Bis zum Redaktionsschluss spitzte sich der Ukraine-Konflikt immer mehr zu. Miriam van den Nest und Florian Keller beleuchten die Hintergründe.

Seit Monaten wird in der westlichen Presse die Propagandatrommel gerührt, um zu beweisen, dass Putins Russland mit seiner „wachsenden Aggression“ der Schuldige im Konflikt ist, während der Westen „Demokratie“ und „Selbstbestimmung“ in der Ukraine verteidigt. Ausgangspunkt der aktuellen Zuspitzung ist tatsächlich ein russischer Truppenaufmarsch nahe der ukrainischen Grenze und damit verbunden weitreichende Forderungen des russischen Präsidenten, der u.a. Garantien für ein Ende der NATO-Osterweiterung und somit auch der Verhinderung eines NATO-Beitritts der Ukraine sucht.

„Demokratische“ Heuchelei

Doch in den imperialistischen Konflikten in Osteuropa haben sich in den letzten Jahren Aggression und Verteidigung, Offensive und Defensive oft abgewechselt. Anfang 2014 gingen die USA und ihre europäischen Verbündeten nach Protesten in der Ukraine in die Offensive, indem sie unter dem Deckmantel der „Verteidigung der Menschenrechte“ unter anderem Neonazis unterstützen, um den pro-russischen Präsidenten zu stürzen und das Land so in ihren Einflussbereich zu bekommen.

Es folgte eine Gegenoffensive Russlands, das die Krim annektierte und pro-russische Separatisten im Donezbecken unterstützte. Die USA halfen der damaligen neuen ukrainischen Regierung darin, wiederrum eine blutige, kriegerische Offensive gegen die Separatisten zu starten, die letztendlich scheiterte, aber dabei tausende Tote forderte und zum kürzlich herrschenden Waffenstillstand führte. Und auch dem jetzigen Säbelrasseln Russlands ging eine Offensive der USA voran, die im vergangenen Jahr (erfolgreich) massiven Druck gegen die Inbetriebnahme der fertiggestellten Nord-Stream-2 Pipeline zwischen Russland und Deutschland ausübten. Nachdem die USA und die EU also jahrelang Öl ins Feuer gegossen haben, tauschen sie dieses jetzt gegen Krokodilstränen über die Völker- und Menschenrechtsverletzungen Russlands ein. Das ist an Heuchelei nicht zu überbieten.

Das österreichische Kapital befindet sich im Schlepptau seiner „größeren“ Verbündeten USA und EU, versucht aber aus wirtschaftlichen Eigeninteressen soweit es geht, zwischen den Großmächten zu balancieren. So verkündete Bundeskanzler Nehammer mit der ihm eigenen Mischung aus Überheblichkeit und politischer Beschränktheit, „wenn es um Frieden geht, war Österreich nie neutral." Er nannte es „maximal ein Gerücht“ und „der Desinformationspolitik geschuldet“, dass deutsche Medien berichteten, er wäre bei Sanktionen gegen Russland auf die Bremse gestiegen – nur um fast im selben Atemzug stark zu betonen, Österreich stehe für „stufenweise“ Sanktionen, und die Nord-Stream-2 Pipeline (immerhin einer der zentralen Konfliktpunkte!) stehe jetzt nicht im Zentrum, weil sie ja noch nicht zertifiziert sei.

Was will Putin?

Das Interesse Putins ist keine kriegerische Auseinandersetzung, sondern zu versuchen, die NATO und insbesondere die USA zu Zugeständnissen zu zwingen. In diesem Lichte muss auch gesehen werden, wenn Putin nun offiziell die separatistischen, unter der de-facto Kontrolle Russlands stehenden Republiken Donezk und Luhansk im Osten des Landes anerkannt hat und auch angekündigt hat, Truppen in das Gebiet zu entsenden. Nachdem das bisherige Säbelrasseln keine Ergebnisse gebracht hat, erhöht er den Einsatz und den Druck: Offiziell beanspruchen die Republiken ein größeres Territorium, als sie derzeit kontrollieren – die direkten Spannungen zwischen russischen und ukrainischen Truppen verschärfen sich so.

Dieses Vorgehen ist kein Zufall – denn Putin kann sich einen Gesichtsverlust nicht leisten. Mit dem Säbelrasseln in der Ukraine lenkt er auch von eigenen innenpolitischen Problemen ab, indem der Nationalismus geschürt wird. Die kürzliche Massenerhebung der Arbeiterklasse in Kasachstan aufgrund steigender Inflation ist Putin eine Warnung, die er offensichtlich verstanden hat.

Internationalismus gegen Imperialismus!

In diesem zynischen Spiel ist auf keiner Seite ein fortschrittlicher Ansatz zu finden. Wie Kriminelle, die vor Gericht gegeneinander aussagen, haben beide Seiten letztendlich teilweise recht damit, wenn sie sich gegenseitig der verschiedensten Verbrechen beschuldigen.

In der Ukraine findet nichts anderes als ein gewaltiges Pokerspiel um wirtschaftlichen und geopolitischen Einfluss zwischen den imperialistischen Staatenlenkern und Kapitalisten aus den USA, Russland und den zentralen europäischen Ländern statt.

Die Leidtragenden sind die Massen in der Ukraine und der Region, die mit wachsender Armut und teilweise auch mit ihrem Leben bezahlen müssen, während sich die (von den verschiedenen Seiten unterstützten) Oligarchen und internationalen Konzerne durch die im Land herrschenden Hungerlöhne schamlos bereichern.

Doch wie der deutsche Kommunist Karl Liebknecht es während des ersten Weltkrieges formulierte: Der Hauptfeind steht im eigenen Land!

Die Arbeiterbewegung und Linke hierzulande darf sich nicht hinter die eine oder andere reaktionäre Macht stellen.

Unsere Aufgabe ist es in aller erster Linie, den Kampf gegen Raiffeisen, OMV und deren politischen Vertreter in der Regierung aufzunehmen, die seit Jahren die reaktionäre Kriegspolitik der „größeren“ Mächte mittragen und unterstützen – um damit den ArbeiterInnen in der Ukraine, in Russland und den USA den Rücken für ihre eigene Kämpfe freizuhalten.

Hoch die internationale Solidarität!

(Funke Nr. 201/23.2.2022)


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