Fred Weston skizziert auf der Basis eines längeren Aufenthalts in Athen im Dezember 2008 in diesem längeren Artikel Perspektiven für den Klassenkampf in Griechenland.
Am 20. Dezember wurde das Büro von Tiresias, einer Kreditanstalt im Zentrum von Athen, im Zuge eines gewaltsamen Zusammenstoßes zwischen der Polizei und einer Gruppe von Anarchisten in brand gesteckt. Am darauf folgenden Morgen erzählte mir mein Taxifahrer von diesem Vorfall. Sein Kommentar war: „Sie haben es leider nicht geschafft, das ganze Gebäude niederzubrennen, weil das hätte wenigstens den Rest von uns vor diesen Haien gerettet.“ Am Tag darauf nahm ich ebenfalls ein Taxi auf dem Weg zum Flughafen. Als der Fahrer an einer Häuserwand ein Graffiti mit dem Schriftzug „Aufstand“ erblickte, meinte er, dass wir genau das brauchen würden.
Wer den bürgerlichen Medien Glauben schenkt, der wird glauben, dass nur eine kleine Minderheit von Anarchisten hinter den Zusammenstößen mit der Polizei steckt, die das Land in den letzten Wochen erschüttert hat. Zweifelsohne würde sich die überwältigende Mehrheit der lohnabhängigen Bevölkerung nicht aktiv an solchen Aktionen beteiligen, und die meisten haben wohl auch kein Verständnis für das in Brand setzen von parkenden Autos, kleinen Geschäften usw. Diese Aktionsform kann nur den Effekt haben, dass sich die Protestbewegung von der Mehrheit der Bevölkerung entfremdet. Dies wiederum spielt nur der Regierung in die Hände, die dadurch einen Vorwand erhält, um die Bewegung zu kriminalisieren.
Doch die meisten Menschen unterscheiden sehr gut zwischen diesen sinnlosen Aktionen und der Militanz von normalen SchülerInnen und StudentInnen, die durch die Polizeibrutalität aufgebracht sind. Die Menschen haben nicht vergessen, dass diese Bewegung durch die Ermordung eines jungen Schülers durch einen Polizisten ausgelöst worden war.
Wo die Anarchisten Banken oder die Büros von „Schuldeneintreibern“ ins Visier genommen haben, dort können sie sich auch der Sympathie großer Bevölkerungsteile sicher sein. Dies hat eine Meinungsumfrage Mitte Dezember eindeutig ergeben, wo dieser Gewaltausbruch von rund zwei Drittel der Befragten als „Volksaufstand“ gesehen wurde.
Die Lohnabhängigen in Griechenland spüren tagtäglich die Auswirkungen der Wirtschaftskrise, dies gilt besonders für die Jugend, und deshalb haben sie auch Verständnis für sehr militante Protestformen.
Wir berichteten bereits in einem früheren Artikel über die Ereignisse vom 8. Dezember, als Tausende SchülerInnen im ganzen Land aus Wut über die Polizei mit Steinen, Obst usw. „bewaffnet“ auf die Polizeistationen marschierten. Die SchülerInnen vermummten sich dabei nicht und zeigten keine Angst vor der Polizei.
Was wir in Griechenland erleben, ist eine allgemeine Jugendrevolte mit revolutionärem Gehalt. Die Jugend hat in dieser Bewegung die Authorität des Staates und seiner Institutionen herausgefordert. Die wenigsten von diesen Jugendlichen werden die Schriften von Engels und Lenin über den Staat gelesen haben, doch sie haben aus der eigenen Erfahrung gesehen, welche Rolle der bürgerliche Staat einnimmt – die Verteidigung des Provateigentums und die Unterdrückung der Lohnabhängigen. Dies hat die Bourgeoisie sehr besorgt gemacht. Sie ist sich nicht im Klaren, wie sie mit dieser Situation umgehen sollte.
Wirtschaftlicher Hintergrund
Den Hintergrund für diese Entwicklung liefert die spezifische Lage der griechischen Ökonomie. Griechenland hat 13 Jahre relativ hohen Wirtschaftswachstums hinter sich. Unter der sozialdemokratischen PASOK-Regierung (1996-2004) verzeichnete das Land einen Wachstum von durchschnittlich 4% jährlich. In der jüngsten Vergangenheit hat sich das Wachstum jedoch verlangsamt. Alle Anzeichen weisen jetzt sogar in die Richtung einer Rezession.
Die Lohnabhängigen haben von diesem Aufschwung aber in keiner Weise profitiert. Die Angriffe auf den Lebensstandard der Menschen prägten diese Periode. Die private Verschuldung erreichte bisher nicht gekannte Ausmaße, weil der Boom weitgehend kreditfinanziert war nicht aber auf Reallohnerhöhungen basierte. Gleichzeitig kam es zu einem Prozess der Prekarisierung des Arbeitsmarktes. Die Arbeitsgesetzgebung begünstigte die Ausweitung von Leiharbeit und zeitlich befristeten Arbeitsverhältnissen.
Die Arbeitslosigkeit blieb trotz Aufschwung auf einem sehr hohen Niveau bei rund 8%. Die Jugendarbeitslosigkeit liegt offiziell bei 24%, in Realität aber bei rund 50%. Jugendliche hatten nur dann Aussicht auf einen Job, wenn sie wirklich hervorragende schulische Leistungen vorweisen konnten. Zehntausende SchülerInnen sind gezwingen privaten Nachhilfeunterricht zu nehmen. Alles in der Hoffnung, dass sie die Noten bekommen, die sie für die Zulassung zur Universität benötigen. Doch dort wird der Leistungsdruck weiter verstärkt. Trotz alledem finden viele Uniabsolventen keinen passenden Job und müssen prekäre, schlecht bezahlte Arbeit annehmen. Es hat sich nicht gerade zufällig der Begriff von der „700 Euro-Generation“ durchgesetzt. Das ist die soziale Wurzel für die Explosion der letzten Wochen.
Die Löhne konnten in den all diesen Jahren nicht mit dem Anstieg der Lebenshaltungskosten mithalten. Laut Gewerkschaftsangaben ist die Kaufkraft der Löhne und Gehälter in den letzten 15 Jahren konstant gesunken. Im öffentlichen Dienst gab es seit den frühen 1990ern einen Reallohnverlust von 30%, im Privatsektor ist die Situation noch schlimmer. 3 Millionen Menschen leben jetzt unter der Armutsgrenze.
Der Aufschwung ging also voll und ganz auf Kosten der Arbeiterklasse.
Doch auch die Mittelschichten kommen zusehends unter ökonomischen Druck, was dazu führt, dass die soziale Basis der konservativen Neuen Demokratie (ND) dahin schmelzen lässt und die Basis für einen Linksruck in der griechischen Gesellschaft verstärkt.
Zeichen einer kommenden Rezession
Die griechische Ökonomie ist in engem Kontext mit der wirtschaftlichen Entwicklung in Osteuropa zu sehen. Griechisches Kapital spielt in Ländern wie Rumänien, Bulgarien usw. eine wichtige Rolle. In den letzten Jahren ging diese Expansionsstrategie im Osten Hand in Hand mit Lohndumping im Inland.
Der Boom der letzten Jahre war extrem kreditfinanziert. Dazu kamen EU-Gelder und öffentliche Investitionen bei großen Infrastrukturausgaben. Diese Quellen zur Finanzierung der Wirtschaft trocknen nun langsam aus. Die Wirtschaftskrise in Europa hat direkte Auswirkungen auf die griechische Ökonomie, die stark vom Export abhängig ist. Dazu kommt eine schwere Börsenkrise und Kapitalflucht, weil die Reichen sichere Häfen für ihr Geld suchen.
Die jüngsten Zahlen deuten eindeutig auf eine Rezession hin. Für 2009 wird mit dem Verlust von 100.000 Jobs gerechnet. Die hohe Verschuldung bringt Griechenland an den Rand der wirtschaftlichen Zahlungsunfähigkeit. Griechenland könnte somit den Weg Islands gehen! Griechenland muss derzeit bereits für seinen Schuldendienst doppelt so hohe Zinsen zahlen wie Deutschland.
Angesichts dieser Krise hat die Regierung wie in ganz Europa ein Bankenrettungspaket geschnürt in der Höhe von 50% der Staatseinnahmen, oder anders ausgedrückt die Budgetausgaben für vier Jahre Bildungs- und 5 Jahre Gesundheitssystem. Dieses Paket hat weiteres Öl ins Feuer gegossen und steigert die soziale Instabilität im Land. Für das Massenbewusstsein sind das ganz wichtige Prozesse.
Zu allem Überdruss kommt noch eine Vielzahl von Skandalen, in die Minister, hohe Beamte, Kirchenvertreter usw. verwickelt sind. Diese Regierung und das Establishment sind angesichts der Skandalorgie der letzten Jahre extrem verhasst.
Es sind also alle Elemente für weitere soziale Explosionen vorhanden.
Zunehmende Militanz
Schon in den vergangenen Jahren hatten wir eine Reihe von Jugendprotesten und Streiks, allesamt Symptome für eine sehr explosive Lage. 2006 und 2007 sahen wir große Studentenbewegungen gegen die Privatisierung des Universitätssystems. Die Bewegung endete mit einem Teilerfolg, doch zu einem späteren Zeitpunkt brachte die konservative Regierung diesen Plan doch noch durch. Das war eine wichtige Erfahrung für viele StudentInnen, die erkennen mussten, dass es mehr braucht, um die herrschende Klasse zu stoppen.
Gleichzeitig kam es seit dem Jahr 2004 zu 10 Generalstreiks! Auch wenn gesagt werden muss, dass sich diese wachsende Kampfbereitschaft noch nicht in einem signifikanten Anstieg der Aktivität an der Basis der Gewerkschaften widerspiegelt. Die Gewerkschaften werden noch immer von rechten Reformisten dominiert, die alles tun, damit diese Arbeitermilitanz keinen Ausdruck finden kann.
Die griechischen Gewerkschaften sind traditionell gespalten, wobei jede Großpartei ihre eigene Gewerkschaft hat. Der größte Verband, PASKE, ist an die PASOK gebunden. Die kommunistische Gewerkschaft ist die PAME, und die ND ist vor allem in der Gewerkschaft des Öffentlichen Diensts, der GSEE, einflussreich.
Das Vertrauen der Gewerkschaftsbasis in ihre traditionellen Führungen schwindet jedoch ganz offensichtlich. Der Begriff „Generalstreik“ wurde von den Gewerkschaftsführungen in den letzten Jahren eindeutig missbraucht. Historisch gesehen bedeutete der Generalstreik, dass die ArbeiterInnenbewegung „die Machtfrage stellt“, wie Trotzki treffend analysierte. Doch wenn in vier Jahren zehn Generalstreiks ausgerufen werden, ohne greifbare Ergebnisse zu bekommen, dann verliert der Generalstreik seine Bedeutung. Die Bewegung wird durch diese Protestform nicht gestärkt, es handelt sich eher um einen Weg „Dampf abzulassen“ und dann gehen wieder alle an die Arbeit.
Trotzdem befolgen die griechischen ArbeiterInnen bis jetzt sehr gut die Streikaufrufe der Gewerkschaftsführungen. In einer ganzen Reihe von Sektoren (Stromversorgung, Post, Gemeindebedienstete, Häfen, Telekom) sahen wir seit 2007 sehr starke Streikbewegungen.
Nur in den seltensten Fällen waren diese Arbeitskämpfe gegen Privatisierungen erfolgreich. Dies hat bisweilen aber nur den Zorn der ArbeiterInnen angestachelt. Trotz ihrer Führungen wird die greichische Arbeiterklasse unter den gegebenen Umständen immer wieder in die Kampfarena gezwungen. Früher oder später wird dies eine militante Reaktion an der Basis der Gewerkschaften auslösen. Die Basis wird zu dem Punkt kommen, wo sie den einzigen Ausweg darin sieht, die eigenen Organisationen nach links zu treiben.
Zufall und Notwendigkeit
Vor diesem Hintergrund löste die Ermordung des 15jährigen Alexandros die oben beschriebene soziale Explosion aus. Über Jahre akkumulierten die Widersprüche in der greichischen Gesellschaft, und plötzlich trat alles an die Oberfläche. Jetzt spricht keiner mehr von einer unpolitischen Jugend. Es ist gerade die Jugend, die nun an der vordersten Front steht.
Der Führer der rechtsextremen LAOS-Partei zeichnete sogar das Gespenst eines neuen Mai 1968 in Griechenland an die Wand. Weiters meinte er, seine Kritik gegen die Regierung richtend: „In Frankreich hatten sie wenigstens De Gaulle, wir haben nur Karamanlis.“
Es ist kein Zufall, dass die Rechte nach einem De Gaulle Ausschau hält. In der herrschenden Klasse haben bonapartistische Tendenzen Tradition und werden auch nun wieder lauter werden. Ein bedeutender Journalist hat bereits öffentlich zur Diskussion gestellt, dass die Armee in dieser Situation eingreifen sollte. Einige Minister sprachen sich auch dafür aus, dass die Regierung den Notstand ausruft. Dies lässt natürlich Erinnerungen an das Militärregime von 1967-74 wach werden, was die Situation nicht gerade beruhigt sondern weiter eskalieren könnte. In der aktuellen Situation versuchen die Bürgerlichen den Vergleich mit dem Putsch von 1967 zu vermeiden, sie ziehen vielmehr eine Analogie zum Jahr 1908, als die Armee unter Eleftherios Venizelos eine wichtige Rolle bei der Gründung des heutigen Griechenland spielte. In der offiziellen Geschichtsschreibung wird der Armee in diesem Zusammenhang eine „progressive Rolle“ bei der Modernisierung des Landes zugeschrieben.
Auf diesem Weg soll die Rolle der Armee beschönigt warden, doch in Wirklichkeit schwebt der Rechten etwas ganz anderes vor, wenn sie an ein besonderes Engagement der Armee denken. Alles in allem ist diese öffentliche Debatte ein ernstzunehmendes Warnsignal an die griechische ArbeiterInnen- und Jugendbewegung, was in Zukunft auf sie zukommen kann, wenn sie nicht ein für allemal mit dem Kapitalismus Schluss machen.
Doch gegenwärtiug kann die Bourgeoisie die Armee noch nicht zum Einsatz bringen, weil die ArbeiterInnenklasse noch nicht besiegt wurde. Ganz im Gegenteil, sie radikalisiert sich und geht nach links. Ein Armeeeinsatz würde in der jetzigen Situation das Fass nur zum Überlaufen bringen.
Dies erklärt auch, warum der Vorsitzende der Industriellenvereinigung SEV eine Große Koalition zwischen der ND und der PASOK fordert. Sie wollen die größte Partei der ArbeiterInnenbewegung einbeziehen, um die Situation wieder zu beruhigen. Nur so kann man den Lohnabhängigen weitere Opfer „zum Wohle der Nation“ abverlangen.
Die gegenwärtige Rechtsregierung ist schwach und instabil. Selbst die Bürgerlichen haben das Vertrauen in diese Regierung verloren. Doch was ist die Alternative? Auf alle Fälle werden die traditionellen Widersprüche in der ND zwischen den unterschiedlichen Flügeln wieder aufbrechen.
Pessimismus der Bourgeoisie
In der griechischen Zeitung „Kathimerini“ vom 22.12.2008 erschien unter dem Titel “Europas Wahl” ein interessanter Artikel. Daraus folgendes Zitat:
"Heute, angesichts der Unruhen in Athen, sieht Europa den Alptraum, der seine Zukunft bestimmen wird, wenn seine Politiker und Intellektuellen keine bessere Zukunft schaffen. Wir sprechen nicht mehr länger darüber, ob die Iren den Lissabon-Vertrag ratifizieren werden oder ob die Briten die Gemeinschaftswährung übernehmen. Die Frage ist vielmehr, ob die Gesellschaften in den Mitgliedsstaaten explodieren werden.
Auch wenn in den meisten EU-Ländern die Institutionen, die sich mit den sozialen Folgen der Rezession auseinandersetzen müssen, entwickelter sind als jene in Griechenland, so sehen wir doch überall die selben Ursachen des sozialen Unfriedens und es ist nur eine Frage der Zeit, wann es auch in anderen Ländern zu solchen Erschütterungen kommen wird. (...)
"In Griechenland sind die Institutionen in den Augen der Menschen schwer beschädigt aufgrund ihrer chronischen Inkompetenz und einem generellen Klima der Korruption. Doch wenn sich die Wirtschaftskrise vertieft und die Armut sich ausbreitet, dann werden selbst die entwickeltesten Gesellschaften Probleme haben die Bedürfnisse ihrer BürgerInnen zufrieden zu stellen. Dann könnten in diesen Ländern die Dinge noch verheerender sein als in Griechenland. (...)
"Wenn sich die wirtschaftliche Situation verschlimmert, warden wir ein Übergreifen der Jugendrebellion auf die Arbeiter, die Arbeitslosen und die Migranten sehen. Bis dahin, ist es wohl wahrscheinlicher, dass wir in einem anderen Land einen allgemeinen Aufstand sehen. Was die Lage in Europa unterminiert, ist die Tatsache, dass viele junge Menschen glauben, dass es ihnen in der Zukunft schlechter gehen wird als heute, und die Älteren fürchten um ihre Jobs, ihre Pensionen, die Gesundheitsversorgung usw. Wir schlittern gerade in eine Rezession, wenn alle unsere ökonomischen Modelle und das globale Finanzsystem diskreditiert ist.“
Andere Kommentatoren haben klar aufgezeigt, dass die Ereignisse in Griechenland das Resultat einer Entwicklung darstellen, die es in ganz Europa gibt. Spanien und Italien könnten sehr bald schon diesen Weg gehen. Doch in Wirklichkeit könnte es in jedem Land in Europa zu ähnlichen Explosionen kommen.
Wenn der Vorsitzende der LAOS-Partei vor einem griechischen Mai 1968 warnt, dann liegt er insofern falsch, als dass die Perspektive vielmehr ein europaweiter Mai 1968 ist. Das ist das Gespenst, das heute in Europa umzugehen beginnt.
Revolutionäre Gärung
In den vergangenen 20 Jahren häuften sich in der Tat die Bedingungen für eine Situation ähnlichem dem Mai 1968. Wir hatten 20 große Studentenbewegungen, 1987, 1990-91, 1998, 2003 und jüngst 2006-7. Die jetzige Bewegung unterscheidet sich jedoch grundlegend von vergangenen Uniprotesten, weil sich diesmal die Masse der SchülerInnen und StudentInnen offen gegen den bürgerlichen Staat gestellt haben.
Von großer Bedeutung ist auch die Furchtlosigkeit der Jugendlichen in den Auseinandersetzungen mit der Polizei. Das sind Elemente eines revolutionären Gärungsprozesses. In den vergangenen Wochen wurden rund 600 Schulen und 160 Fakultäten an den unis besetzt. Tagtäglich kam es zu Großdemos. Am 18. Dezember gingen in Athen 40.000 Jugendliche, LehrerInnen, Arbeitslose usw. auf die Straße. Im Jänner soll die Bewegung weitergehen.
Selbst der sonstige „Weihnachtsfriede“ hielt nicht und es kam zu Protesten, der Christbaum auf dem Syntagma-Platz in Athen wurde niedergebrannt, der Nachfolgebaum musste von der Polizei beschützt werden!
Die Rolle der linken Führungen
Worin besteht die Rolle der diversen linken Parteien und ihrer Jugendorganisationen? Traditionell stand die StudentInnenbewegung in Athen stark unter dem Einfluss der KNE, der Kommunistischen Jugendorganisation. Jetzt sind aus Ablehnung der teilweise sehr bürokratischen Methoden der KNE-Spitze neue studentische Koordinationskomitees entstanden. Somit hat die KNE die Kontrolle über die Bewegung verloren. Diesen hohen Preis musste die KNE dafür zahlen, dass sie keine konkrete Perspektive der Bewegung bietet, wie es vorwärts gehen könnte.
Die StudentInnenbewegung hat große Unterstützung in der ArbeiterInnenklasse erlangt. Der Generalstreik am 10. Dezember 2008 bekam den Charakter einer riesigen Protestkundgebung gegen die Polizei. Doch die Gewerkschaftsführung, die eng mit der PASOK verbunden ist, ist nicht imstande die Bewegung weiterzuentwickeln. Doch an der Basis entsteht Druck auf die Führung einen neuerlichen Generalstreik auszurufen. Die Führung versucht diese Stimmung derzeit jedoch zu deckeln. Dies kann aber sehr schnell das spontane Element in der Bewegung, das auch ganz in der Tradition der griechischen ArbeiterInnenbewegung ist, zum Vorschein bringen.
In diesem Kontext können bisweilen anarchistische und linksradikale Gruppen den Ton angeben. Das spiegelt die Krise der offiziellen reformistischen Parteien wieder, die in der Jugendbewegung nur sehr geringe Autorität genießen.
Die Kommunistische Partei (KKE)
Die Führung der KKE (Griechische Kommunistische Partei) hat das Potential eine wichtige Rolle in diesem Prozess zu spielen. Doch was tut sie? Sie weigern sich überhaupt anzuerkennen, dass wire s mit einer Bewegung zu tun haben! Sie sagen, dass es sich nur um eine kleinbürgerliche „Proteststimmung“ handelt. Mit diesem Argument ziehen sie sich aus der Verantwortung zurück.
Vor einigen Jahren spaltete sich die KKE, Produkt dieser Spaltung ist die Linkspartei Synaspismos. Diese Partei hat andere linken Gruppen zur Bildung einer linken Wahlliste aufgerufen. Das Ergebnis dieses Prozesses ist SYRIZA. Die Führung der Synaspismos wiederum unterstützt nahezu unkritisch die Jugendbewegung. Die KKE-Spitze nutzt dies zu einer harten Polemik gegen die restliche Linke und präsentiert sich in der Öffentlichkeit als Partei, die Recht und Ordnung respektiert. Die beiden aus einer kommunistischen Tradition kommenden Parteien sind also angesichts der aktuellen Jugendrevolte offen gespalten.
Das erklärt auch, warum die KKE-Führung alles unternimmt, um die eigene Basis von der Bewegung zu isolieren. Wie macht sie das? Anstatt eine Einheitsfront der gesamten Linken und von allen Gewerkschaften aufzubauen, organisiert die KKE ihre eigenen Demos und Kundgebungen. Bei Gewerkschaftsdemos organisiert ihre Fraktion in der GSEE, die PAME, separate Treffpunkte und Aufmärsche getrennt vom Rest der Bewegung.
Dieses Verhalten kann damit erklärt werden, dass die KKE-Führung kein wirkliches Konzept hat, wie die Bewegung vorwärts gebracht werden könnte. Zum Beispiel ruft die KKE nicht einmal zum Sturz der ND-Regierung auf! Und obwohl die gesamte Linke darin ein wichtiges Etappenziel sieht, antwortet die KKE-Führung mit der Frage, wer dann diese Regierung ersetzen solle. Da die einzige Alternative in einer Regierungsbeteiligung der PASOK bestünde, sagt die KKE, dass dies ohnedies keinen Unterschied mache. Der einzige Ausweg liege in einer Stärkung der KKE und der Schaffung der notwendigen Bedingungen für eine „Volksfront“.
Das erklärt, warum sie die Bewegung runter spielt und sie als kleinbürgerlich bezeichnet. Das ist ihr Alibi für ihre Nichtteilnahme an der Bewegung. Die KKE versucht die Linke auf die nächsten Parlamentswahlen zu orientieren anstatt zu versuchen eine Bewegung aufzubauen, welche die ND-Regierung zu Fall bringen könnte.
Zwei Tage nach dem Mord an dem jungen Schüler hatte Premier Karamanlis alle Parteivorsitzenden zu Gesprächen eingeladen. Das war ein offensichtlicher Versuch den Anschein zu erwecken, als wäre die Regierung nicht isoliert. Der Vorsitzende der KKE, Papariga, nahm diese Einladung tatsächlich an. Nach dem Treffen sagte Papariga in einer ersten Stellungnahme, dass SYRIZA mit den Anarchisten gemeinsame Sache machen würde. Die KKE lehnt also den Dialog mit anderen Linken ab, ist aber zu Gesprächen mit Karamanlis bereit!
Das Fehlen einer Perspektive und eines Programms zwingt die KKE-Führung dazu, die eigene Basis in einer Art stalinistischem Ghetto einzusperren. Die Partei befindet sich nun in einer Vorkonferenzperiode, der Parteitag wird im Februar 2009 stattfinden. Die Parteispitze versucht den Stalinismus wieder zu beleben. Es soll sogar offizielle Parteiposition sein, dass KommunistInnen die Moskauer Schauprozesse unterstützen müssen.
Die Position der Führung der KKE lautet: “Wer Stalin attackiert, der attackiert den Sozialismus”. Das provoziert aber interne Kritik von einem Teil der Partei, der diese Linie nicht zu teilen bereit ist. Ein führender KKE-Politiker hat sogar ein Oppositionspapier verfasst und eine Diskussion innerhalb der Partei eröffnet. Im vergangenen Jahr hat sich auch in der Kommunistischen Jugend (KNE) eine Opposition herausgebildet, die mit Ausschlüssen bekämpft wurde. Zu den Ausgeschlossenen zählten auch einige der führenden Köpfe der KNE.
Anstatt sich der Bewegung zu öffnen, haben die Führungen der KKE und der KNE einen offen sektiererischen Kurs eingeschlagen und versuchen den Massen Befehle zu erteilen. Ihre Intervention sieht so aus, dass sie jeden, der die ihre Politik nicht akzeptiert als „antikommunistisch“ bezeichnet. Der KKE geht es nur um politisches Kleingeld.
Doch die Basis der KKE und der KNE lässt sich natürlich nicht in diesem Ghetto halten, sie ist in direktem Kontakt mit der realen Bewegung und sie sucht auch instinktiv die Einheit mit SYRIZA. Diese Situation muss in der KKE zu einem Differenzierungsprozess führen. Eine Krise der Partei ist durchaus wahrscheinlich, weil die Linie der Führung immer mehr in Konflikt mit den Bedürfnissen der Basis kommt. Auf der Grundlage genuin marxistischer Positionen könnte die KKE eine Schlüsselrolle in der Bewegung einnehmen. Der Stalinismus bietet für die kommunistische Bewegung nur eine Sackgasse.
Druck auf Synaspismos/SYRIZA
In der Zwischenzeit konnte die Führung von SYRIZA aus dieser Bewegung einiges an Kapital schlagen. Sie unterstützen die Bewegung und beschreiben sie als „Jugendrevolte“. Gleichzeitig ist sie jedoch nicht imstande eine Perspektive zu bieten. In den Augen vieler ArbeiterInnen und Jugendlicher werden sie wie die AnarchistInnen gesehen.
Das schafft eine ziemlich paradoxe Situation in den Reihen von Synaspismos, die treibende Kraft hinter SYRIZA. Der linke Flügel von Synaspismos hat ziemlich linke Losungen und Methoden aufgestellt. Die Jugendorganisation von Synaspismos haben die Losungen der AnarchistInnen. Doch der rechte Flügel hat offen die “Gewalt” in der Bewegung verurteilt. Das kommt nicht zufällig, hofft die Rechte doch auf die Bildung einer Koalitionsregierung mit der PASOK.
Diese Möglichkeit ist auch nicht ganz ausgeschlossen. Das wäre eine reformistische Regierung, und die Führung von SYRIZA müsste als linkes Feigenblatt für diese Regierung herhalten. Dies wiederum würde die Differenzierungsprozesse an der Basis von SYRIZA beschleunigen. Derzeit spürt SYRIZA ordentlichen Rückenwind, ihre Jugendorganisation wächst, in den Gewerkschaften steigt ihr Einfluss, was durch das Sektierertum der KKE erleichtert wird. Eine Regierung bestehend aus PASOK und SYRIZA würde in Synaspismos ab einem bestimmten Zeitpunkt zu einer Krise führen.
Die PASOK hat sich in der Zwischenzeit offen gegen die Bewegung gestellt. Der linke wie auch rechte Flügel der Partei war sich darin einig, dass die SchülerInnen die Besetzung der Schulen aufgeben sollten. Diese Position ist aber im direkten Widerspruch zu der Stimmung und den Hoffnungen vieler ArbeiterInnen, die bei den nächsten Wahlen wahrscheinlich die PASOK wählen werden.
Griechenland wohin?
Wie wird sich die Situation in der kommenden Periode entwickeln? Die Regierung könnte in den kommenden Monaten stürzen.
Meinungsumfragen geben den linken Parteien KKE, SYRIZA und PASOK für den Fall vorgezogener Wahlen zwischen 60% und 65%. Das ist klarer Ausdruck eines Linksrucks in der griechischen Gesellschaft. Die Bourgeoisie steht vor dem Problem, dass die PASOK allein keine Mehrheit bekommt. Sie liegt in den Umfragen ungefähr bei 38,5%, womit sie nur 142 der 300 Parlamentssitze erhalten würde. Die PASOK wäre somit auf einen Koalitionspartner angewiesen. Eine Koalition mit SYRIZA wäre jedoch nicht sehr handlungsfähig, weil die Basis der kleineren Linkspartei zu viel fordern würde. Und letztlich brauchen die Bürgerlichen eine „starke Regierung“, die es mit der Bewegung aufnehmen kann. Doch woher nehmen?
Die sozialdemokratische PASOK spricht von einem „neuen Sozialvertrag“ als Ausweg aus der Wirtschaftskrise und will staatlich finanzierte Konjunkturprogramme zur Unterstützung der griechischen Kapitalisten. Gegenwärtig wenden sich viele ArbeiterInnen wieder hoffnungsvoll an ihre traditionelle Partei. SYRIZA hat nach einem Hoch in den Umfragen im letzten Jahr wieder an Einfluss verloren, weil sie sich nur als etwas linkere PASOK gibt. Viele ArbeiterInnen denken sich daher, dass es dann doch besser ist, die größere Partei zu wählen, damit die Konservativen nicht wieder stärkste Partei werden. SYRIZA könnte nur mit einem alternativen sozialistischen Programm der PASOK das Wasser abgraben.
Was die Masse der ArbeiterInnen auf keinen Fall will, ist ein Verbleib der ND in der Regierung. Eine Große Koalition wird daher mehrheitlich abgelehnt. Die Wahlarithemtik könnte jedoch die PASOK-Führung gegen ihre jetzigen Aussagen in eine solche Große Koalition zwingen. Dies würde dem Standpunkt der Parteirechten um Ex-Premier Simitis entsprechen.
Auf alle Fälle könnten bei vorgezogenen Wahlen alle linken Parteien dazu gewinnen. Die Linke stünde dann aber vor der Herausforderung, einen Ausweg aus der Krise zu weisen. Die PASOK-Führung verbleibt dabei uneingeschränkt in der Logik des kapitalistischen Systems und ist getrieben von den Interessen der griechischen Unternehmer. SYRIZA und KKE stellen aber keine wirkliche Alternative dar. Der Widerspruch zwischen der Stimmung unter den Massen und der Politik der linken Parteispitzen ist offensichtlich.
Die griechischen ArbeiterInnen und Jugendlichen werden wohl die Erfahrung machen müssen, dass ihre Fürhungen die Regierung stellen werden. Dieser Prozess wird sehr schmerzlich sein, wird aber auch die Basis dafür legen, dass die Massen eine Alternative zum kapitalistischen System suchen werden, das diese Krise verursacht hat. Die MarxistInnen werden unter diesen Bedingungen geduldig ihre Ideen erklären und versuchen die Bewegung vorwärts zu bringen.
Sie bekämpfen das Sektierertum der KKE-Spitze und fordern von der KKE eine Politik der Einheitsfront mit SYRIZA. Diese Einheitsfront würde über eine starke elektorale Unterstützung verfügen. Diese Kraft würde von links enormen Druck erzeugen können und hätte auch große Attraktivität für viele ArbeiterInnen, die bisher bei Wahlen der PASOK das Vertrauen ausgesprochen haben. Ob dies gelingt hängt aber nicht zuletzt davon ab, ob die Linke ein sozialistisches Programm entwickeln kann, das eine Alternative zur PASOK darstellt. Die MarxistInnen setzen sich sowohl an der Basis der KKE wie auch von SYRIZA für die Formierung einer solchen Einheitsfront ein.