Aus der jüngsten Parlamentsneuwahl am 10. November ging die Sozialistische Arbeiterpartei (PSOE) unter der Führung von Ministerpräsident Pedro Sánchez als Siegerin hervor. Jedoch war die Wahl keineswegs Ausdruck einer Begeisterung für Sánchez und die Sozialdemokratie. Von Jakob Riedel.
Sie zeigte wieder einmal die in der spanischen Gesellschaft vorherrschende Polarisierung zwischen Links und Rechts. Hervorstechend ist vor allem der Rückgang der Wahlbeteiligung (69,90 %) im Vergleich zur letzten Wahl am 28. April 2019 (71,76 %). So blieben 2,07 Millionen Wähler, die womöglich noch aufgrund der starken Massenmobilisierung gegen Rechts bei der PSOE oder dem Linksbündnis Unidos Podemos ihr Kreuz gemachten haben, diesmal zu Hause. Dies hatte Folgen für die großen Parteien der Linken (PSOE und Unidos Podemos) und der Rechten (Partido Popular, VOX und Ciudadanos). Insgesamt konnte erneut ein rechter Wahlsieg und eine Regierungsübernahme der Rechten wie vor gut einem Jahr in Andalusien verhindert werden. Die Summe der Abgeordneten der linken Parteien (158) ist größer als auf der rechten Seite (150). Für eine absolute Mehrheit wären aber 176 Sitze nötig. Die Linke verlor insgesamt acht Abgeordnete und die spanische Rechte gewann drei Mandate hinzu. Gleichzeitig erhielten, auch angesichts der ungelösten Katalonien-Frage und der dortigen Massenproteste, die nationalistisch-unabhängigen Kräfte mehr Stimmen als am 28. April und senden vier Abgeordnete mehr in das Parlament (insgesamt 36). Die linke CUP, eine antikapitalistische katalanische Unabhängigkeitspartei, ist erstmals mit zwei Abgeordneten im Madrider Parlament vertreten.
Vermeintlicher “Sieger” des Urnengangs ist die sozialdemokratische PSOE. Dennoch konnte diese erneut keine Regierungsmehrheit, geschweige denn eine absolute Mehrheit für sich erreichen. So wirken die 28 Prozent im Vergleich zu früheren Wahlsiegen, bei denen die Partei Ergebnisse über der 40-Prozent-Marke holte, eher mager. Dass die PSOE immer noch die Nummer Eins im Lande blieb, hat auch sehr viel damit zu tun, dass die konservative Partido Popular (PP) unter dem stramm rechten Pablo Casado sehr schwach und wenig überzeugend auftrat und Unidos Podemos (UP) sich zu sehr als Möchtegern-Koalitionspartner der PSOE anbiederte. Manche wählten dann lieber gleich das Original.
Unübersehbar ist aber auch der Aufstieg der rechtsextremen Vox, welche landesweit 15 Prozent gewann und somit Podemos überholte. Dies löst Sorgen und Ängste bei Arbeitern, Frauen, Gewerkschaftern und linken Jugendlichen aus. Vox bildete sich vor einigen Jahren als eigenständige Partei aus dem rechten und Pro-Franco-Flügel der rechtskonservativen PP heraus, welche bis dahin alle reaktionären und (post-)franquistischen Elemente in der spanischen Gesellschaft unter ihrem Dach vereinen konnte. Doch die Degeneration und Krise der PP führte zur Entstehung und schließlich zum Erstarken von Vox. Alles Rechte und Reaktionäre, was bisher im Kleinen gesagt wurde, findet nun in Vox sein Sprachrohr. Doch von einem allgemeinen Rechtsruck oder gar einer Bedrohung durch den Faschismus zu sprechen wäre falsch. So verlor auch der rechte Block insgesamt 873.000 Stimmen im Vergleich zur vorangegangen Wahl im April. Auch eine Wanderung der Anhänger der Parteien auf der linken Seite zu den Rechtsparteien blieb aus. Die prozentualen und absoluten Zuwächse für die PP und Vox ergeben sich vor allem aus dem Niedergang der rechtsliberalen Partei Ciudadanos, welche von 15,86 auf 6,79 Prozent abrutschte. Es ist wichtig, dies im Auge zu behalten, um die richtigen Schlussfolgerungen aus den Wahlergebnissen zu ziehen.
Nun zeichnet sich überraschend eine Regierungskoalition aus PSOE und Unidos Podemos ab. Ein Bündnis, das Sánchez vor der Wahl ausschloss. Er steht unter dem Druck der PSOE-Basis, die von ihm eine stärkere Abgrenzung von den bürgerlichen Parteien forderte. Doch eine solche "linkssozialdemokratische" Regierung wird alles andere als ein Sonntagsspaziergang im Park. Angesichts einer hereinbrechenden Wirtschaftskrise am Horizont und der vielen ungelösten sozialen Probleme im Alltag der Massen wird eine solche Regierung rasch vor einem Dilemma stehen. Nach anfänglichen Reförmchen und “linken” Versprechungen wäre diese sehr schnell mit einem “Krisenbewältigungsprogramm” im Sinne der herrschenden Klasse konfrontiert. Dies würde noch mehr Kürzungs- und Austeritätspolitik bedeuten als in den Jahren zuvor – diesmal durch die Arbeiterparteien betrieben. Dies nützt eigentlich nur der herrschenden Klasse und könnte vor allem Vox in die Hände spielen.
Vor acht Jahren war aus den Protesten gegen die kapitalistische Krise und aus der Indignados-Bewegung die neue Linkspartei Podemos entstanden. Millionen Arbeiter und Jugendliche sahen in dieser Partei ihre letzte reale Hoffnung auf eine linke Klassenpolitik in ihrem Interesse. Doch wie alle reformistischen Parteien in Europa vollzog auch Podemos einen Anpassungsprozess nach rechts. Der Eintritt in die Regierung kommt vor allem der Führungsclique um Pablo Iglesias zugute, zumal eine ernsthafte innerparteiliche Debatte über die massiven Verluste bei den Wahlen in diesem Jahr erstmal nicht auf der Tagesordnung steht. Ein Eintritt in eine PSOE-Minderheitsregierung unter Sánchez wäre aus marxistischer Sicht falsch. Stattdessen sollte Podemos Sánchez zwar zum Ministerpräsidenten wählen, sie muss jedoch eine linke Oppositionspolitik sowohl parlamentarisch als auch außenparlamentarisch betreiben und die Sozialdemokratie somit unter Druck setzen.
In den kommenden Monaten und Jahren sind neue Wellen von Bewegungen auf der Straße gegen die Kürzungspolitik, die der nächsten Regierung aufgezwungen sein wird, zu erwarten. Für dieses Szenario braucht Podemos eine Strategie zu Mobilisierung auf den Straßen und ein sozialistisches Programm, das mit dem Kapitalismus bricht. Für ein solches Programm in der spanischen Arbeiterbewegung und dessen Verwirklichung kämpfen die Unterstützer der IMT in Spanien, Lucha de Clases.