Seitdem die Krise in Griechenland akut ist, erscheinen in bürgerlichen Massenblättern ständig Artikel über faule Beamte, ein zu frühes Pensionsantrittsalter usw. Die Fakten sprechen aber eine ganz andere Sprache.
Während der letzten Wochen sahen wir europaweit eine unvorstellbare Verleumdungskampagne gegen die griechische ArbeiterInnenklasse. Getragen wird sie vor allem von Boulevardblättern, die speziell für Lohnabhängige schreiben. Dahinter steht der Versuch die ArbeiterInnen in den anderen europäischen Ländern davon abzuhalten eine Position der internationalen Solidarität mit der ArbeiterInnenklasse in Griechenland zu entwickeln, die sowohl von der griechischen wie auch der internationalen Bourgeoisie frontal attackiert wird.
Hier ein paar Fakten, die wir dieser Lügenkampagne entgegenhalten:
Eurostat zufolge arbeiten die griechischen Beschäftigten im Durchschnitt mit 42 Wochenstunden um 1,7 Stunden länger als ihre KollegInnen in den restlichen 27 EU-Mitgliedsstaaten. Im Vergleich zu den Ländern der Eurozone arbeiten sie sogar 2 Stunden länger.
Ebenfalls basierend auf den Daten von Eurostat sehen wir, dass die Beschäftigten in der Privatwirtschaft in keinem Land der Eurozone so wenig verdienen wie die GriechInnen. Der durchschnittliche Bruttolohn, einschließlich Sozialversicherungsbeiträgen und Steuern, liegt bei 803 Euro. Dies ist weit weniger als in allen anderen Euro-Ländern. Die durchschnittlichen Reallöhne in der Privatwirtschaft liegen nach jahrelangen Angriffen mittlerweile auf dem Niveau von 1984. So viel zu dem Mythos, die griechischen ArbeitnehmerInnen würden sich fortwährend über Lohnsteigerungen erfreuen können.
Und das Pensionsantrittsalter bzw. die Pensionshöhe? Wenn wir den Massenmedien glauben, dann leben die GriechInnen in einer Art Arbeiterparadies auf Erden, wo man früh den Ruhestand antreten kann und fette Pensionszahlungen genießen kann. Das durchschnittliche Pensionsantrittsalter liegt in Griechenland bei 61,4 Jahren, etwas über dem europäischen Durchschnitt von 61,1 Jahren. Die durchschnittliche Pensionshöhe beträgt in Griechenland rund 750 Euro, in Spanien sind es 950 Euro, in Irland 1700, in Belgien 2800 und in den Niederlanden 3200 Euro. Diese Zahlen wurden vor der Einführung der jüngsten Maßnahmen berechnet, die eine Anhebung des Pensionsantrittsalters von 65 auf 67 Jahre vorsehen, bei einer gleichzeitigen Pensionskürzung zwischen 30 und 50 %.
Dem jährlichen Bericht der beiden Gewerkschaftsdachverbände GSEE-ADEDY zur Wirtschafts- und Beschäftigungssituation aus dem Jahr 2009 können wir entnehmen, dass bei 4,5 Millionen Erwerbstätigen mehr als eine Million Menschen nicht sozialversichert sind. Das griechische Arbeitsministerium hat einen Bericht vorgelegt, wonach 30% aller Arbeitskräfte keinen Sozialversicherungsschutz haben, während im Rest der EU dieser Prozentsatz bei 5-10% liegt.
Und wessen Schuld ist das? Viele UnternehmerInnen zahlen keine Sozialversicherungsabgaben, weil sie sonst die Beschäftigungsverhältnisse legalisieren und in der Folge auf Steuern auf ihre Gewinne zahlen müssten. Um diese Steuer- und Abgabenpflicht umgehen zu können, setzen viele auf illegale Beschäftigung und auf die Schattenwirtschaft. Hätten die Bosse in den vergangenen Jahren alle Sozialversicherungsbeiträge entsprechend den gesetzlichen Vorschriften bezahlt, dann wäre die Lage bei weitem nicht so schlimm. Es sind die griechischen KapitalistInnen und die ausländischen InvestorInnen, die von dieser Praxis profitiert haben. Doch zur Kassa werden jetzt die griechischen ArbeiterInnen und die sozial Schwachen gebeten!
Darüberhinaus existiert in Griechenland das Phänomen der rund 300.000 Scheinselbständigen, also ArbeiterInnen, die gezwungen sind sich „selbständig“ zu machen, in Wirklichkeit aber in einem abhängigen Beschäftigungsverhältnis stehen. Mit dem Vorteil, dass sie jederzeit gefeuert werden können und keine Kosten für Urlaub, Krankenstand usw. anfallen. Dann gibt es noch die Gruppe der 200.000 “Teilzeit”-Beschäftigten, von denen die meisten in der Realität Vollzeit arbeiten aber nicht dementsprechend entlohnt werden.
Griechenland wird in diesen Tagen häufig der Vorwurf gemacht, es hätte einen zu aufgeblähten öffentlichen Dienst. Laut der ILP (International Labour Organization) sind 22,3% aller Beschäftigten in Griechenland im öffentlichen Dienst tätig. In Frankreich sind es 30%, in Schweden 34%, in den Niederlanden 27%, in Britannien 20% und in Deutschland 14%. Was dabei nicht vergessen werden sollte, ist die Tatsache, dass 300.000 öffentlich Bedienstete zeitlich befristete Arbeitsverträge haben, was dazu führt, dass sie sehr schlecht entlohnt sind und kaum Rechte haben.
Die Gehälter der Beschäftigten im öffentlichen Dienst sind seit 1990 bereits um rund 30% gesunken. Dies ist eine Folge der bereits seit Jahren andauernden Sparpakete auf dem Rücken dieser Gruppe von Lohnabhängigen.
Ein weiterer Vorwurf sind die sogenannten “13. und 14. Monatsgehälter“, die zu Weihnachten und zu Ostern ausbezahlt werden. Der Hintergedanke war, dass durch diese Aufsplittung des Jahreseinkommens in den Ferien die Kaufkraft gestärkt wird, was für den Tourismus extreme wichtig ist. Entsprechend den jüngsten Maßnahmen der Regierung werden die öffentlich Bediensteten und die PensionistInnen diese beiden Zahlungen verlieren. Dabei sollten wir berücksichtigen, dass alle bisherigen Zahlen über die Einkommenssituation der griechischen Beschäftigten und PensionistInnen dieses 13. und 14. Monatsgehalt beinhalten.
Der Mythos von den angeblich in Saus und Braus lebenden GriechInnen wird vollends zerstört, wenn wir uns anschauen, wie sich die Lebenshaltungskosten entwickelt haben. Während die Löhne und Gehälter zu den niedrigsten in der Eurozone gehören, steigen die Preise für Produkte des täglichen Bedarfs kontinuierlich und liegen in den meisten Fällen über dem EU-Niveau. So kosten Kaffee und Tee mehr als die Hälfte als in anderen EU-Ländern. Auch bei anderen Produkten ist das Preisniveau in Griechenland viel höher als in anderen Ländern.
Natürlich gibt es auch in Griechenland eine Schicht von Superreichen, die selbst im internationalen Vergleich über große Vermögen verfügen. In der ersten Hälfte des vergangenen Jahrzehnts gehörten die griechischen KapitalistInnen in Sachen profitabler Kapitalverwertung immer zu den Top 3. Die griechischen Banken genießen selbst jetzt noch im EU-Vergleich eine der höchsten Zinsraten ein. Das alles ist kein Zufall, kann das griechische Kapital doch auf eine vergleichsweise sehr billige ArbeiterInnenklasse zurückgreifen. Durch den hohen Anteil an Arbeitskräften, die in der Schattenwirtschaft beschäftigt werden, können sich die UnternehmerInnen außerdem gewaltige Summen an Steuern und Sozialversicherungsbeiträgen ersparen.
Die Kampagne in der bürgerlichen Presse in ganz Europa basiert also rein auf Lügen. Es ist unsere Aufgabe der ArbeiterInnenbewegung in ganz Europa die Wahrheit über die Lage der griechischen ArbeiterInnenklasse zu erklären.
Das heißt nicht, dass es den ArbeitnehmerInnen im Rest von Europa so viel besser geht. Die Maßnahmen, die heute gegen die griechische ArbeiterInnenklasse gerichtet sind, werden morgen schon gegen die KollegInnen in Portugal und in weiterer Folge in Spanien, Italien, Belgien, Britannien usw. zum Einsatz kommen. Schon vorher haben wir in Irland gesehen, was die Bürgerlichen vor haben. Griechenland liefert nur einen Vorgeschmack auf die kommenden Ereignisse in ganz Europa.
Die bürgerlichen Medien versuchen nun die ArbeiterInnenklasse eines Landes gegen die anderer Länder auszuspielen. Sie versuchen die Schuld für die gegenwärtige Krise des Euro auf die griechischen ArbeiterInnen zu schieben und präsentieren so einen neuen Sündenbock. Schon morgen werden wir von den „faulen Portugiesen“ und die “faulen Italiener” hören. In allen Ländern wird der Sozialabbau durch eine „Sozialschmarotzerdebatte“ vorbereitet.
Die europäische ArbeiterInnenbewegung muss daher dieser Verleumdungskampagne entschieden entgegentreten und die Lügen der Bürgerlichen beantworten und die wahren Verursacher der Krise beim Namen nennen.
Solidarität mit den griechischen ArbeiterInnen ist jetzt das Gebot der Stunde. Dieser Kampf gegen Sozialabbau muss europaweit geführt werden – mit dem Ziel jene zur Kassa zu bitten, die wirklich faul sind und nichts produzieren, die Industriellen, die Banker, die FinanzspekulantInnen und die Eigentümer der großen Handelsketten.
Redaktion "Marxistiki Foni", Athen