Am letzten Maiwochenende diskutierten fast 200 Delegierte am 39. Verbandstag der SJÖ die politische Ausrichtung der Sozialistischen Jugend für die kommenden 2 Jahre. Ein Bericht von Lukas Frank.
Insbesondere angesichts von Krieg und Inflation war der Verbandstag ein wichtiger Gradmesser, wie sich die SJÖ in diesen gesellschaftlichen Zuspitzungen positioniert. Doch die Organisation schaffte es nicht, den nötigen Schritt nach links zu vollziehen.
Am ersten Tag wurde Paul Stich mit 84,4% das zweite Mal zum SJÖ-Vorsitzenden gewählt. Während er bei seiner Antrittsrede 2020 konkrete radikale Reformen (wie eine Millionärssteuer von 80%) forderte, hielt er sich dieses Mal vager. Auch in der ersten Leitresolution der SJ-Führung wurde die Anschlussfähigkeit an die breite Arbeiterklasse dem Aufstellen „möglichst radikaler Forderungen“ künstlich gegenübergestellt. Dieser Gedanke ist allgemein nicht richtig, und in der jetzigen Situation geradezu fatal. Denn gerade jetzt wäre es nötig, der rechten Führung der Arbeiterbewegung eine weitreichende sozialistische Perspektive entgegenzusetzen, statt künstlich tiefzustapeln.
Klassenkampf statt Sozialpartnerschaft
Die kontroverseste und längste Debatte des ersten Tages war der Inflation gewidmet. Hierzu brachten Funke-UnterstützerInnen einen Antrag mit der Forderung eines gemeinsamen Kampfs der gesamten Arbeiterklasse für einen automatischen Inflationsausgleich der Löhne ein. Damit könnte die ganze Kraft der Klasse für den notwendigen Kampf gegen die Teuerung gebündelt werden.
Dass dies aktuell nicht passiert, liegt an der sozialpartnerschaftlichen Logik der Gewerkschaftsführung. Doch Kapitalisten werden stets versuchen, die Arbeiterklasse für die Krise zahlen zu lassen, ungeachtet „logischer“ Argumente am Verhandlungstisch. Nur der Kampf auf der Straße und im Betrieb bis hin zum Generalstreik wird diese Angriffe abwehren können. Als größte linke Jugendorganisation ist es die Verantwortung der SJ, für dieses Programm in Sozialdemokratie und Gewerkschaftsbewegung aufzutreten, so der Antrag.
Nach langer, hitziger Debatte wurde er abgelehnt. Argumente, die dabei fielen, waren etwa: Ohne Sozialpartnerschaft sei keine Gewerkschaft möglich, die SJ sei zu klein, um für einen Generalstreik einzutreten und es sei nicht ihre Aufgabe, die derzeitige Gewerkschaftsführung zu kritisieren.
Der Hauptfeind steht im eigenen Land
Eine zweite sehr kontroverse Debatte behandelte die Frage des Ukraine-Krieges. Sie entspannte sich vor allem am Antrag „Ukraine-Krieg: Der Hauptfeind steht im eigenen Land!“, den ebenfalls Funke-UnterstützerInnen einbrachten. Dieser macht klar, dass jeder Krieg imperialistischer Mächte abzulehnen ist und hielt fest: „Wir kämpfen für die Einheit der ArbeiterInnen aller Länder und daher als erstes gegen die Politik der eigenen KapitalistInnen, damit der Krieg beendet werden kann.“ Dies bedeutet u.a.: Das öffentliche Stellen gegen die SPÖ-Position, die sich offensiv hinter die Erhöhung des Militärbudgets stellte; die Ablehnung staatlicher Einschränkung der Pressefreiheit, die auch Linke treffen werden, sowie der Abzug österreichischer Truppen aus Bosnien.
Dieser Antrag wurde zu Gunsten eines Gegenantrages der SJ Wien abgelehnt, der als Abänderungsantrag eingebracht wurde und so den Delegierten erst direkt bei Beginn der Diskussion bekannt wurde. Dieser stellte die Argumentation des Ursprungsantrages teilweise auf den Kopf: Nicht die eigene Bourgeoise, sondern Autokraten anderer Länder werden in diesem verurteilt. Laut dem Antrag „haben es österreichische Regierungen, besonders jene unter sozialdemokratischer Führung, oft gut verstanden die Neutralität für aktive Friedenspolitik zu nutzen“. Das Bundesheer sorge als Teil von UN-Truppen für militärische Deeskalation. Man sei zwar gegen Aufrüstung, eine öffentliche Positionierung zur SPÖ soll es jedoch nicht geben.
Generell versuchten viele Anträge, sich zu den sozialen Zuspitzungen in Bezug zu setzen, forderten z.B. Preisdeckel oder Zuschüsse bezahlt von den Reichen. Die realen Kämpfe der Arbeiterklasse sowie die klassenkämpferische und sozialistische Positionierung in der Arbeiterbewegung gegenüber Führung von Sozialdemokratie und Gewerkschaft spielten aber keine Rolle. Doch nur über diesen Weg sind Verbesserungen auch tatsächlich durchzusetzen.
Bürgerliche Krisenverwaltung oder eigenständige Position der Arbeiterklasse?
Nach Jahren in der Opposition drängt es die Spitzen der SPÖ wieder in die Regierung, notfalls auch mit der ÖVP und gegen die eigene Basis. Daher ist es richtig, klar gegen so eine Perspektive Stellung zu beziehen. Es ist daher gut, dass eine Koalition mit der ÖVP von der ehemaligen Vorsitzenden Julia Herr in ihren Grußworten abgelehnt wurde. Auch Paul Stich machte das in seiner Rede deutlich, wenn auch in allgemeinerer Form.
Doch eine Beschränkung auf die Ablehnung einer Koalition mit ÖVP (und FPÖ) zeigt auch immer mehr ihre gefährlichen Grenzen: Eine sogenannte „Fortschrittskoalition“ (SPÖ-Grüne-Neos) wird mit den jetzigen Umfragen immer wahrscheinlicher, würde die SPÖ aber genau wie die SPD in Deutschland nur zur direkten Verwalterin der Krise im Auftrag der Bürgerlichen machen.
Gerade deswegen wäre es eine zentrale Aufgabe der SJ, mit einem eigenständigen Programm eine konkrete sozialistische und revolutionäre Perspektive aufzuzeigen. Dieser Verbandstag konnte das leider nicht leisten und bedeutete in wichtigen Fragen sogar einen Schritt zurück. Es braucht eine grundlegende Kurskorrektur und eine Besinnung auf die marxistischen Wurzeln, damit die größte linke Jugendorganisation nicht zum Spielball der SPÖ-Bürokratie wird.
(Funke Nr. 204/31.5.2022)