Großbritannien. Nur wenige Wochen vor dem jährlichen Parteitag schließt die rechte Clique um Parteichef Keir Starmer nun tausende SozialistInnen und Linke bürokratisch aus der Partei aus. Von Willy Hämmerle.
Vor 165 Jahren wurde Keir Hardie, Gründungsmitglied und erster Vorsitzender der britischen Labour Party, geboren. Hardie, der seine Kindheit und Jugend in den Kohleminen verbrachte, war Gewerkschaftsführer und überzeugter Sozialist. Sein Ziel war es, „das Land- und Industriekapital in gemeinschaftliches Eigentum zu überführen, Schluss zu machen mit der Produktion für den Profit der Grundherren und Kapitalisten und damit zu beginnen, für den Nutzen der Gemeinschaft zu produzieren.“ Dieses Ziel war auch seit 1918 in der „Clause IV“ in den Statuten der Labour Party festgeschrieben, bis jene 1995 unter der Führung von Tony Blair gestrichen wurde.
Heute steht ein anderer Keir an der Spitze der Partei. „Sir“ Keir Starmer gibt sich alle Mühe, als würdiger Nachfolger seines Namensvetters dazustehen. In einem Beitrag anlässlich Hardies Geburtstags verlautbarte die Labour-Führung: „Unser Vorsitzender teilt die Leidenschaft für Gerechtigkeit unseres Gründers und seinen Willen, das Leben der arbeitenden Menschen zu verbessern.“
Keir Starmer geht gegen die Linke vor. Bild: socialist.net
Tatsächlich hat Starmer für das Erbe der britischen Arbeiterbewegung nichts als Verachtung übrig und führt Blairs erklärte Mission, Labour in eine „moderne, wirtschaftsfreundliche“ Partei zu verwandeln, nahtlos weiter. All jene, die für tatsächliche Verbesserungen für die Arbeiterklasse, für kollektives Eigentum, für die ursprünglichen Ziele der Labour Party kämpfen werden von der bürokratischen Walze des Starmer-Regimes ins Visier genommen.
Hexenjagd
Den Anfang machte die Suspendierung des populären Ex-Parteichefs Jeremy Corbyn (siehe Funke Nr. 188, Nov. 2020). Wir analysierten damals, dass damit ein Generalangriff auf den gesamten linken Parteiflügel gestartet wurde: Unter anderem wurden Angestellte der Partei damit beauftragt, die Social Media Profile von linken Labour-Mitgliedern zu durchforsten, die Kritik an Corbyns Suspendierung formulierten. Jetzt stellt sich heraus, wofür die damals gesammelten Daten gebraucht wurden.
Diesen Juli entschloss sich das nationale Führungsgremium der Labour Party zu einem Rundumschlag: Per Erlass wurden vier linke Organisationen aus der Partei „verbannt“, unter anderem die MarxistInnen von Socialist Appeal, der britischen Schwesterzeitung des Funke. Den GenossInnen wird parteischädigendes Verhalten vorgeworfen. Um das zu beweisen, müssen die fadenscheinigsten „Belege“ herhalten.
Ein Genosse berichtet von den Vergehen, denen er bezichtigt wird: Eine Ausgabe der Zeitung „Socialist Appeal“ in die Kamera zu halten, einer öffentlichen Veranstaltung beizuwohnen und einen Beitrag von „Socialist Appeal“ auf Twitter geteilt zu haben. Er habe sieben Tage Zeit, seine Unschuld zu beweisen, ansonsten nehme er seinen „automatischen Ausschluss“ zur Kenntnis. Solche Briefe werden nun massenhaft verschickt.
Keine Möglichkeit, sich vor einem Schiedsgericht zu erklären, keine Möglichkeit, sich einer demokratischen Debatte zu stellen. So wenig Achtung hat die Starmer-Clique für ihre eigene Parteibasis übrig. Dass dabei ausgerechnet Socialist Appeal in den Mittelpunkt gerückt wird, ist kein Zufall.
Starmer
Starmers Parteiführung zeichnet sich bis jetzt vor allem dadurch aus, keine Alternative zur konservativen Tory-Regierung bieten zu wollen. Boris Johnsons bisherige Bilanz würde jeder ernsthaften Opposition ein siegessicheres Lächeln auf die Lippen zaubern: desaströse Covid-Politik (obwohl bereits mehr als 150.000 Menschen am Virus verstorben sind und die Infektionszahlen wieder in die Höhe schnellen, sind derzeit de facto alle Maßnahmen zur Eindämmung des Virus aufgehoben); massive Angriffe auf Löhne und Arbeitsbedingungen („Fire and Rehire“, eine gängige Praxis, bei der ArbeiterInnen entlassen und dann zu schlechteren Bedingungen wiedereingestellt werden); eine Privatisierungswelle im Gesundheitssystem und anhaltende Einschränkungen demokratischer Grundrechte (z.B. wurde das Demonstrationsrecht nach einem gewaltvoll aufgelösten Protest gegen Frauenmorde verschärft, in Liverpool wurde die gewählte Labour-Stadtregierung unter die Kontrolle konservativer Regierungsbevollmächtigter gestellt).
Doch von Starmer kommt kein nennenswerter Widerstand. „Konstruktive Opposition in diesen schweren Zeiten“, lautet das Motto der Labour-Führung. In anderen Worten: Stabilität um jeden Preis, wenn‘s sein muss auch gegen die eigene Partei. Stattdessen sind sich diese Leute auch nicht zu schade, die rassistische Demagogie der Konservativen zu übernehmen. Dass diese Praxis zehntausende Mitglieder enttäuscht zum Parteiaustritt drängt, wird in Kauf genommen, auch, dass die Partei durch die fehlenden Mitgliedsbeiträge dadurch in eine gewisse Geldnot gerät. Der Wunsch, sich als verlässlicher Partner für die Bürgerlichen zu präsentieren, geht sogar so weit, dass Starmer bereit ist, 90 Parteiangestellte (ein Drittel!) zu entlassen, um das Budgetloch zu stopfen.
Die Linke brechen
Die MarxistInnen von Socialist Appeal stellten sich diesem Kurs bisher am entschlossensten entgegen. Auf ihre Initiative wurde eine Kampagne für einen Sonderparteitag lanciert, um den Widerstand gegen den rechten Flügel zu organisieren und die Partei wieder im Sinne ihrer Mitglieder zurückzuerobern. So entstand ein Fokuspunkt, dem sich rasch linke Abgeordnete, GewerkschafterInnen und Labour-Ortsgruppen anschlossen. (siehe Funke Nr. 191/192, Feb./März 2021)
Das allein ist der Grund, weswegen Starmer sein Hauptfeuer jetzt auf Socialist Appeal richtet, er will das Rückgrat der Linken brechen. Doch das ist nur die Speerspitze für eine generelle Offensive. Zahlreiche Linke haben bereits ihren eigenen Brief erhalten, indem sie „automatisch ausgeschlossen“ werden. Darunter befinden sich auch StadträtInnen (z.B. Pamela Fitzpatrick, deren Vergehen es war, Socialist Appeal einmal ein Interview zu geben), Gewerkschaftsführer (z.B. Ian Hodson, den Vorsitzenden der Bäcker- und Lebensmittelgewerkschaft oder Howard Beckett, den Vizegeneralsekretär der Fachgewerkschaft „Unite“) und der bekannte Regisseur Ken Loach („Ich, Daniel Blake“, „Land and Freedom“).
Linksruck in Gewerkschaften
In einer Reihe von Gewerkschaften verschafft sich der wachsende Unmut in der Arbeiterklasse Ausdruck durch linke Kandidaturen und Wahlsiege. In der größten Fachgewerkschaft „Unison“ erlitt der linke Kandidat Paul Holmes (ein Sympathisant von Socialist Appeal) letztes Jahr noch eine knappe Niederlage, allerdings traten bei dieser Wahl zwei linke Kandidaten an, während der rechte Flügel geeint auftrat. In den darauffolgenden Wahlen zum nationalen Führungsgremium erreichte aber die linke Liste eine Mehrheit.
In „Unite“, der zweitgrößten Gewerkschaft, konnte sich diese Woche die linke Kandidatin Sharon Graham durchsetzen und wurde zur Generalsekretärin gewählt. Zwar waren auch diesmal die linken Stimmen gespalten – neben Graham trat auch der „Pragmatiker“ Turner an, der für einen sozialpartnerschaftlichen Kurs steht und der Rechte Coyne, der am wenigsten Stimmen erhielt – doch konnte Graham mit ihrem kämpferischen Kurs (sie mobilisierte in der Basis und spielte in der Vergangenheit eine wichtige Rolle in vielen Arbeitskämpfen) die Wahl für sich entscheiden.
Es ist also kein Wunder, dass der rechte Flügel zu immer brutaleren Manövern greift, um die Linke loszuwerden – jede Stärkung des linken Flügels ist eine potenziell existentielle Bedrohung für die pro-bürgerliche Clique um Starmer. Dazu ist es allerdings nötig, eine breitere Perspektive zu fassen. Graham betont die Wichtigkeit der gewerkschaftlichen Kämpfe gegenüber der Politik. Eine kämpferische Gewerkschaftspolitik würde aber zwangsläufig nicht nur mit den Konservativen, sondern auch mit der rechten Labour-Führung, die stets bereit ist, die Kosten der Krise auf die Schultern der Arbeiterklasse zu legen, in Konflikt geraten.
Um zu gewinnen ist es notwendig, der generellen Offensive der Parteirechten eine generelle Antwort von Links entgegenzustellen. Die schärfste Waffe ist dabei die Rückbesinnung auf das ursprüngliche Ziel der Arbeiterbewegung, den Kampf um den Sozialismus. In diesen politischen, ideologischen und gewerkschaftlichen Kämpfen werden die Organisationen der Arbeiterklasse sich transformieren. Der Apparat kann die Partei säubern, aber den Klassenkampf und seine wichtigste Ideologie, den Marxismus können der Arbeiterklasse nicht austreiben. Im Gegenteil: Der eiserne Besen der durch die britische Arbeiterbewegung kehrt wird härtere KlassenkämpferInnen hervorbringen.
(Funke Nr. 196/1.9.2021)