Im April demonstrierten Wiener Jugendliche gegen die Missstände im Gesundheitsbereich. Und das nicht ohne Grund, denn die Lage der Kinder und Jugendlichen verschlimmert sich stetig. Natalie Ziermann über die Hintergründe.

In Österreich hat mehr als die Hälfte aller unter 22-jährigen depressive Symptome. JedeR Zweite hat Schlafstörungen, ein Drittel Angstsymptome und 16% wiederkehrende Suizidgedanken. Nicht nur die Anzahl der psychischen Erkrankungen bei Jugendlichen steigt, die KlientInnen werden auch immer jünger. Bei meiner Arbeit als Klinische Psychologin im Kinder- und Jugendbereich begegnen mir mittlerweile regelmäßig 11-jährige, die Suizidversuche begehen. Wartezeiten für Kassentherapieplätze betragen in etwa sechs Monate. Laut der Österreichischen Gesellschaft für Kinder- und Jugendpsychiatrie existieren in den Psychiatrien bundesweit nur halb so viel Plätze, wie gebraucht werden. Für therapeutische Wohngemeinschaften betragen die Wartezeiten nicht selten ein Jahr oder noch länger. Spezialisierte Einrichtungen für beispielsweise Autismus-Therapien haben Wartezeiten von 4–5 Jahren. Langes Warten auf die notwendige Behandlung bei psychischen Erkrankungen führt aber zu einer extremen Verschlechterung der Symptomatik und erhöht das Risiko, dass die Erkrankungen chronisch werden. Mit langen Wartezeiten geht auch eine kurze Behandlungsdauer in den Kinder- und Jugendpsychiatrien einher. Suizidale KlientInnen werden häufig nach 2–3 Tagen entlassen. Die kurze Aufenthaltszeit bringt zwar kurzfristig Entlastung, führt aber in der Regel zu hohen Wiederaufnahmeraten, was in einem Teufelskreislauf endet.

Die Belastung für Angestellte im Kinder- und Jugendbereich ist dementsprechend hoch. Der Sozialbereich, der ohnehin chronisch unterfinanziert ist, wurde durch die Auswirkungen der Corona-Krise nochmal mehr unter Druck gesetzt. Die Fluktuation und die Burn-Out-Rate bei den MitarbeiterInnen ist hoch, was auch für den Therapieerfolg der Kinder und Jugendlichen nicht gerade zielführend ist. Personal wird an allen Ecken und Enden händeringend gesucht, ohne dass es jedoch maßgebliche Verbesserungen in der Bezahlung oder den Arbeitsbedingungen geben würde.

Auch im Kinderbereich ist die Anzahl von Verhaltensauffälligkeiten gestiegen. Die Wartezeiten für Kindergarten- und Schulassistenzen, die Kinder mit psychischen oder körperlichen Beeinträchtigungen den Kindergarten oder Schulbesuch ermöglichen sollen, beträgt häufig mehrere Monate. In Kombination mit einem massiven Personalmangel in Kinderkrippen und Kindergärten führt das dazu, dass die Betreuungssituation oft nicht mehr haltbar ist. Immer mehr Kindergärten schließen Gruppen oder reduzieren von einer Woche auf die andere die Betreuungszeiten von ganztags auf halbtags. Die steirische Landesregierung hat darauf insofern reagiert, als dass im Mai 2023 ein Gesetz beschlossen wurde, laut dem Kindergartengruppen bis zu sechs Wochen lang von Personal ohne jegliche pädagogische Ausbildung geführt werden dürfen. Dass das nicht nur völlig unverantwortlich ist, sondern auch zu einem massiven Qualitätsverlust in der Kinderbetreuung führt, versteht sich von selbst.

Die Initiative #kinderbrauchenprofis hat aus diesem Grund wieder zu Demonstrationen von Eltern, Kindergartenpersonal und anderen betroffenen Personen sowie SympathisantInnen aufgerufen. Gefordert wird unter anderem eine Qualitätssicherung der Arbeit, bessere Arbeitsbedingungen und Bezahlung.

Es ist völlig offensichtlich, dass dieses System uns krank macht. Der einzige Weg nach vorne ist es, den Herrschenden und ihrer Profit- und Sparlogik den Kampf anzusagen. Die Initiativen der Jugendlichen, Beschäftigten und Eltern sind ein wichtiger Schritt – denn der Frust ist groß und das Potenzial für entschiedene Kämpfe auch.

(Funke Nr. 214/24.05.2023)


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