Während in den vergangenen Wintermonaten Menschen aus Syrien und Afghanistan an der Grenze zwischen Belarus und Polen erfroren, sind jetzt die Grenzen für ukrainische Flüchtlinge offen. Merve Beypinar über die tatsächlichen Gründe dieses Schwenks der ÖVP in der Flüchtlingspolitik.

Nehammer wird nicht müde zu betonen, dass die Situation bei den UkrainerInnen eine ganz andere ist als bei einem „klassischen Flüchtling“. Es handle sich um Europäer, die nachbarschaftlichen Schutz benötigen. Sie sollen vollen Zugang zum Arbeitsmarkt bekommen und damit soll eine rasche Integration stattfinden.

Ermöglicht wird dies durch die EU-Massenzustrom-Richtlinie von 2001, die als Reaktion auf den Jugoslawienkrieg und die damalige Flüchtlingsbewegung erarbeitet wurde. Für Flüchtlinge bedeutet das, keine individuellen langwierigen Asylverfahren durchlaufen zu müssen, freie Wahl bezüglich des Fluchtlandes in der EU, einen freien Arbeitsmarktzugang, Sozialhilfe und Familiennachzug. Die Richtlinie wurde nun erstmals im Zusammenhang mit dem Ukraine-Krieg aktiviert, während man bei Flüchtlingen aus anderen Ländern bisher auf diese Möglichkeit bewusst verzichtete. Die EU schafft damit eine Unterscheidung zwischen Geflüchteten 1. und 2. Klasse.

Ukrainische Flüchtlinge

Je nach der konkreten wirtschaftlichen Lage ändert sich auch das gesuchte Profil an Arbeitskräften von Seiten der Bourgeoisie: Viele ArbeiterInnen haben während der Coronapandemie ihre Branche gewechselt und wollen nicht mehr in schlecht bezahlten, unsicheren Jobs arbeiten. Während zunächst Minister Kocher den Druck auf Arbeitslose erhöht und mit Sanktionen gegen Arbeitslose gedroht hat, spielt ihm nun der Ukraine-Krieg in die Hände. Er hofft, mit den gut ausgebildeten UkrainerInnen den „Arbeitskräfte- bzw. Fachkräftemangel“ im IT-Bereich, der Gastro und in den Sozialdiensten lindern zu können.

Doch tatsächlich ist der Grund für diese Lücken die massive Verschlechterung der Arbeitsbedingungen. Jeder, der kann, meidet oder verlässt diese Branchen. Gut ausgebildete UkrainerInnen stellen ein „sehr gutes Potenzial“ dar, so Kanzler Nehammer. Während nun Arbeitskräfte aus der Ukraine eingesetzt werden, um schlecht bezahlte Jobs zu besetzen und so das Lohnniveau zu drücken, wirbt man gleichzeitig um die Gelder geflüchteter ukrainischer Geschäftsleute, die sich möglichst in Österreich niederlassen sollen.

Der Grund, warum wir in Wien und anderen Städten Österreichs gerade eine große Anzahl an teuren Autos mit ukrainischem Kennzeichen sehen, liegt darin, dass die Reichen und Teile der Mittelschicht Grenzbeamte bestechen und trotz des Ausreiseverbots für Männer im wehrpflichtigen Alter das Land verlassen konnten. Doch diese Schicht stellt nur eine kleine Minderheit der Flüchtenden dar.

Weltweit sind die meisten Flüchtlinge Binnenflüchtlinge. Die meisten fliehen innerhalb der Landesgrenzen oder in das unmittelbare Nachbarland. Also im Falle der Ukraine nach Polen, Russland und Ungarn. Den meisten fehlt es an finanziellen Mitteln, um überhaupt nach Westeuropa zu kommen. Die, die es dorthin schaffen, haben meist für die Flucht sehr viel bezahlt.

Flucht und Kapitalismus

Die Fluchtursachen sind in letzter Instanz ein Resultat des globalen Kapitalismus und der zerstörerischen Zerwürfnisse, die die Bourgeoisie auf globaler Ebene verursacht. Von imperialistischen Kriegen, sozialem Elend, Deindustrialisierung und Klimakatastrophen angetrieben, sind Menschen gezwungen ihren Lebensmittelpunkt zu verlassen. Für die meisten bedeutet das Schrecken ohne Ende. Die Kapitalisten importieren Billigarbeitskräfte und spalten damit die Arbeiterklasse.

Der Großteil dieser Flüchtlinge lebt in prekären Umständen und wird von den Kapitalisten als Lohndrücker eingesetzt. Der einzige Schutz dagegen ist die volle rechtliche Gleichstellung von allen inländischen und ausländischen Arbeitskräften und der gemeinsame Kampf der österreichischen Arbeiterklasse mit den zugewanderten ArbeiterInnen aller Nationen. Nur ein konsequenter Internationalismus kann die Basis für diesen gemeinsamen Kampf darstellen. Wie Lenin bereits sagte:

„Die Bourgeoisie hetzt die Arbeiter der einen Nation gegen die der andern auf und sucht sie zu trennen. Die klassenbewussten Arbeiter begreifen die Unabwendbarkeit und Fortschrittlichkeit der Zerstörung aller nationalen Scheidewände des Kapitalismus und bemühen sich, die Aufklärung und Organisierung ihrer Genossen aus den zurückgebliebenen Ländern zu fördern.“

(Funke Nr. 204/31.5.2022)


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