Die erste Runde der Präsidentschaftswahlen in Frankreich hat das politische System schwer erschüttert. Eine Analyse von Florian Keller.

Die Präsidentschaftswahlen 2017 in Frankreich sind ein politisches Erdbeben. Sie markieren einen völligen Zusammenbruch der beiden traditionellen Parteien, die Frankreich seit Jahrzehnten unangefochten regieren – die Konservativen und die Sozialisten. In den Wahlen 2012 konnten die Kandidaten beider Lager in der ersten Runde noch 60 % auf sich vereinen und beide in die Stichwahlen einziehen. Bei diesen Wahlen kamen beide Parteien zusammen nur noch auf 26 %, weder Benoît Hamon von der Sozialistischen Partei noch François Fillon von den konservativen Republikanern schafften es in die zweite Runde. Besonders bezeichnend ist das Ergebnis von Hamon: Nach fünf Jahren Krisenverwaltung im Sinne der Banken und Konzerne durch den „sozialistischen“ Präsidenten François Hollande, nach einer Reform des Arbeitsrechtes, die Millionen ArbeiterInnen in den Streik und auf die Straße brachte, kam er gerade noch auf 6,4 % - nicht einmal ein Viertel der 28 % vom letzten Mal! Doch auch Fillon schaffte es mit 20 % nicht in die Stichwahlen – unter dem Motto „saubere Politik“ angetreten, erlag er schließlich der Berufskrankheit konservativer PolitikerInnen – einer Korruptionsaffäre.

In die Stichwahl eingezogen sind der liberale Emmanuel Macron mit 24 % der Stimmen und die rechtsnationale Marine Le Pen mit 21,3 % der Stimmen. Die Maschinerie der „öffentlichen Meinung“ ist auch hierzulande schnell angelaufen. Die Lager wurden schnell klar umrissen: „proeuropäischer Liberaler“ gegen „antieuropäische Rechtsaußenpolitikerin“. Es ist klar, dass Le Pens rassistische Hetze und die leeren Worthülsen von ihrem Kampf gegen die „arroganten Eliten“, die selbst nur Deckung für einen Kurs gegen die sozialen Errungenschaften sind, nichts Positives verheißen. Umfragen geben Macron nicht zuletzt deshalb zum Zeitpunkt der Erstellung dieses Artikels mit etwa 60 % die klare Favoritenrolle in der Stichwahl.

Die bürgerliche Meinungsmaschinerie hat sich offen hinter ihn gestellt und ein Trommelfeuer der Stimmungsmache entfacht. So erklärte neben den Konservativen und den Grünen auch schnell Hamon von den Sozialisten seine Unterstützung für Macron. Die Parallelen zur österreichischen Präsidentschaftswahl sind dabei unverkennbar. Doch es gibt auch wichtige Unterschiede: Die Position des Präsidenten ist in Frankreich eine im tagtäglichen politischen Geschehen viel mächtigere als in Österreich. Und vor allem: Van der Bellen, der haargenau dieselben politischen Grundsätze wie Macron vertritt, wurde als Uniprofessor und Oppositionspolitiker bekannt – Macron als Investmentbanker und parteiloser Minister in der Sozialistischen Sparregierung. Illusionen in das „kleinere Übel“ sind deshalb viel schwerer zu verkaufen.

Das ganze Programm Macrons atmet die soziale Konterreform zur Rettung des Kapitalismus: massive Sparpakete, gleichzeitig Steuererleichterungen für die Reichen und Aktienunternehmen sowie weitere Arbeitsmarktflexibilisierungen und Schwächung der Gewerkschaften. Ein Schmankerl: Arbeitslose sollen künftig nur mehr ein Jobangebot ablehnen dürfen, danach jede angebotene Stelle annehmen müssen oder die Unterstützung verlieren. Im Klartext: Wer nicht zu den schlimmsten Bedingungen arbeiten gehen will, wird ausgehungert.

Die Stichwahl in Frankreich ist für ArbeiterInnen eine Wahl zwischen Pest und Cholera, in der keine der beiden Seiten unterstützt werden kann. Einen Hinweis darauf bieten auch die Börsenzahlen – ein gutes Barometer dafür, wann das Kapital seine Interessen gewahrt sieht. Am Tag nach der Wahl legte der wichtigste Aktienindex in Paris mit + 4,14 % kräftig zu. Macron und Le Pen spielen letztendlich im selben Team, im Team des Kapitals, auch wenn sie verschiedene Rollen einnehmen: Während Macron der junge, dynamische Stürmer sein soll, der behutsam aufgebaut wurde und dem gegnerischen Team (der Arbeiterklasse) ein Tor nach dem anderen einschenken soll, wird für Le Pen im Moment noch eine Position auf der Ersatzbank vorgesehen – sie soll durch ihr Geschrei im gegnerischen Team für Verwirrung sorgen, aber (noch) nicht eingesetzt werden – dafür ist sie zu unberechenbar.

Doch ein anderes Ergebnis der Präsidentschaftswahlen lässt aufhorchen und versetzt der Propaganda von der „Alternativlosigkeit“ einen schweren Schlag: Jean-Luc Mélenchon, Kandidat der linken Bewegung „La France insoumise” (das rebellische Frankreich), kratzte mit 19,6 % nur knapp an den Stichwahlen vorbei. Im Vergleich zur letzten Wahl 2012 gewann er 3 Millionen stimmen dazu. Gerade in der Jugend konnte Mélenchon punkten: Bei den unter 25-Jährigen wählten ihn 30 %, damit wurde er bei ihnen mit fast 10 % vor Le Pen stärkster Kandidat!

Dieser Erfolg basiert auf einem Programm, das sich klar gegen Einsparungen und weitere Verschlechterungen für die ArbeiterInnen und Jugendlichen ausspricht und eine Reihe von Sozialreformen ankündigt. Hunderttausende vor allem junge Menschen, aber auch GewerkschafterInnen unterstützten seine Kampagne aktiv und enthusiastisch. Doch im Vorfeld der Wahlen wurde diese von den Medien regelrecht boykottiert – nur in den Sozialen Medien spiegelte sich die Stärke der Kampagne wider. Um dem etwas entgegenzusetzen, organisierte „La France insoumise” massive Kundgebungen. In Paris kamen zum Beispiel zum Jahrestag der Pariser Commune 130.000 Menschen, um Mélenchon sprechen zu hören. In Marseille, eigentlich einer Hochburg des rechten Front National, versammelten sich 70.000 Menschen. Auf dieser Basis verdoppelte sich in den Wochen vor der ersten Runde der Wahlen sein Stimmanteil bei den Umfragen.

Die Kandidatur Mélenchons kann man nicht verstehen, wenn man nur in den Zahlen und Statistiken der bürgerlichen Politik herumkramt. Mélenchons Stärke erklärt sich daraus, dass er die Stimmung in der Arbeiterklasse und der Jugend aufgreifen konnte. Letztes Jahr gingen rund um die Bewegung „Nuit debout“ Millionen auf die Straße, zehntausende AktivistInnen besetzten öffentliche Plätze. Millionen streikten gegen die Reform des Arbeitsrechtes mit massiver Unterstützung der Gesamtgesellschaft, teilweise wurde das öffentliche Leben komplett lahmgelegt. Nur die passive Haltung der Gewerkschaftsführung, die wie beim revolutionären Generalstreik 1968 fürchtete, die Kontrolle über die Bewegung zu verlieren, verhinderte eine weitere Ausweitung und einen in Griffweite liegenden Sieg dieser Bewegung.

Unsere französische Schwesterorganisation „Révolution“ nahm an diesen Bewegungen und an „La France insoumise” aktiv teil. Sie kämpfte für einen Wahlsieg Mélenchons. Gleichzeitig argumentierten die GenossInnen gegen Illusionen, dass das Programm von „La France insoumise” ohne einen klaren Bruch mit dem Kapitalismus umgesetzt werden könnte. Der zentrale Punkt dabei ist die Notwendigkeit der Verstaatlichung der Schlüsselbetriebe in der Industrie und im Handel sowie der Banken. Geschieht das nicht, werden die KapitalistInnen sie als wirtschaftliche Waffen einsetzen, um mit Zähnen und Klauen gegen jede soziale Verbesserung zu kämpfen.

Die GenossInnen werden auch weiterhin für eine Stärkung der Bewegung kämpfen. Nachdem es bei den Präsidentschaftswahlen für die Arbeiterklasse nichts mehr zu gewinnen gibt, muss die Bewegung jetzt auf die Parlamentswahlen orientieren und gleichzeitig in den Betrieben und auf der Straße für einen Generalstreik gegen beide KandidatInnen und ihr Programm mobilisieren. Kein kleineres oder größeres Übel, nur der entschlossene Klassenkampf weist einen Weg aus der Misere der französischen Gesellschaft!


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