Die Kampagne für einen Sonderparteitag der britischen Labour Party und somit der Kampf gegen den rechten Parteiflügel hat Fahrt aufgenommen. Wir interviewten Dylan Thomas von Socialist Appeal, unserer britischen Schwesterorganisation, zu den Hintergründen sowie der politischen Perspektive der MarxistInnen in der Labour Party. Das Interview führte Felix Bernfeld.

Funke: Die Labour Party unter Jeremy Corbyn war für viele SozialistInnen in Österreich und auf der ganzen Welt ein inspirierendes Vorbild dafür, wie linke und sozialistische Ideen wieder populär gemacht werden können. Wie konnte jemand aus dem rechten Parteiflügel wie Keir Starmer der neue Parteivorsitzende werden, nachdem Corbyn zurückgetreten ist?

Dylan: Bei den Parlamentswahlen 2019 kam es zu einem Erdrutschsieg für die Konservativen, woraufhin Corbyn zurücktrat. Beide Ereignisse demoralisierten die Labour-Mitglieder. Bei den anschließenden Wahlen zum Vorsitz unternahm Starmer große Anstrengungen, um sich als Sozialist darzustellen und versprach, die von Corbyn begonnene linke Politik weiter zu führen. Er überzeugte die Mitglieder, dass er ein wählbarer Kandidat sei, der die zerstrittene Partei einen könnte. Aber in Wirklichkeit war er die ganze Zeit ein Wolf im Schafspelz, was wir Marxisten von Anfang an betonten. Starmer war der Kandidat der Blairites (Anhänger von Tony Blair und seiner Politik, die aus Labour eine bürgerliche, liberale Partei machen wollen, Anm.) und hatte die Unterstützung des Establishments. Aber jetzt haben die Mitglieder sein wahres Gesicht erkannt. Viele von ihnen, die damals noch für Starmer gestimmt haben, sind verärgert über seine gebrochenen Versprechen.

F: Welche Lehren können die Linken in der Labour Party (sowie SozialistInnen in Österreich) aus den politischen Rückschlagen unter Starmer ziehen?

D: Die rechten ParlamentarierInnen und BürokratInnen haben schnell und gnadenlos gehandelt, im Versuch die Partei wieder in eine sichere Stütze des Kapitalismus zu verwandeln.

Leider bestand einer der Fehler von Corbyn darin, dass er ständig versuchte mit der Parteirechten Kompromisse zu schließen. Beispielsweise schaffte es die Linke nicht, die verpflichtende Wahl der KandidatInnen vor der nächsten Parlamentswahl („mandatory reselection“) durchzusetzen, welche die Mitglieder dazu ermächtigt hätte, die Blairite-Abgeordneten loszuwerden. Stattdessen blockierten sie auf der Labour Konferenz 2018 dies sogar aktiv, obwohl sie dafür eine überwältigende Unterstützung unter den Mitgliedern hatten. Die Corbyn-Führung gab auch bei den erlogenen Antisemitismus-Vorwürfen nach, statt sie von Anfang an als politischen Angriff zu entlarven. Vergleicht dies mit dem Angriffswillen der Rechten, die Corbyn sogar selbst suspendierten! (Inzwischen wurde er wieder in die Partei aufgenommen, bleibt aber aus dem Parlamentsklub ausgeschlossen.)

Letztendlich lädt Schwäche immer zu Aggression ein. Wir als SozialistInnen sollten stattdessen kompromisslos unsere Ziele verfolgen und keine Angst davor haben, für eine mutige, radikale Politik zu argumentieren – egal, womit das kapitalistische Establishment uns attackieren wird.

F: Die Kampagne für einen Sonderparteitag hat in den letzten Tagen und Wochen an Zulauf gewonnen. Kannst du die politische Dynamik dieser Kampagne beschreiben und erklären, welche Rolle die MarxistInnen innerhalb der Labour Party (Socialist Appeal) in dieser Kampagne spielen?

D: Nach Corbyns Suspendierung aus der Partei verabschiedeten Mitglieder im ganzen Land Solidaritätsanträge. Viele wurden jedoch blockiert, als der neue Generalsekretär jede Diskussion über die Angelegenheit verbot, da dies „die Fähigkeit der Labour Party untergrub, allen Mitgliedern einen sicheren und einladenden Raum zu bieten.“

Das gibt den Parteibürokraten effektiv einen Freibrief, alle Anträge, die sich Starmer widersetzen oder Solidarität mit Corbyn fordern, außer Kraft zu setzen. Viele lokale linke Parteivorsitzende, darunter einige Socialist Appeal UnterstützerInnen, wurden suspendiert, weil sie derartige Anträge trotzdem zuließen. Tausende verlassen resigniert die Partei.

Unter diesen Umständen kam die Idee eines Sonderparteitags, der vom Parteivorstand ausgerufen werden kann, unter einigen Linken auf. Das wäre eine Gelegenheit für die Mitglieder, die Demokratie innerhalb der Partei zurückzugewinnen, Misstrauensanträge gegen Starmer zu stellen und erneut einen linken Kurswechsel in der Partei zu erreichen.

Zu diesem Zweck wurde eine Einheitsfrontkampagne gestartet, an der Gewerkschaften und Organisationen der Labour-Linken teilnahmen. Insbesondere UnterstützerInnen von Socialist Appeal waren maßgeblich am Start der Kampagne beteiligt, organisierten Treffen im gesamten Land und brachten Kampagnenanträge in lokalen Partei- und Gewerkschaftsgruppen ein. Für uns ist der Kampf um die Rückeroberung der Parteidemokratie kein Selbstzweck, sondern ein politischer Kampf – ein Kampf für eine mutige sozialistische Politik. Nur wenn die Partei in den Händen ihrer Mitglieder ist, können wir sie von oben bis unten transformieren.

F: Skandalöserweise verweigerte die Parteirechte, die eine dünne Mehrheit im Parteivorstand hält, überhaupt über die Frage eines Sonderparteitags zu diskutieren. Wie geht es weiter mit der Kampagne?

D: Angesichts der Tatsache, dass sie sich geweigert haben, überhaupt über die Angelegenheit abzustimmen, ist der Plan, die Kampagne zu verstärken. Wir beabsichtigen, den Kampf zu verbreitern und mehr lokale Parteien, Teilorganisationen, Gewerkschaften und Basismitglieder in diese Kampagne zu inkludieren. Es wurde auch die Idee geäußert, eine Konferenz der Labour-Linken zu organisieren. Wir unterstützen diese Idee und sind der Ansicht, dass hier VertreterInnen und gewählte Delegierte linker Gewerkschaften, Organisationen und lokaler Gruppen zusammenkommen sollten, um eine Kampfstrategie für die Linke auszuarbeiten.

Wir können nicht einfach aufgeben. Wir müssen uns wehren und die sozialistische Rückeroberung der Partei zu Ende führen. Der Kapitalismus steckt in der Krise und bietet keine Zukunft. Wir brauchen eine sozialistische Arbeiterpartei, die bereit ist, dieses System ein für alle Mal zu beenden.

(Funke Nr. 192/17.3.2021)


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