Energiekrise, Lieferprobleme, Nahrungsmittelkrise, Inflation: Die Weltwirtschaft scheint eine Verschwörung gegen die Menschen zu sein. Von Emanuel Tomaselli.

Seit der letzten Ausgabe unserer Zeitung ist der Preis für ein Kilo Weizenmehl beim Diskonter Hofer von 45 Cents auf 69 Cent angehoben worden, dies ist eine Preissteigerung von über 50%. Da alle Preise gleichzeitig steigen, sehen wir eine Inflation wie seit Jahrzehnten nicht. Im Februar betrug sie in der Eurozone 5,8%, und alle Preise steigen weiter. Der Miniwarenkorb, der den Wocheneinkauf einer Durchschnittsfamilie widerspiegelt, bewegt sich seit Monaten im Bereich von 9% Teuerung, und die Mieten kennen keine Obergrenze. Spätestens mit den Jahresabrechnungen der Energielieferanten wird es in Arbeiterfamilien zu Dramen kommen. Da greift jede politische Schönrechnerei der Statistik Austria ins Klo. Sie informiert die Öffentlichkeit, dass das Leben im Wald noch immer günstig sei: „Ohne Teuerungen für Verkehr, Wohnen und Nahrungsmittel läge die Inflation bei1,8 Prozent.“

Überraschend ist die jetzige Inflation nicht, denn sie ist eine unmittelbare Folge der Politik der Zentralbanken, massig Geld in die Wirtschaft zu pumpen. Wir haben uns in den vergangenen Jahren stets gegen jene „progressiven“ Ideen (Stichwort: „New Monetary Theory“, „Green New Deal“, „Bedingungsloses Grundeinkommen“) gerichtet, die aus der Not eine Tugend machen wollten und argumentierten, dass alle Probleme der Welt nicht durch die Überwindung der Profitwirtschaft, sondern allein durch das Drucken von Geld gelöst werden könnten. Denn eines der grundlegendsten Gesetze der Volkswirtschaft lautet: Wenn man die Geldmenge verdoppelt, die Warenmenge aber gleichbleibt, dann fällt der Wert des Geldes eben auf die Hälfte.

EZB: 10 Jahre im Dienst der Reichen

Die Frage ist vielmehr, warum trotz der lockeren Geldpolitik der Zentralbanken der letzten Jahre die Inflation erst jetzt so richtig anspringt. Die Bilanzsummen der wichtigsten Notenbanken, also die Geldmenge, die die Zentralbanken in Umlauf bringen, hat sich in den vergangenen 20 Jahren annähernd verneunfacht. Allerdings erst in den vergangenen zwei Jahren hat dies auch bedeutet, dass die tatsächlich zirkulierende Geldmenge in der Volkswirtschaft massiv größer geworden ist. Warum ist das so?

Nach der sogenannten Finanzkrise von 2008 haben die Zentralbanken den Geldhahn aufgedreht, um die Banken mit Billiggeld zu retten. Das gelang auch weitgehend. Die Aktionäre wurden gerettet. Die Banken selbst haben nach der Finanzkrise das Geld aber nur ungern weitergeliehen. Sie selbst haben also wenig neues Geld geschaffen (nichts anderes ist ein Kredit: Geldschöpfung durch Banken). Gleichzeitig war das die Zeit der großen Sparpakete. Der Staat hat also weniger Geld ausgegeben. In einigen Ländern (so auch in Österreich) wurden Staatsschulden vor der 2020er Krise wieder abgebaut. Das viele Geld der Zentralbanken floss an Banken, und diese investierten es in sogenannte „Anlagen“, also Immobilien, Aktien und immer neue spekulative Blasen (Kunst, NFTs, Technologie-Aktien…), was die Preise in diesen Bereichen über Jahre steigen ließ, nicht jedoch bei den Waren eines Durchschnittsarbeiters. Die Reichen wurden so immer reicher, ohne dass sie dafür Dinge produzieren lassen müssten, die tatsächlich einen Gebrauchswert für die Menschen hätten.

Um diesen Trend des Reichwerdens durch Geld zusätzlich zu unterstützen, haben die Zentralbanken ab 2013 auch noch begonnen, die Nachfrage nach Finanztiteln durch Ankauf dieser Papiere anzukurbeln. Dann haben die Zentralbanken auch angefangen, Staatsschulden durch das Drucken von neuem Geld zu finanzieren. Ein Fünftel der bestehenden Staatsschulden in der Eurozone und den USA werden von der eigenen Zentralbank gehalten. Für MarxistInnen war klar, dass dieses geldpolitische Perpetuum mobile, in dem die Reichen scheinbar Geld aus Geld machen und die Alltagspreise dabei stabil bleiben, sich einmal ins Gegenteil umkehren muss. Denn Geld kann auf Dauer keine unabhängige Rolle im Wirtschaftsprozess spielen, weil nur die menschliche Arbeit tatsächliche Werte schafft. Genau dies aber kann der Kapitalismus nicht leisten, denn die Kapitaleigner investieren nur, um Profit zu machen, nicht um allen Menschen ein würdiges Lebens zu garantieren.

2022 inflation europa credit tagesgeld.infoGrafiken: tagesgeld.info

COVID bringt alles zum Kippen

Unter dem Eindruck des abrupten Einbrechens der Weltwirtschaft in der Covid-Krise wurden alle geldpolitischen Maßnahmen der Zentralbanken der Vorperiode nochmals massiv ausgeweitet (siehe Grafik). Gleichzeitig werden durch neue Rettungspakete und Covid-Hilfen enorme Budgetdefizite in Kauf genommen. Dieses Geld floss jetzt teilweise tatsächlich auch zur Arbeiterklasse (etwa in Form von Kurzarbeitsgeld oder Schecks an alle, wie der „Schnitzel-Fünfziger“ in Wien und in viel größerem Ausmaß in den USA). In Österreich hat das Budgetdefizit 2020 bei 8,8% des BIP gelegen (2021: 5,8% des BIP). Das ist weit über der von der EZB festgelegten (und derzeit noch ausgesetzten) Defizit-Grenze von 3%.

Gleichzeitig aber stockt die Produktion von Waren, und es kommt bei einzelnen Gütern (Rohstoffe, Mikrochips) zu einer Knappheit, obwohl die Menschen konsumieren wollen und könnten. Die Ursache der Knappheit waren zuerst die Lockdowns und pandemiebedingte Lieferprobleme. Dann aber begann der ganze Krisenprozess des Weltkapitalismus voll zu greifen. Hohe Preise für Energie etwa führten dazu, dass viele Düngemittelhersteller im letzten halben Jahr ihre Produktion reduziert haben. Aktuell steht auch die Papierfabrik in Bruck/Mur aus dem gleichen Grund still. Jeder Unternehmer produziert nur für den eigenen Profit. Weil angesichts dieses Marktversagens nicht klar ist, ob er das investierte Geld wieder zurückbekommt, wird selbst bei lebensnotwendigen Waren die Produktion eingestellt.

Handelskriege und imperialistische Konflikte spitzen die Lage zu. Plötzlich sei es nicht mehr legitim, Erdöl aus Russland zu konsumieren, nur die Scheich-Diktaturen am Persischen Golf sollen jetzt menschenrechtszertifiziertes Öl und Gas liefern dürfen. Es ist eine klassische Zeit für Spekulanten und nicht für Warenproduzenten.

Es kommt also alles zusammen: massiv gestörte globale Produktionsketten (auch bei immer grundlegenderen Warengruppen wie Energie und Nahrungsmittel), enorm viel Geld im Umlauf, enorm hohe Schuldenstände (355% des globalen BIP). Der Krieg in der Ukraine ist nur der letzte Tropfen, der die Preissteigerungen außer Kontrolle geraten lässt und den Handel vollends unvorhersehbar macht. Die Sanktionen und Strafzölle gegen Russland sowie die weltweite Aufrüstungsspirale, die jetzt beginnt, treiben diese Widersprüche auf eine neue Spitze, ohne dass sie dadurch gelöst werden könnten.

Wie kommen wir da heraus?

Auf Grundlage des Kapitalismus gibt es keinen Ausweg aus dieser Krise, die immer nur neue Formen annehmen wird. Dieses Verständnis muss sich in der Arbeiterbewegung durchsetzen. Die Gewerkschaften stehen enorm unter Druck, den Preisanstieg durch hohe Lohnsteigerungen zu kompensieren. Um dem zu entgehen, fordern sie (gemeinsam mit der SPÖ und auch der KPÖ), dass der Staat die Preissteigerungen für die Arbeiterklasse (oder zumindest die besonders armen Schichten) ausgleichen soll. Diese Forderung geht am Kern des Problems vorbei, weil erstens diese „Kompensation“ nur einen geringen Teil der Teuerung ausgleichen wird und zweitens, weil das Problem nur auf die Seite der noch höheren Staatsschulden geschoben wird (die dann erst recht wieder die Arbeiterklasse bezahlen wird).

Die Bürgerlichen haben keine Lösung für all diese Probleme. Die Notenbanken, allen voran die EZB, sind machtlos, weil sie alle geldpolitischen Möglichkeiten bereits in der Vorperiode ausgeschöpft haben. Die Regierungen wollen wieder sparen, aber sie haben Angst vor den politischen Konsequenzen des Sparens. Außerdem müssen sie gegen die Konkurrenz militärisch aufrüsten. Sie nutzen nun die Betroffenheit über das Leid in der Ukraine, um für magere Jahre für die Arbeiterklasse zu werben. Zu diesem patriotischen Gift sagen wir: „Danke, aber nein danke!“

Die einzige menschenwürdige Lösung des Problems ist eine, die zulasten der Profite geht. Einige Konzerne, Händler, Spekulanten und Großbauern machen jetzt richtig Geld, weil die Kosten der Arbeit in weit geringerem Ausmaß steigen als die Warenpreise. Um den Lebensstandard der Arbeiterklasse wenigstens stabil zu halten, brauchen wir eine gleitende Lohnskala, also die automatische Anpassung der Löhne an die steigenden Lebenshaltungskosten. Preiskontrollen für lebensnotwendige Güter und ein Mietenstopp gehören gesetzlich durchgesetzt und von den Organisationen der Arbeiterklasse kontrolliert. Unternehmer, die diese neuen Rahmenbedingungen nicht akzeptieren wollen und mit Entlassung und Schließung drohen, sollten enteignet werden und die Betriebe unter Kontrolle der Belegschaften weitergeführt werden.

(Funke Nr. 202/22.3.2022)


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