscheidender Bedeutung. Sie eröffnet die Perspektive eines gemeinsamen Kampfes für ein konkretes, gemeinsames Ziel: Die Rücknahme der Pläne zur Sozialversicherungsreform. Diese Pläne beinhalten Pensionskürzungen von bis zu über 30%, die von der Bevölkerung auf eine derart niederträchtige Weise versteckt werden, dass sie teilweise sogar mit einer nominellen Erhöhung der Pensionssätze einhergehen. Für diese vorgebliche soziale Wohltat versucht sich die Tsipras-Clique feiern zu lassen. Gleichzeitig werden Sozialversicherungsabgaben teilweise um ein vielfaches erhöht, so dass das Nettoergebnis für den Großteil der Bevölkerung existenzbedrohend ist.
Die Rücknahme dieses Kürzungspaketes ist eine Forderung, der die Regierung unmöglich nachkommen kann. Die Umsetzung der Kürzungen, die die griechische Bevölkerung am 5. Juli mit 62% ablehnte, ist ihr ganzer Existenzzweck. Deshalb schlägt die Kommunistische Strömung der Bewegung vor, aus dieser Tatsache die Konsequenz zu ziehen, gleich einen dauerhaften Generalstreik bis zum Sturz der Regierung zu planen und durchzuführen, um eine Regierung an die Macht zu bringen, die sich nicht der Troika der Gläubiger unterwirft, sondern konsequent mit den Memoranden bricht und die Machtbasis der „schwarzen Front“ zerstört. Eine solche Regierung kann unter den derzeitigen Kräfteverhältnissen nur von LAE, ANTARSYA und KKE gemeinsam gebildet werden. Das ist der Grund, warum jeder noch so kleine Schritt, den diese Kräfte aufeinander zu tun, von so entscheidender Bedeutung ist.
Die Bauernbewegung fordern außerdem:

  • Die Rücknahme der vollständigen Besteuerung des Einkommens, die von der ND-Regierung beschlossen wurde, die bis Januar 2015 im Amt war, und die von der herrschenden SYRIZA-ANEL-Regierung durchgeführt wird. 12.000 Euro pro Person sollen steuerfrei bleiben, dieser Betrag soll sich pro Kind um 3.000 Euro erhöhen.
  • Abschaffung der Mineralölsteuer, Senkung der Strompreise, Abschaffung der Mehrwertsteuer auf landwirtschaftliche Produktionsmittel und Rohstoffe
  • Keinerlei Zwangsvollstreckungen an Erst- oder Zweitwohnsitzen oder landwirtschaftlich genutzter Fläche, deren Gesamtwert 300.000 Euro nicht übersteigt. Streichung der Zinsen auf die Kredite der verarmten LandwirtInnen bis 300.000 Euro sowie Schuldenschnitt um 30%.
  • Abschaffung der bereits vorhandenen Weinsteuer und Rücknahme der Pläne, eine weitere einzuführen.

Dieses Programm zeigt wie tief die Krise greift. Sie stürzt nicht nur die Arbeiterklasse ins Elend, sondern bedroht auch das Kleinbürgertum in seiner Existenz. Die Lösung ihrer sozialen Forderungen erfordert „despotische Eingriffe“ (Marx: Manifest der kommunistischen Partei) in das Eigentumsrecht der Banken. Es handelt sich dabei um Forderungen, deren nachhaltige Verwirklichung den Übergang von der kapitalistischen zur sozialistischen Gesellschaft erfordern, oder wie Marx sich ausdrückt, um „Maßregeln also, die ökonomisch unzureichend und unhaltbar erscheinen, die aber im Lauf der Bewegung über sich selbst hinaustreiben und als Mittel zur Umwälzung der ganzen Produktionsweise unvermeidlich sind.“ (ebenda) Die Existenzsicherung des Kleinbürgertums, kann nur durch die Arbeiterklasse verwirklicht werden, denn nur sie ist fähig das Kapital nicht nur zu stürzen, sondern die Wirtschaft nach den Bedürfnissen der Gesellschaft im allgemeinen demokratisch und planmäßig zu entwickeln.
Die Erklärung der LandwirtInnen schließt mit den Worten: „Wir wehren uns mit Zähnen und Klauen dagegen, dass sie uns unsere Felder und unser Vieh nehmen wollen, damit wir mit unserer Arbeit produzieren können und unsere Familien in Würde leben. Wir werden keinen Schritt zurück machen. Wir werden uns nicht mit gebeugtem Kopf zurückziehen. Das soll die Regierung verstehen, und all jene, die sich auf die ein oder andere Weise auf ihre Seite stellen.“
Nach der Konferenz der LandwirtInnen verbot ihnen die Regierung sofort, ihre Traktoren nach Athen zu bringen. Doch die LandwirtInnen sind ungebrochen: „Wir werden nicht mit leeren Händen aus Athen zurückgehen“, verkünden die LandwirtInnen aus Nikaia. Die LandwirtInnen aus den Bezirken Herakleion und Lasithio, auf Kreta, haben am Donnerstagabend (11. Februar) gemeinsam die Linienschiffe besetzt, um gemeinsam nach Athen zu fahren. Die konservative ND versucht unterdessen die Chance zu ergreifen, aus ihrer gesellschaftlichen Bedeutungslosigkeit zu entkommen, und stellt sich in Worten hinter die Forderung der LandwirtInnen, den Plan zur Reform des Sozialversicherungswesens zurückzuziehen. Panisch kreischend wirft ihr die SYRIZA-Regierung „Verantwortungslosigkeit“ vor. Alles verwandelt sich in sein Gegenteil.
In Griechenland entfaltet sich ein neuer Wendepunkt im Prozess der europäischen Revolution.


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