Nach einer monatelangen politischen Blockade, in der keine Partei die notwendige Mehrheit fand um eine Regierung zu bilden, wurden die SpanierInnen in einer Atmosphäre der Polarisierung am 26. Juni erneut zu den Urnen gerufen. Die Hoffnung auf eine linke Mehrheit wurde dabei zerschlagen. Wir berichten basierend auf der Analyse von Jorge Martin und unserer Schwesterströmung Lucha de Classes.
Die Wahlergebnisse haben bei den AktivistInnen der Linken gewisse Verwirrung und Pessimismus ausgelöst. Die Ergebnisse lauten:
PP (Konservative): 33,03 % (28,71 % am 20.12.2015)
PSOE (Sozialisten): 22,66 % (22%)
UP, UnidosPodemos (Linkspartei): 21,1 % (24,49 %)
Ciudadanos (Rechte Mitte): 13,05 % (13,94 %)
ERC (mitte-links katalanische Nationalisten): 2,63%
CDC (rechte katalanische Nationalisten): 2,01 %
PNV (rechte baskische Nationalisten): 1,22 %
Bildu (linke baskische Nationalisten): 0,78 %
Coalicion Canaria (kanarische Regionalisten): 0,31 %
Die Wahlbeteiligung von 68 % ist eine der niedrigsten seit der Widereinführung der Demokratie durch ein Kompromiss des Franco-Regimes mit den Führungen der Arbeiterparteien im Jahr 1978. Im Vergleich zu den Dezemberwahlen sank sie um 1,2 Mio. Stimmen oder 3,3%.
Die Stagnation von UnidosPodemos
Eine Vielzahl von Faktoren erklärt das Stagnieren der Linkspartei. Relativ konnte sie ihr Ergebnis halten, in absoluten Zahlen verlor sie mehr als eine Million Stimmen. Ein grundlegendes Element liegt in der politischen Ausrichtung der PODEMOS-Fraktion in der Periode nach den Dezember-Wahlen. Sie bewegte sich im Parlament taktisch und symbolisch sehr gut, verlegte aber ihre gesamte politische Aktivität in diese Arena. Ihre Bindung zu den sozialen Kämpfen litt unter dieser Taktik. Die MarxistInnen von Lucha de Clases kritisierten dies zeitgerecht und argumentierten für eine kombinierte Strategie von parlamentarischen- und Massenaktionen. Am Anfang des Wahlkampfes führte PODEMOS ihre Taktik weiter, indem Pablo Iglesias sich offensiv auf Wahlarithmetik konzentrierte, sich auf PSOE und ihre WählerInnen bezog und PODEMOS als „neue Sozialdemokratie“ deklarierte.
Ständig auf der Suche nach Narrativen, also anschlussfähigen Slogans und Ideen, deklarierte PODEMOS den Slogan „Heimat, Gesetz und Ordnung“. Diese zweideutige Message, die sich gegen Steuerhinterziehung und ihre Straflosigkeit beziehen sollte, kam bei Linken WählerInnen nicht gut an, sie wurde als Versuch gewertet, die Partei in der politischen Mitte zu positionieren, während das Gegenteil notwendig wäre.
Ein Drittel der WählerInnen der der IU (Vereinigten Linken, die diesmal mit PODEMOS die Liste UnidosPodemos bildete), also hochgerechnet 300.000 WählerInnen, gaben so an, sich unsicher zu sein, auch diese neue politische Formation zu wählen. Erst im Zuge einer im allgemeinen schlecht organisierten Wahlkampagne mit wenigen und schlecht beworbenen Massenveranstaltungen, radikalisierten die Listenführer ihre Reden. Besonders auf der Abschlusskundgebung in Madrid gab Pablo Iglesias eine militante Rede, in der er an die Traditionen des rumreichen Klassenkampfes der Arbeiterklasse Spaniens appellierte. Diese Message kam aber spät und verbreitete sich nur über die tausenden Anwesenden, da die Medienkonzerne den Wahlkampf der Linken im Allgemeinen verschwiegen. Die Massenmeetings von UnidosPodemos zeigten mit ihren zehntausenden TeilnehmerInnen an, dass die spanische Linke über eine breite aktivistische soziale Basis verfügt. Linke Reden, die besonders von Alberto Garzon, dem Parteichef der IU, die gerade ihren rechten Flügel im Apparat rausgeschmissen hat, bekamen tosenden Applaus. Auf diesen Kundgebungen waren hunderte republikanische und rote Fahnen (siehe Seiten 6 und 7) zu sehen. In den vordersten Reihen positionierte der Apparat bei der Madrider Abschlusskundgebung EU-Fahnen-SchwenkerInnen, die den Charakter dieses Massenmeetings nur schlecht kaschieren konnten.
Solche politischen Zweideutigkeiten und ausweichende Antworten auf politische Attacken hatten sicherlich einen demobilisierenden Effekt auf die weniger politisierten und aktivistischen Wählersegmente. Die Führer von PODEMOS wichen Fragen nach Venezuela und zur SYRIZA aus. Bezüglich letzterem liegt das objektive Problem darin, dass UP das gleiche Programm wie Tsipras im Jönner 2015 verfolgen. Auf das Argument des offensichtlichen Scheiterns dieser Politik antworten sie damit, dass Spanien größer und wirtschaftlicher stärker als Griechenland sei, und daher eine gewichtigere Hebelkraft zur Neuverhandlung des Sparregimes und Schuldenrückzahlung habe.
PSOE hält stand
Auch wenn die Sozialisten weiter an Stimmen verloren haben, so ist die „Pasokifizierung“ vorerst aufgehalten. Hauptgrund dafür ist, dass die SozialistInnen nur über eine kurze Phase 2010-11 die Spardiktatur aktiv durchgesetzt haben und dann von der konservativen PP in der Regierung abgelöst wurden. Sie wurde daher in der neuen Phase der kapitalistischen Krise in der Praxis noch nicht abgetestet. Der Zorn der sozialen Bewegung richtet sich fast vollständig auf die Konservativen.
Fünf Jahre konservative Regierung haben eine kombinierte und ungleiche Entwicklung der Bewusstseinslagen in der Arbeiterklasse geschaffen. Die Meinung, dass eine andere Politik möglich ist, ohne mit dem Kapitalismus brechen zu müssen, wird sowohl von der Führung von UP als auch von der PSOE vertreten. Ein großer Sektor der städtischen Jugend und Arbeiterklasse gingen durch die Massenkämpfe von 2011-14 und zogen radikale politische Schlussfolgerungen aus ihren Erfahrungen, sie bilden die Massenbasis der UP. Es gibt jedoch auch konservativere Schichten der Klasse, für die das Hauptproblem die PP ist und die auf eine moderatere und einschätzbare politische Alternative in Form der PSOE setzen.
Was kommt nach dem Sieg der PP?
Die Polarisierung Spaniens vollzieht sich nach links und rechts. Die PP, die im Franco-Regime wurzelt, ist die beständigste und geprüfte Kraft der Reaktion. Konservative und auf Stabilität bedachte WählerInnen tendierten diesmal stark zu ihr. Die wöchentlich aufpoppenden Korruptionsskandale dieser Partei, die das „Spaniertum“ in all seinen reaktionären Zügen von nationaler und sozialer Unterdrückung, Monarchie und Kirche verkörpert, konnten diesem Trend diesmal keinen Abbruch tun. Darunter litt die neugegründete konservative Ciudadanos-Fraktion.
Die EU und Angela Merkel trugen ihren Teil dazu bei, den Sieg ihrer sichersten Option zu sichern. Das spanische Budgetdefizit beträgt über 5 % und das Defizit-Verfahren wurde kurzzeitig auf Eis gelegt. Sobald die Regierung gebildet ist, wird dies wieder auf den Tisch gelegt werden. Die EU fordert 8 Mrd. € an neuen Kürzungen, plus womöglich eine Strafzahlung von 2 Mrd. für die Missachtung der Defizit-Regeln.
Eine Regierungsbildung wird trotzdem schwierig. Die PP setzt angesichts der Schwierigkeiten erstmals in ihrer Geschichte auf eine Große Koalition. Die PSOE ist ob dieser Frage gespalten, da sie damit offenen Auges in ihren Untergang gehen würde. Nur ein Teil des Parteiapparates ist bereit, diesen Weg zu beschreiten. Ciudadanos wird jedenfalls zur Mehrheitsbeschaffung herangezogen werden. Eine solche Regierung würde die nationale Frage insbesondere Kataloniens wieder virulent machen. Schon bei diesen Wahlen sahen wir ein Zurückfluten der Stimmen in das nationalistische Lager, dies wird sich bei einer weiteren PP-Regierung weiter verstärken.
In der UP wird sich eine bereits begonnene Debatte um die historische Einordnung der Partei („weder links noch rechts“ oder eine Formation der Arbeiterbewegung und ihrer Traditionen) vertiefen. Die Rechte in PODEMOS wird gegen den Pakt mit der IU agieren, ein Sektor in IU wird diesen Ball gern aufnehmen. Wir MarxistInnen verteidigen die Einheit von UnidosPodemos und stehen vehement gegen das Sektierertum, das der spanischen Arbeiterbewegung historisch bereits tödlichen Schaden zugefügt hat. Wir stehen für die Orientierung auf die Massenbewegung und demokratische Strukturen, die allein es vermögen, hier einen festen Konnex herzustellen. Wir stehen für die radikale Opposition zum 1978iger-Regime und argumentieren dafür, dass der Bruch mit dem Kapitalismus notwendig und möglich ist.