Am 22. September wird ein neuer Bundestag gewählt, eine wichtige Weichenstellung für ganz Europa. Alles deutet auf einen klaren Wahlsieg von Frau Merkel hin.

Die Ursachen dieser auf den ersten Blick überraschenden politischen Landschaft liegen darin begründet, dass die Arbeiterbewegung keinerlei eigenständige politische Vorschläge zur Krisenbewältigung vorweisen kann. Da hält sich „der deutsche Michael“ verständlicherweise lieber an das, was er kennt, und hofft, dass „die Merkel“ im eigenen Land griechische Verhältnisse zu verhindern weiß. Diese Stimmung dürfte bei den kommenden Wahlen entscheidend sein.

Eisern in Europa, soft in Deutschland

Während Merkel und ihr Finanzminister Wolfgang Schäuble in Südeuropa zu den verhasstesten Politikern überhaupt gehören, gehen sie im eigenen Land behutsamer vor. Statt einer totalen Konfrontation mit der organisierten Arbeiterklasse, mit den Stammbelegschaften und Gewerkschaften, setzt die Mehrheit der herrschenden Klasse auf die Tradition der deutschen „Mitbestimmung“, auf „Konsens“ mit der Führung der Gewerkschaften. Diese danken es mit öffentlicher Unterstützung für Merkels reaktionäre Kürzungs- und Zerstörungspolitik in Südeuropa.

Das Geheimnis des deutschen „Job-Wunders“ liegt in der dominanten Stellung des deutschen Kapitalismus in Europa. Dieser profitierte vom Reichtumsimport durch Kapitalexport. Viele der Geschäfte in Griechenland, Spanien etc. sind geplatzt, doch die involvierten Banken wurden allesamt durch massive Kapitalspritzen der Steuerzahler vor dem Bankrott gerettet. Andererseits ist Deutschland weiterhin die Produktionshalle Europas. Während die Industrie in Italien und Frankreich, den anderen industriellen Zentren Europas, massiv an Marktanteilen verliert, können Deutschlands Exporteure weiter Zugewinne erzielen. Nur China exportiert mehr Waren als die Bundesrepublik.

Dies ist auch das Resultat der sogenannten Hartz IV-Maßnahmen. Ein Viertel der Arbeiterklasse fristet ein Arbeitsleben in Leiharbeit, Mini-Jobs, Werkvertragsjobs, Befristungen und Scheinselbstständigkeit. Viele der „working poor“, also Menschen, die von ihrer Arbeit nicht mehr leben können, brauchen als „Aufstocker“ ergänzende Sozialhilfe. Die Kalkulation der Herrschenden, dass die Prekären nicht aufmucken und oft nicht einmal wählen gehen, und die besser abgesicherten Stammbelegschaften in der Regel noch stillhalten, weil sie nicht ins „Prekariat“ herabsinken wollen, ist bisher aufgegangen.

Zudem werden viele von der Politik beschlossene Angriffe auf die Arbeiterklasse erst mit Verzögerung spürbar. Etwa wenn Beschäftigte schwer krank und berufsunfähig werden, oder aus dem aktiven Arbeitsleben ausscheiden und plötzlich merken, dass die Leistungen der Krankenkasse längst nicht mehr alles abdecken und die Pension für einen Lebensabend in Würde nicht ausreicht. Als Vorbote größerer Altersarmut sieht man jetzt schon in den Straßen deutscher Städte normal gekleidete ältere Menschen, die in Mistkübeln nach Pfandflaschen suchen, für die sie im nächsten Supermarkt ein paar Cent bekommen.

Achillesferse der LINKEN

Die LINKE hebt sich durch Anti-Militarismus, klar formulierten sozialen Forderungen und einer durchschimmernden anti-kapitalistischen Haltung deutlich von der SPD ab. Auch betont sie durchgängig, dass nicht die Südeuropäer gerettet werden, sondern die Banken. In entscheidenden Fragen ist die LINKE jedoch unfähig den Standpunkt der Arbeiterklasse zu formulieren und übernimmt dadurch Positionen unterschiedlicher Kapitalfraktionen. Am deutlichsten ist dies in der Frage des Euro. Die Parteimehrheit unterstützt den Euro als gesamteuropäisches Projekt, und kritisierte allein die Politik der sozialen Zerstörung durch die Troika. Diese Position suggeriert, dass ein anderes Europa möglich ist, ohne die Grundmechanismen der europäischen Integration in Frage zu stellen. Es blieb einmal mehr Oscar Lafontaine vorbehalten, hier öffentlich Gegenposition zu beziehen. In einem Beitrag im „Handelsblatt“ plädierte Lafontaine für die Auflösung des Euros in unterschiedliche „demokratisch legitimierte“ Währungsblöcke. Die ökonomische Basis dafür sei die „Rückkehr zum kleinteiligen Sparkassensystem“. Lafontaine weiter: „Das vielfach vorgetragene Argument, dass der Übergang zu einem anderen europäischen Geldsystem ebenfalls mit sozialen Verwerfungen verbunden ist, trifft ohne Zweifel zu. Aber das Festhalten am jetzigen System führt zu den denkbar größten Schäden. Ein einigermaßen geregelter und kontrollierter Übergang zu einem stabileren neuen europäischen Geldsystem ist besser als der unausweichliche Bruch, der ein neues System, ob wir wollen oder nicht, erzwingen wird.“

Wenn Lafontaine analytisch in weiten Bereichen zuzustimmen ist, so sind die politischen Schlussfolgerungen empörend. Die gute alte Sparkassa als Träger eines demokratischen Europa, wo sogar das Geld demokratisch legitimiert ist, wofür wir auch gern soziale Verwerfungen in Kauf nehmen – diese Vision ist utopisch und reaktionär zugleich. Die Aufgabe der Linken ist es den Zerfallsprozess des kapitalistischen Europas im Sinne der Arbeiterklasse zu gestalten und gesellschaftliche Macht zu erobern, anstatt neue Geldsysteme zu erfinden oder das bestehende zu stützen.

Die Fraktion „Antikapitalistische Linke“ der LINKEN hat, dem gleichen Gedanken folgend, zum Wahlprogramm folgenden Abänderungsantrag gestellt: „Ohne einen Bruch mit der kapitalistischen Profit- und Konkurrenzlogik, ohne ein Ende der Eigentums- und Machtkonzentration in den Händen einiger Weniger, ohne einen grundlegenden gesellschaftlichen Wandel hin zu einer sozialistischen Demokratie, kann eine Änderung des Währungssystems in Europa oder der Austritt einzelner Staaten aus dem Euro die tieferliegenden Krisenursachen nicht beheben und keine nachhaltige ökonomische und soziale Entwicklung einleiten. Deshalb fordert DIE LINKE zum jetzigen Zeitpunkt weder ein Ende des Euro, noch ist sie eine Befürworterin der Einheitswährung.

Gleichzeitig erkennen wir an, dass in linken und gewerkschaftlichen Bewegungen verschiedener von der Krise besonders betroffener Staaten, eine Debatte begonnen hat, ob diese Länder bessere Entwicklungschancen außerhalb des Euro-Raums haben. Jede Bevölkerung muss das Recht haben, aus dem Euro auszutreten, wenn dies in demokratischen Volksabstimmungen entschieden wird.

Die Antwort der europäischen Linken auf die Krise in Europa muss aber der gemeinsame Widerstand über Ländergrenzen hinweg – für höhere Löhne, bessere Sozialstandards und Arbeiterrechte – sein. Ein Neustart für eine demokratische und an den Interessen der Bevölkerung orientierte europäische Einigung kann nicht auf kapitalistischer Basis erfolgen. Nur durch weitgehende Maßnahmen gegen die Macht des Kapitals – Überführung der Banken und Konzerne in demokratisches öffentliches Eigentum, Einführung von Kapitalverkehrskontrollen, Bildung von Regierungen der Linken – kann die Basis für eine neue Vereinigung Europas von unten erfolgen. Heute ist unsere Aufgabe eine größtmögliche Einheit im sozialen Widerstand herzustellen.“

Regierungsfrage

Das bürgerliche Lager zielt klar auf eine Fortsetzung der bisherigen Regierungskoalition CDU-FDP ab. Die SPD möchte mit den Grünen koalieren, gäbe sich aber auch als Juniorpartner für die CDU zufrieden. Die LINKE wiederum ist in der Frage der Unterstützung und/oder Duldung einer rot-grünen Koalition gespalten. Aus unserer Sicht müssen die Abgeordneten der LINKEN eine mögliche Abwahl Merkels jedenfalls unterstützen, ebenso wie einen SPD-Kandidaten als Bundeskanzler. Danach darf es jedoch keinerlei Block oder fixe Tolerierungsvereinbarung geben. Die LINKE sollte fortschrittliche Seiten der Politik, und seien sie auch noch so klein, unterstützen und gleichzeitig scharfe Kritik an den reaktionären, arbeiterfeindlichen Inhalten üben. Damit würde sie sich größtmögliche Bewegungs- bzw. Beinfreiheit erhalten und SPD/Grüne zwingen, Farbe zu bekennen, und gleichzeitig die eigenen Kräfte stärken.

Formelkompromisse ade

Dieses Szenario ist momentan jedoch unwahrscheinlich. Viel wahrscheinlicher ist, dass diese Wahlen, und vor allem die Zeit danach, zu einer Innenschau der deutschen Linken führen werden. Die Zeit der innerparteilichen programmatischen Formelkompromisse läuft ab, da die Krise des Kapitalismus sich weiter entwickelt, und Deutschland nach der Sommer(Wahl-) pause wieder das europäische Parkett betritt. Wenn die LINKE sich dazu durchringen kann, abseits von bürgerlichen Fragestellungen klar für die Vereinigten Sozialistischen Staaten Europas, als Zielorientierung aller sozialen Kämpfe in Europa einzutreten, wäre damit nicht nur der deutschen, sondern der Arbeiterbewegung aller europäischer Staaten ein guter Dienst erwiesen.


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