Die Krise in Griechenland verursachte eine beispiellose Talfahrt des Euro an den internationalen Börsen. Damit hat die kapitalistische Krise ein neues Stadium erreicht. Wir fragen aus diesem Anlass nach Hintergründen und den Zukunftsperspektiven der EU.
Wir erinnern uns vielleicht, dass die Krise von 2008 dadurch „überwunden“ wurde, dass die vom Zusammenbruch bedrohten Großbanken und andere Privatunternehmungen durch Unmengen an staatlichen Geldern künstlich am Leben erhalten wurden. Das hatte aber keine merkliche Besserung der Lage zur Folge.
Die Banken sind trotz massiver staatlicher Geldspritzen nicht willens, mehr Kredite zu vergeben. Die bürgerliche Ökonomie sieht darin eine „Vertrauenskrise“. Das fehlende Vertrauen der Banken untereinander und gegenüber Unternehmen und Privatpersonen aber hat einen Grund: Sie vergeben deswegen fast keine Kredite, weil sie wissen, dass sie das Geld möglicherweise nicht wieder sehen. Denn es herrscht Überproduktion an Kapital- und an Konsumgütern. So lag beispielsweise die Kapazitätsauslastung in der US-amerikanischen Industrie im April 2009 bei 68,28%, d.h. 12,6% unter der durchschnittlichen Auslastung der Jahre 1972-2008. In allen wichtigen Wirtschaftsmächten und allen entscheidenden Industrien ist das Bild ein ähnliches. Das heißt, dass alleine durch verstärkte Verwendung der schon vorhandenen Kapazitäten enorm viel mehr produziert werden könnte. Das aber würde sofort zu sinkenden Preisen führen und die Profite der Konzerne verringern.
Was wir sehen, ist ein Musterbeispiel einer kapitalistischen Krise. Denn nur das kapitalistische System kennt Krisen der Überproduktion. Diese sind eigentlich eine Perversität. Der Lebensstandard der Massen verschlechtert sich nicht etwa, weil zu wenig da ist, sondern weil zu viel produziert werden kann, um mit Profit zu verkaufen. Das ist ein Problem, das nur in einer Wirtschaft entstehen kann, in der sich die Produktionsmittel in Privateigentum befinden und daher nicht für die Befriedigung menschlicher Bedürfnisse, sondern für Profite produziert wird.
Es zeigt sich, dass die ungeplante kapitalistische Produktion früher oder später immer in die Krise führen muss. Es ist eine Grundeigenschaft des kapitalistischen Systems, die Produktivität auf der Jagd nach immer größeren Profiten ständig zu erhöhen – ohne Rücksicht darauf, ob die Produkte auch gekauft werden können. Im Konkurrenzkampf rüsten die verschiedenen Unternehmen gegeneinander auf und versuchen sich in Sachen moderner Technik zu übertrumpfen. Alle wollen besser, schneller, mehr und billiger als die Konkurrenz produzieren, um die KundInnen anzuziehen. Das hat zur Folge, dass die Gesellschaft heute so reich ist wie nie zuvor. Gleichzeitig aber erwartet die Massen eine Perspektive der steigenden Armut und Arbeitslosigkeit und des sinkenden Lebensstandards, wie sich untenstehend am Beispiel Österreichs nachvollziehen lässt.
Die Märkte spielen verrückt
Die ganze sogenannte Finanzkrise ist in Wirklichkeit eine Krise des Kapitalismus. Die historisch einmalige Aufblähung der Finanzmärkte in den letzten Jahren war vor allem Ausdruck von Problemen in der Realwirtschaft. Die aktuelle Krise ist Folge dessen, wie die „Ölkrise“ der 1970er gelöst wurde. Damals wurde der „Neoliberalismus“, dessen einziger Sinn es war, die Profite der Großunternehmen auf Kosten der Lohnabhängigen zu sanieren, modern. Um dennoch die Nachfrage nicht zu untergraben, wurden auf allen Ebenen Schulden gemacht. Das Kreditwesen begann enorme Ausmaße anzunehmen. Kredit aber kann keine eigenständige wirtschaftliche Rolle spielen. Er ist ein Mittel, um den Konsum über seine natürlichen Grenzen hinaus auszudehnen. Aber Kredit muss früher oder später zurückgezahlt werden – und das mit Zins und Zinseszins.
Als die „Finanzkrise“ schließlich 2008 offenbar wurde, gerieten die Bürgerlichen in Panik. Kaum jemand hatte die Krise kommen sehen. Aus Angst vor den sozialen Folgen einer tiefen Rezession wurden Unmengen staatlicher Gelder in die Wirtschaft gepumpt. Die bürgerliche Ökonomie – sei es in ihrer neoliberalen oder ihrer keynesianischen Schattierung – ist unfähig, die Krise ihres Systems zu erklären. Die Antwort der Bürgerlichen auf das Problem der „Kreditknappheit“ ist es, den Banken immer mehr (Steuer-)Geld zu schenken und das Geldangebot zu erhöhen, d.h. Geld zu drucken. Dies ist ein reiner Verzweiflungsakt, von dem selbst die ignorantesten bürgerlichen ÖkonomInnen wissen müssten, dass er früher oder später zu einer steigenden Inflation führen wird. Das ganze Problem aber ist eines der Alternativen. Die Wirtschaft einfach zusammenbrechen zu lassen, wäre wahrscheinlich noch verheerender gewesen, als sie von Staats wegen zu retten und damit das Problem in die Zukunft zu verschieben. Die Zukunft aber beginnt die Gegenwart bereits jetzt einzuholen. Die grundlegenden wirtschaftlichen Probleme bleiben ungelöst. Trotz extrem niedriger Zinsen und öffentlicher Geldgeschenke lassen die Reichen ihr Kapital lieber auf den Finanzmärkten als in die Realwirtschaft zu investieren.
Es gibt keinen Kapitalismus ohne Spekulation. Das Kapital kann nicht gezwungen werden, in bestimmte Bereiche zu investieren. Das würde das Ende des Kapitalismus bedeuten. Die Grundlage des Kapitalismus ist das Privateigentum an den Produktionsmitteln und die Freiheit des Kapitals, sich den besten Anlageplatz zu suchen. Zu sagen, der Kapitalismus ist eh in Ordnung, es müsste nur mehr in die Realwirtschaft investiert werden, heißt in Wirklichkeit: Es ist in Ordnung, wenn sich einige wenige auf Kosten der übergroßen Mehrheit bereichern, sie sollten dabei nur wenigstens Dinge produzieren, die die Menschen auch brauchen können. Das aber ist eine Illusion! Es ist ein Kennzeichen des Kapitalismus, dass in Krisenzeiten vermehrt auf Kredit und Spekulation gesetzt wird, was sich in der aktuellen Krise besonders deutlich zeigte. Der Versuch, das Kapital zu zwingen, in für es weniger rentable Bereiche zu investieren, würde dem Versuch gleichkommen, ein Raubtier zu vegetarischer Ernährung zu bringen und ihm gleichzeitig die Krallen schön bunt zu lackieren.
Die Krise der EU
Die Schuldenkrise des griechischen Staates löste eine Talfahrt des Euro und der internationalen Börsen aus. Die Berg- und Talfahrt an den internationalen Börsen ist vor allem Ausdruck der extrem instabilen Situation der Weltwirtschaft. Es wurden gigantische Staatsschulden aufgenommen und die Streiks in Griechenland zeigen, dass es keine leichte Sache für die Herrschenden ist, ihre eigene Krise auf die Mehrheit der Bevölkerung abzuwälzen.
Wie in jeder Krise steigt der Preis des Goldes enorm. Papiergeld ist schließlich nur ein Zahlungsversprechen, das per Gesetz als Zahlungsmittel festgelegt wurde. Gold hingegen hat einen wirklichen Wert, denn es muss abgebaut werden, was durchaus aufwändig ist. Daher ist es zusammen mit anderen Edelmetallen ein Wertmesser par excellence. Sein Wert entspricht der durchschnittlich gesellschaftlich zu seiner Produktion notwendigen Arbeitszeit – wie bei jeder anderen Ware auch. Im 20. Jahrhundert wurde Gold als universeller Wertmesser des Geldes durch den Dollar als Reservewährung abgelöst. Heute sind die USA von der größten Kreditgeberin zur weltgrößten Schuldnerin geworden, doch eigentlich weiß niemand, durch wie viel Gold der US-Dollar gedeckt ist. Der steigende Goldpreis ist nur eine Widerspiegelung der Instabilität der Weltwirtschaft. Der steigende Dollar hingegen hat keine wirkliche Grundlage in der US-amerikanischen Wirtschaft. Er ist nur Ausdruck dessen, dass die InvestorInnen immer noch mehr Vertrauen in den US-Dollar als in den Euro haben – also Anzeichen eines Mangels an rentablen Investitionsalternativen.
An den Ereignissen rund um Griechenland ist zunächst einmal die Tatsache bemerkenswert, dass „die Märkte“, d.h. in diesem Fall anonyme Rating-Agenturen, über Gedeih und Verderb eines Landes entscheiden können. Wer weiß denn schon, wer hinter diesen Institutionen steht? Jedenfalls aber muss es sich um sehr reiche Leute handeln, die von niemandem in eine solche Machtposition gewählt wurden. Diese Rating-Agenturen stuften griechische Staatsanleihen hinunter. Das bedeutet, dass die Agenturen der Meinung sind, das Risiko, dass Griechenland seinen Zahlungsverpflichtungen nicht mehr nachkommen kann, sei gestiegen. Das hatte für Griechenland zur Folge, dass der Staat höhere Zinsen auf Staatsanleihen zahlen muss, was wiederum das Risiko der Zahlungsunfähigkeit erhöhte.
Die Rating-Agenturen sind aber nur Repräsentantinnen der höchsten Macht auf Erden: der Märkte. Deren Wohlergehen scheint das einzige Ziel sämtlicher ExpertInnen in Wirtschaft und Politik zu sein. Sie sind besorgt, wenn es heißt, die Märkte seien nervös. Was aber können wir uns konkret darunter vorstellen? Was bedeutet es, wenn die Märkte besorgt sind, dass Griechenland seine Staatsschuld nicht zurückzahlen wird können? In erster Linie heißt das, dass reiche InvestorInnen, v.a. Banken, fürchten, dass sie einen Teil ihres Geldes nicht wieder sehen werden.
Um also den Märkten wieder Vertrauen einzuflößen, wurde am 2. Mai ein 110 Milliarden Euro schweres Rettungspaket der EU und des IWF geschnürt. Aber bereits kurz darauf stürzten die Aktienmärkte in Europa und den USA wieder ab und griechische Staatsanleihen wurden als „Schrottpapiere“ eingestuft. Schließlich beschlossen die FinanzministerInnen der EU am 10. Mai einen neuen Rettungsplan für die Eurozone, den „Stabilisierungsfonds“ im Umfang von 500 Milliarden Euro. Dieser wurde vom IWF noch um 250 Milliarden aufgestockt.
Dabei gibt es zwei Probleme: Erstens weiß niemand, ob das Geld ausreicht und Griechenland nicht früher oder später doch Bankrott geht. Zweitens stellt sich die Frage, wer am Ende des Tages die Rechnung begleichen wird, denn es ist sehr unwahrscheinlich, dass das gesamte Geld zurückgezahlt werden kann. Die Bürgerlichen wurden wieder einmal von der Situation überrascht und standen vor der Wahl zwischen Pest und Cholera. Einstweilen ist es für Länder wie Deutschland und Frankreich billiger, Griechenland finanziell zu unterstützen, da ihre Banken einen großen Teil der griechischen Staatsschuld besitzen. Daher würde ein Ausstieg aus der Euro-Zone auch (einstweilen) teurer kommen. Die Frage, die sich aber stellt, ist, ob auch Spanien, Portugal und Italien auf dieselbe Art und Weise gerettet werden könnten. Dennoch versuchen die Herrschenden der europäischen Länder derzeit mit aller ihnen zur Verfügung stehenden Macht, die Währungsunion zusammenzuhalten.
In Wirklichkeit war aber all das Gerede von der „europäischen Einheit“, vom Frieden und der Solidarität zwischen den Nationen immer nur Augenauswischerei. Im Kapitalismus kann es keine Versöhnung zwischen den Nationen geben – nur zeitweilige Bündnisse. Als der Boom noch in vollem Gange war, bot der Euro für die KapitalistInnen der verschiedenen Länder die Möglichkeit, durch die Erleichterung des europäischen Handels gemeinsam ihre Beute zu vergrößern. Eine tatsächliche Vereinheitlichung der verschiedenen Wirtschaften aber erfolgte nie. Abgesehen vielleicht von Airbus/EADS gelang es auch nicht, übernationale Konzerne zu schaffen. In Zeiten der Krise muss all das zum Vorschein kommen. Jedes nationale Kapital erwartet Schutz vom eigenen Nationalstaat und die Mitgliedsländer der europäischen Union arbeiten gegeneinander, wenn es dem eigenen Vorteil dient.
Insgesamt lässt sich heute sagen, dass vorwiegend die deutsche Industrie von der Einführung des Euro profitierte. Die Einheitswährung bedeutete für schwächere Wirtschaften wie Griechenland, Italien, Spanien und Portugal, dass sie ihre eigenen Exporte nicht mehr durch eine Abwertung ihrer Währung befördern konnten. Dies war ein ungeheurer Vorteil für die deutsche Exportindustrie. Der Produktivitätsvorteil der deutschen Industrie gegenüber der südeuropäischen hat sich seit Bestehen der Währungsunion noch vergrößert. Die deutschen Exporte wurden durch Kredite deutscher Banken finanziert. Ähnliches trifft übrigens auf den österreichischen Exportüberschuss und die dominante Stellung heimischer Banken in Osteuropa zu. Dabei muss darauf hingewiesen werden, dass sich jederzeit „griechische“ Probleme auch in Osteuropa auftun könnten.
Zerbricht der Euro?
Durch die EU wurden die wirtschaftlichen Verflechtungen verstärkt. Die Banken innerhalb Europas sind durch ein enges Netz der gegenseitigen Zahlungsverpflichtungen miteinander verknüpft. Vor allem deutsche und französische Banken hatten sich massiv in Griechenland eingekauft. Ein Reißen der Kette an einer Stelle hat daher unmittelbare Konsequenzen für die anderen Glieder. In Wirklichkeit wurde daher nicht Griechenland gerettet, sondern wieder einmal die Großbanken der EU.
So besitzen etwa französische Privatbanken griechische Staatsanleihen im Umfang von 33 Milliarden Euro, deutsche sind mit 20 Milliarden beteiligt und englische mit acht. Wie ernst die KapitalistInnen ihre eigenen Phrasen von „europäischer Einheit“ nehmen, zeigte sich zum Beispiel an der Tatsache, dass Deutschland Kredite auf den internationalen Kapitalmärkten aufnahm, um das Geld mit höheren Zinsen an Griechenland weiterzuverborgen.
Die deutschen und französischen Großbanken würden verheerenden Schaden davontragen, wenn Griechenland oder irgendein anderes südeuropäisches Land seine Zinsen nicht mehr bedienen könnte. Dennoch gibt es bereits Vorschläge, Länder wie Griechenland, Italien, Portugal und Spanien aus der Währungsunion zu schmeißen, falls sie ihre Schulden nicht zahlen. Denn ein Austritt dieser Länder ist wohl nicht zu erwarten, da ein etwaiger südeuropäischer Euro unter keinem guten Stern geboren würde. Es wäre allen klar, dass eine solche Währung nur eingeführt würde, um sie abzuwerten. Aus den gleichen Gründen ist für die betroffenen Länder eine Rückkehr zu ihren ehemaligen nationalen Währungen nicht möglich. Momentan sind Austritte und Ausschlüsse aus der EU nur Gedankenexperimente. Es kann aber ein Zeitpunkt kommen, wo alles andere noch größere Kosten verursachen würde.
Den Beginn nationaler Auseinandersetzungen innerhalb der EU konnten wir schon anhand des „Rettungspaketes“ beobachten. Deutschland hatte die Einigung hinausgezögert, um sich mehr Zeit zum Manövrieren zu verschaffen und den IWF mit ins Boot zu zwingen. Britannien wollte sich gar nicht beteiligen und schließlich drohte Sarkozy sogar mit dem Austritt Frankreichs aus dem Euro. Mit der Verschärfung der Krise müssen nationale Konflikte und Handelskriege zunehmen. Die Bourgeoisie jedes einzelnen Landes schaut zuallererst auf ihre eigenen nationalen Interessen. So kann es durchaus sein, dass sich das deutsche oder das französische Kapital einmal gezwungen sehen, aus der Währungsunion auszutreten, was das Ende der EU bedeuten würde. Momentan aber sind die Kosten eines Austritts noch höher als die der finanziellen Unterstützung der schwächeren Länder. Auch wäre dadurch nur ein Problem gelöst, aber viele neue würden geschaffen. Die Schulden der ausgeschlossen Länder könnten erst Recht nicht mehr eingetrieben werden. Die Krise hat die Widersprüche zwischen den Nationalstaaten verstärkt und damit gezeigt, dass eine Vereinigung Europas auf kapitalistischer Grundlage nicht möglich ist.
Unsere Schuld?
Trotz aller Interessengegensätze sind sich die Herrschenden überall einig, dass die Staatsschulden reduziert werden müssen. Dabei wird tunlichst über Bankenrettungspakete geschwiegen. Und niemand stellt die Frage, wo die Unsummen an Geld hin geflossen sind. Wurden damit Boni bezahlt? Das weiß niemand, denn schließlich gibt es ein Geschäftsgeheimnis. Was wir aber bereits jetzt aus herrschenden Kreisen hören, ist, dass wir angeblich über unsere Verhältnisse gelebt hätten. Kommt uns das bekannt vor? Ja, genau, das behauptete die Schmierenpresse ja auch von den GriechInnen und versuchte so, die Angriffe auf deren Lebensstandard zu rechtfertigen. Die Bürgerlichen versuchen an Griechenland ein Exempel zu statuieren. Geht das horrende Sparprogramm dort durch, d.h. gelingt es den Widerstand der Lohnabhängigen zu überwinden, wird uns in ganz Europa ein ebenso heftiges Sparprogramm bevorstehen.
Das haben wir uns nicht verdient! Die einzigen, die in jüngster Zeit über ihre Verhältnisse gelebt haben, sind BankerInnen, ManagerInnen und KapitalistInnen. Für die Mehrheit hat sich die Situation sogar verschlechtert: Seit Jahren erleben wir Sozialabbau; und der Anteil der Löhne am Volkseinkommen ist seit den 1980ern rückläufig.
Das Problem der Staatsschuld ist dennoch ein reales Problem für die kapitalistische Wirtschaft. Wir können die Sparlogik der Bürgerlichen nur durchbrechen, wenn wir die Staatsschulden grundlegend in Frage stellen und damit die Idee der „nationalen Einheit“. Wer hat die Schulden gemacht? Bei wem wurden sie gemacht? Und vor allem: Was hat die breite Masse damit zu tun? All diese Fragen werden durch die Vorstellung der „nationalen Interessen“ und des Standortes überdeckt. Die einzigen wirklichen Grenzen, die es gibt, verlaufen zwischen oben und unten. Die Staatsschuld ist für die Reichen ein guter Anlass, wieder einmal von unten nach oben umzuverteilen. Das lässt sich leicht anhand der Länder der sog. 3. Welt zeigen. Dort haben die Sparprogramme des IWF eine soziale Katastrophe angerichtet. Die Reichen aber leben trotzdem noch gut. Wir müssen daher ohne Wenn und Aber mit der kapitalistischen Logik brechen.
Bald werden sich viele Länder in einer Situation wie Griechenland befinden. Wenn wir die Staatsschulden nicht als nichtig ansehen, werden wir uns dem Sparzwang nicht entziehen können. Denn die Krise des Kapitalismus hat zur Folge, dass sich das Kapital die in der Vergangenheit von der ArbeiterInnenbewegung erkämpften sozialen Errungenschaften nicht mehr leisten können will, ginge das doch zu Lasten der Profite. Die Devise der Bürgerlichen heißt: Kürzen, kürzen und nochmals kürzen. Die kapitalistische Sackgasse zwingt sie dazu. In einer solchen Zeit können wir unseren Lebensstandard nur durch harte Kämpfe verteidigen. Die Bürgerlichen sind nicht zu Zugeständnissen bereit.
Das bedeutet, dass wir in einer Zeit leben, in der jede Strategie, die das System nicht grundsätzlich in Frage stellt, nur Konterreformen anzubieten hat. Daher ist es notwendig, den Marxismus, der nichts anderes ist als die wissenschaftliche Aufarbeitung der geschichtlichen Erfahrungen aus den verschiedenen Kämpfen der Lohnabhängigen, wieder in der ArbeiterInnenbewegung zu verankern. Er bietet eine Analyse dessen, was immer mehr Menschen instinktiv klar wird, und was der Filmemacher Michael Moore in seinem jüngsten Film etwas moralisierend folgendermaßen formulierte: „Kapitalismus ist das Böse und das Böse kann man nicht regulieren. Man muss es ausmerzen!“
Vera Kis
SJ Alsergrund
Armut in Österreich
… ist da: Wer weniger als 951 Euro im Monat zur Verfügung hat, gilt in Österreich als arm. Das betrifft über eine Million Menschen; davon müssen ca. 300.000 gar mit weniger als 600 Euro haushalten. Verstärkt betroffen sind alleinerziehende Eltern und ihre Kinder, MigrantInnen, Erwerbslose aber auch die sog. working poor, das sind rund 250.000 Menschen.
… ist Ausgrenzung: Arm zu sein bedeutet auch soziale Ausgrenzung: Fast 10% können es sich nicht leisten, einmal im Monat wen zum Essen einzuladen. Freizeitaktivitäten wie Kino, Fortgehen oder Konzerte sind für arme Menschen zu teuer – oftmals schämen sie sich auch für ihre Lage, halten sie für eigenes Versagen und wollen sie nicht offenlegen. Ausgrenzung bedeutet auch, abgeschlissene Kleidung weiter tragen zu müssen und im Extremfall den Verlust der Wohnung.
… ist weiblich: 13% der Frauen in Österreich sind armutsgefährdet. Niedriges Einkommen rührt von struktureller Benachteiligung! (Frauenarbeit gilt als weniger wert, weil Frauen traditionell „Zuverdienerinnen“ waren, gewöhnt mit weniger auszukommen, und auch die Gewerkschaft primär Männer organisierte.) Auch die Teilzeitfalle wirkt sich fatal aufs Einkommen aus. Meist sind es auch die Frauen, die sich gänzlich oder teilweise der unbezahlten Reproduktionsarbeit widmen: waschen, kochen, putzen, Kinder beaufsichtigen, …
… ist gefährlich: 2% der ÖsterreicherInnen sind nicht krankenversichtert. Darunter fallen Menschen, die sich die Beiträge nicht leisten können, Jugendliche, die noch nicht genug Versicherungsjahre haben, Menschen, die sich schämen, Leistungen zu beziehen, StudentInnen, denen nach Ablauf der Familienbeihilfe die Versicherung gestrichen wird … Arme Menschen werden aber noch öfter krank als andere – dazu tragen Bedingungen wie kleine, schimmlige Wohnungen, ungesundes, aber billiges Essen und psychischer Stress bei. Oft geht Armut mit Depression oder gesundheitsgefährdendem Verhalten einher.
… ist gemacht: Nein, Armut ist nicht selbst verschuldet und fällt auch nicht vom Himmel, sondern kommt von der Aushöhlung des Sozialstaats und den großen Maschen im Sozialnetz, durch die immer mehr Menschen fallen. Jobverlust führt fast automatisch zu Armut: Mehr als die Hälfte derer, die ihren Job verlieren, fällt unter die Armutsgrenze, da sie nur 55% ihres Letztgehalts beziehen. Viele arme Menschen bezahlen Spekulationsgeschäfte von Banken durch Kreditabstottern oder Mahngebühren.
… ist verhinderbar: Trotz Krise verfügt Österreichs Oberschicht noch immer über gewaltige Vermögenswerte, die in keiner Relation zu den Besitztümern der meisten Menschen stehen. Durch Vermögenssteuern können Sozialleistungen weiter finanziert werden! Arbeitslosigkeit bekämpfen durch die Aufteilung der Arbeit auf alle Hände und Köpfe bei vollem Lohnausgleich!