GB. Vom 25. bis zum 29. September fand der Labour-Parteitag 2021 statt. Laut Homepage „eine echte Gelegenheit ein Teil gelebter Demokratie zu sein“. Für Parteichef Keir Starmer gehört zu gelebter Demokratie auch der gewaltsame Rauswurf von gewählten Delegierten. Ein Bericht von Willy Hämmerle.

Schon die letzten eineinhalb Jahre, die gesamte bisherige Amtszeit Starmers, waren geprägt von ständigen Angriffen der Parteiführung auf SozialistInnen und andere Linke. Der Funke berichtete laufend. Seit seinem Antritt versucht Starmer verzweifelt der Labour Party das Gespenst des Ex-Vorsitzenden Jeremy Corbyn auszutreiben, dessen linkes Programm und Ideen in der Masse der Labour-Basis noch immer populär sind.

Auf diesem Parteitag, der erste in Präsenz seit Corbyns Rücktritt, sollte ein vorläufiger Sieg über die Linken errungen werden. Dazu waren alle Mittel recht. Bereits im Vorfeld wurden Linke öffentlichkeitswirksam aus der Partei „verbannt“, manche von ihnen erhielten die Nachricht von ihrem Ausschluss erst, als sie bereits auf dem Weg zum Parteitag waren. Der Eintritt blieb ihnen verwehrt, so etwa Kate Osborne, die gewählte Delegierte der Sektion in Hexham.

Andere wurden erst im Zuge der Konferenz „aufgespürt“. Jonathan Lees, ebenfalls ein gewählter Delegierter, wurde von Securities aus den Konferenzräumen gezerrt, weil er ein T-Shirt mit der Aufschrift „Starmer raus! Bekämpft die Konservativen, nicht die Sozialisten!“ trug. Draußen wurde sein Konferenzpass konfisziert. In selber Manier wurde gegen weitere GenossInnen vorgegangen, die von ihren jeweiligen Ortsparteien zum Parteitag delegiert wurden.

Worum geht es der Parteiführung?

In Interviews am Rande des Parteitags gab Starmer an, er wolle die Partei „nach Außen orientieren“ und dafür Sorge tragen, dass sie „endlich wieder Wahlen gewinnen kann“. Das zentrale Werkzeug dafür sei…eine Reform der internen Parteiregeln, insbesondere bei der Wahl um den Vorsitz. Eine Maßnahme, die der Labour-Parlamentsfraktion ein beinahe-Veto für die Vorsitzwahlen verschafft hätte, musste im Vorhinein aufgegeben werden, aber eine Reihe anderer „Reformen“ wurden dem Parteitag zur Abstimmung vorgeschlagen.

So soll in Zukunft nur für den Vorsitz kandidieren dürfen, wer die Unterstützung von mindestens 20% der Labour-Parlamentarier hat (bisher waren es 10%). An der Wahl teilnehmen dürfen soll nur noch, wer seit mindestens einem halben Jahr Parteimitglied ist. Und die Schwelle für das Anstoßen eines „reselection processes“, d.h. damit Ortsgruppen über ihren eigenen Parlamentskandidaten abstimmen können, wurde von 33% der örtlichen Parteimitglieder auf 50% erhöht.

Es liegt auf der Hand, dass alle diese Maßnahmen nur dazu gut sind, das bestehende Parteiestablishment einzuzementieren. Die 20%-Nominierungsschwelle hätte bedeutet, dass Keir Starmer bei den letzten Vorsitzwahlen außer Konkurrenz angetreten wäre und Jeremy Corbyn es 2015 niemals auf den Wahlzettel geschafft hätte. Der rechten Parteiführung geht es in erster Linie darum, ihre eigenen Privilegien sicherzustellen. Aus ihrer Sicht darf ein Kerl wie Corbyn nie wieder auch nur in die Nähe einer Führungsposition gelangen. Wie sonst kann man sich erklären, dass ein Parteivorsitzender sich auf seinem allerersten Parteitag in erster Linie darum kümmert, wie seine Nachfolge zustande kommt?

Der ganze Parteitag hatte nur die Funktion, der Basis die Bedürfnisse der Bürokratie aufzupfropfen. Kein Wunder also, dass diese Vorschläge auch nur mit den Blockstimmen der Gewerkschaftsbürokratie (die damit wiederum die Beschlüsse ihrer eigenen Basis übergangen hat) durchgegangen sind. Unter den Stimmen der einfachen Parteimitglieder fanden sie keine Mehrheit.

Trotz Ausschlüssen, Einschüchterungen und anderen bürokratischen Manövern verschaffte sich die linke Opposition, allen voran die GenossInnen von Socialist Appeal, auf diesem Parteitag Gehör. Genosse Joe Attard verurteilte die Parteiführung für ihre antidemokratische Vorgehensweise, Nick Hallsworth verknüpfte den Kampf für eine sozialistische Klimapolitik mit der Notwendigkeit einer Offensive gegen die rechte Parlamentsfraktion, die ein ums andere Mal diesen Kampf sabotiert hat. Beide erhielten für ihre Wortmeldungen anhaltenden Applaus – ersterer wurde auch prompt direkt nach seiner Rede aus der Partei entfernt.

Damit ist auch klar: obwohl dieser Parteitag linke Resolutionen verabschiedete, auch gegen den Willen Starmers, wie es im Falle eines „sozialistischen Green New Deals“ geschah, oder mit der Forderung nach Sanktionen gegen Israels Aggressionen gegenüber den Palästinensern, bleiben diese geduldiges Papier, solange das jetzige Führungspersonal an der Macht bleibt.

Das erklärte Projekt der Parteiführung ist es, „Regierungsverantwortung“ zu übernehmen und dabei ein verlässlicher Partner des Kapitals zu sein. Um das wieder einmal unter Beweis zu stellen, wurde dem Sprecher für Arbeitsrechte (Andy McDonald) von (laut eigenen Angaben) Starmers Büro aufgetragen, auf der Konferenz gegen einen Mindestlohn von 15 Pfund und Lohnfortzahlung im Krankenstand zu argumentieren. Er trat daraufhin im Rahmen des Parteitags zurück und war damit vermutlich das letzte Mitglied der Führungsriege, das noch irgendwelche Prinzipien vertrat.

Treue „Opposition“ für Krisenregierung

So lauten die Prioritäten der Labour-Führung, während das Land gerade von einer Krise in die nächste schlittert. Gegenwärtig erreichen bis zu 20% der Warenlieferungen ihre Ziele nur verspätet oder gar nicht, leere Supermarktregale sind derzeit keine Seltenheit. Es herrscht oder droht ein Mangel an CO2 (wichtig für die Lebensmittelindustrie und das Gesundheitssystem), Erdgas und Benzin, Tankstellen sind leer oder geben nur noch begrenzte Mengen an Treibstoff aus. Der freie Markt und die Regierung von Boris Johnson versagt vor aller Augen – und die Labour-Führung richtet ihr ganzes Feuer auf die Linke, nicht auf die Konservativen.

Natürlich – Starmer hat auch akute Lösungsvorschläge für beispielsweise die Benzinkrise. Er schlägt vor, dass essentielle Arbeitskräfte bevorzugten Zugang zu Treibstoff bekommen sollen – und anstatt der von der Regierung beschlossenen 3-Monate-Visa für temporäre Transportkräfte aus dem Ausland sollen…diese Visa für 6 Monate gelten. Eine loyalere Opposition kann man sich nicht wünschen.

Die Politik und Angriffe der Parteirechten haben bereits zu tausenden Ausschlüssen und zehntausenden Austritten aus der Partei geführt. Nach diesem Parteitag werden noch viele mehr den Schluss ziehen, dass diese Partei ihnen nichts mehr zu bieten hat und enttäuscht den Kopf senken.

Den Klassenkampf können sie nicht stoppen

Wir haben allerdings keinen Grund uns von diesen unmittelbaren Ereignissen überwältigen zu lassen und pessimistische Schlussfolgerungen zu ziehen. Am Samstag hielt Socialist Appeal am Rande der Konferenz ein Treffen ab, auf dem Rob Sewell vor 70 Delegierten, Gästen, ArbeiterInnen und Jugendlichen über die marxistische Tradition in der Arbeiterbewegung sprach. Er erklärte, dass egal wie unbarmherzig die Rechte gegen uns SozialistInnen vorgehen wird, egal wie misslich die Lage scheint: Sie werden die herannahende Flut von Klassenkämpfen nicht aufhalten können. Und diese wird sich früher oder später in der Labour Party ausdrücken.

Mit dieser Zuversicht und Orientierung bekämpfen die GenossInnen die rechte Hexenjagd und bauen die marxistischen Kräfte in der Arbeiterbewegung weiter auf. Auf Basis kommender sozialer Kämpfe wird es möglich, die rechte Bürokratie los zu werden und Labour wieder in eine Kampforganisation der Arbeiterklasse zu verwandeln, um eine Gesellschaft zu erkämpfen, die frei von Ausbeutung, Unterdrückung und bürokratischen Eigeninteressen ist.

(Funke Nr. 197/30.9.2021)


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