Wir stehen vor einer Neuauflage der Wirtschaftskrise, die alles in den Schatten stellen wird. Ihr höchster Ausdruck ist das enorme Niveau der Verschuldung. Den Ernst der Lage hat die herrschende Klasse mittlerweile erkannt. Doch was ist die Ursache für diese „systemische Krise“ (EZB-Chef Trichet)? Von Emanuel Tomaselli.

Einige glauben, dass es schlichtweg an der menschlichen Gier und am allgemeinen Mangel an humanen Werten läge, dass Banken krachen und Massenentlassungen durchgezogen werden. Die reformistische Linke sieht die Ursache der Krise im Mangel an staatlicher Regulierung, die bürgerliche Rechte im Zuviel an Regulierung der Märkte. Einig war man sich ursprünglich darin, dass die „Spekulanten“ die Schuldigen sind. Bereits Karl Marx erklärte jedoch, dass die Geldkrise nur ein Symptom einer verallgemeinerten Krise ist.

Die Kritik der politischen Ökonomie liefert die Erklärung, dass die Ursachen der Krise systemisch sind. Mit anderen Worten: Es kann keinen Kapitalismus ohne Krise geben. Krisen stellen sogar einen festen Bestandteil der Entwicklung des Wirtschaftssystems dar. Die Kombination von einer entfesselten Produktion, die für den globalen Markt arbeitet, und der armseligen Planungsfähigkeit individueller privater Profitinteressen ist der grundlegende Widerspruch, der Krisen folgen lässt wie das Amen im Gebet. Das wesentliche Krisenmotiv ist, dass es ein Zuviel an Waren, Produktivkräften, Wohnungen, Banken, Kultur und Zivilisation gibt, als dass dieser gesellschaftliche Reichtum Profite abwerfen könnte, weil es schlicht und einfach an Märkten, sprich zahlungskräftiger Nachfrage, fehlt. Wenn nun dieser Überschuss an Kapazitäten gegen die Enge des Marktes rebelliert, gibt es drei grundlegende Möglichkeiten aus der Situation heraus zu kommen: „Die bürgerlichen Verhältnisse sind zu eng geworden, um den von ihnen erzeugten Reichtum zu fassen. – Wodurch überwindet die Bourgeoisie die Krisen? Einerseits durch die erzwungene Vernichtung einer Masse von Produktivkräften; anderseits durch die Eroberung neuer Märkte und die gründlichere Ausbeutung alter Märkte.“ (Marx/Engels, Kommunistisches Manifest)

Halten wir fest: Die Rebellion der Produktivkräfte führt unter den Bedingungen der kapitalistischen Produktion schlicht weg zur Zerstörung des Vorhandenen, um Neues profitabel aufbauen zu können.

Geprägt vom langen Aufschwung

Dieser Mechanismus hat im 20. Jahrhundert zu drei Systemkrisen geführt, von denen die ersten beiden in Weltkriegen mündeten. Der 2. Weltkrieg und die vorangegangene Wirtschaftskrise waren das direkte Resultat davon, dass der 1. Weltkrieg keine genügende Zerstörung und Umverteilung der Märkte hervorbringen konnte. Im 2. Weltkrieg wurden die Bedingungen geschaffen um einen langen Nachkriegsaufschwung sicher zu stellen: Die Zerstörungen waren groß, die Welt wurde in zwei stabile Lager aufgeteilt, wobei sich mit den USA eine klare Führungsmacht in der westlichen Welt herausgebildet hatte. Die im Krieg ausgebauten amerikanischen Überschusskapazitäten wurden in Westeuropa zum Einsatz gebracht, hier fanden sie beste Verwertungsbedingungen vor. Die politische Voraussetzung des nun folgenden langen Nachkriegsaufschwungs war der Verzicht der Arbeiterklasse auf die soziale Umwälzung der Gesellschaft nach der Erfahrung des Faschismus.

Dieser Boom endete in den Krisen von 1974 und 1981. Das Kapital reagierte mit der Durchsetzung einer neoliberalen Politik. Die Finanzmärkte werden von da an zu einem bestimmenden Element der Produktionsweise. Unterstützt wurde dies durch den Fall der Sowjetunion und die Öffnung von China und Indien. Hier wurde nicht nur ein wichtiger ideologischer Sieg errungen („Es gibt keine Alternative zum Kapitalismus“), sondern es konnten auch über 2 Mrd. Menschen in den kapitalistischen Weltmarkt integriert werden. Doch auch dieses Neuland wurde rasch konsumiert. Die Krisen in Asien und Lateinamerika 1998-2000 waren die erste Warnung, doch noch einmal gelang es mittels einer massiven Ausweitung der Verschuldung (v.a. der privaten Haushalte für die Ankurbelung des Konsums) den Ausbruch der globalen Krise zu verhindern. Doch es war nur eine Frage der Zeit, bis die grundlegende Tendenz der Entwicklung zum Durchbruch kam. Dies war mit dem Platzen der Immobilienblase und der Lehman-Pleite im Jahr 2008 der Fall.

Die Lage wurde durch massive öffentliche Interventionen im Kapitalsektor stabilisiert. Laut dem EU-Rat wurden ab 2008 in Europa 1240 Mrd. (!) Euro an Steuergeldern in die Hand genommen, um europäische Banken vor dem Kollaps zu retten. Erreicht wurde damit, dass die Banken- und Industriekrise – wie wir heute mit Sicherheit wissen – in eine Staatsschuldenkrise umgewandelt wurde. Ein Aufschwung konnte jedoch nicht herbeifinanziert werden, diese seit Jahren exzessiv eingesetzte Schulden-Medizin zeigte keine dauerhafte Wirkung mehr.

Vor dem Hintergrund einer sich global abkühlenden Wirtschaft wird dies katastrophale wirtschaftliche und soziale Auswirkungen haben. Die im letzten Aufschwung aufgebauten Fettreserven wurden alle in der letzten Krise aufgebraucht. In schwächeren europäischen Staaten wie Griechenland, Irland und Portugal wurde bereits mit der Krise 2008 die Schmerzgrenze erreicht. Generalstreiks, die Bewegung der „Empörten“ und der Aufstand der griechischen Arbeiterklasse und Jugend im Oktober 2011 sind die politische Konsequenz. Reichere europäische Nationen wie Deutschland und Österreich werden früher oder später in der Doppelmühle von Eurokrise und neuerlicher Rezession ähnliche Prozesse durchleben.

Diktatur des Kapitals

Einstweilen wiegt uns die Politik in Sicherheit. Fekter erklärt uns für die kommende Krise gut gerüstet. Doch in der Arbeiterklasse hat sich die Stimmung verfestigt, dass wir nie aus der Krise rausgekommen sind. Jean Claude Juncker (Chef der Euro-Gruppe) hat in einem ZIB2-Interview offen deklariert, dass er als Politiker in diesen Tagen nicht immer die Wahrheit sagen kann, um das System zu schützen. Welches System meint er? Die Diktatur der Banken und Konzerne. Diese Diktatur hat heute Gesetzescharakter. Im Bundesgesetzblatt Teil II, Nr. 254/2007 wird die österreichische Bankenaufsichtsbehörde darauf verpflichtet die Urteile der Ratingagenturen in ihre Analyse zu übernehmen. Damit haben die Urteile von Privatkonzernen automatisch Gesetzescharakter erlangt, und unsere Politiker zittern sklavisch vor jeder Bewertung der Kapitalgruppen.

Drei Szenarien

Die Rettung des Euros ist zum Lieblingssport der Notenbanker geworden. Am Morgen plädiert Merkel für dies, am Abend Schäuble für jenes, und gemeinsam mit Sarkozy wollen sie mit einem Paukenschlag den Euro retten – wieder einmal.
Grundsätzlich gibt es zwei Szenarien, die diskutiert werden:

1. die „Hebelung des EFSF“: Der europäische Rettungsschirm (EFSF) hätte ursprünglich 440 Mrd. Euro betragen (bezahlt von den Mitgliedsstaaten). Dieses Geld reicht jedoch nicht zur Rettung der europäischen Banken – allein die eben erst notverstaatlichte belgisch-französische Dexia Bank sitzt auf 90 Mrd. € faulen Papieren – daher wollen ihn einige (darunter auch illustre Ex-Politiker wie Gusenbauer) auf ca. 1000-2000 Mrd. € „hebeln“. „Hebelung“ heißt nichts anderes, als dass ein noch höheres Spekulationskartenhaus mit Staatsanleihen aufgebaut wird – das Risiko tragen dafür die EURO-SteuerzahlerInnen, den Gewinn sollen sich Banken einverleiben dürfen (die die maroden Staaten nun ohne Risiko finanzieren).

2. Die Eurozone zerbricht. Entweder werden einzelne Staaten rausgeworfen oder aber, was wahrscheinlicher ist, Deutschland schnappt sich ein paar andere noch relativ starke Volkswirtschaften und gründet einen Nord-Euro. EU-Kommissarin Redding plädiert etwa für gemeinsame Staatsanleihen der sechs verbliebenen Tripple A-Staaten der Eurozone, um einen stabilen Kern zu schaffen. Damit wären alle Krisenländer inklusive Italien schon mal draußen. Bereits jetzt werden „technische Gespräche“ zwischen den Finanzministerien und Notenbanken einer noch exklusiveren Staatengruppe (unter Ausschluss Frankreichs) geführt.

Das dritte Szenario wäre ein unkontrollierter Crash, weil es zu keinem Ausgleich der unterschiedlichen Interessen zwischen den nationalen Bourgeoisien, die wiederum in unterschiedliche Kapitalgruppen gespalten sind, kommt. Mit jeder Woche ohne wirkliche Weichenstellung wird dieses Szenario wahrscheinlicher.

Gretchenfrage

Auf welche Seite soll sich angesichts dieser Entscheidung die Arbeiterklasse stellen? Auf gar keine! Diese Auseinandersetzungen sind nur für die Kapitalgruppen relevant. Sie streiten sich darum, wie sie sich im kommenden Europa die besten Rahmenbedingungen für ihre zukünftigen Profitmöglichkeiten schaffen. Einig sind sie sich jedoch, dass sie den Anteil der Arbeiterklasse am allgemein schrumpfenden Reichtum der Gesellschaft noch zusätzlich verringern müssen. Wir dürfen nicht vergessen, dass die nichtbezahlte Arbeit die Grundlage eines jeden Profits ist.

Wenn wir es nicht schaffen den Kapitalismus rechtzeitig zu überwinden, ist eine massive Vernichtung von gesellschaftlichem Reichtum bereits beschlossene Sache. Für die Arbeiterklasse bedeutet dies Arbeitsplatzvernichtung, höhere Steuern zur Bankenfinanzierung, niedrigere Löhne, Angriff auf alle solidarisch finanzierten Sicherheitssysteme (Gesundheit, Pensionen,…). Die Jugend schaut einer Zukunft ohne Perspektive entgegen.

Sarkozy, Merkel und Fekter wissen dies. Doch sie haben Angst die Arbeiterklasse mit dieser Politik zu provozieren. Allein die Entwicklung des Kapitalismus wird sie zwingen die Frage in absehbarer Zeit auch bei uns so klar zu stellen wie heute in Athen, Dublin, Lissabon und Madrid: „Menschen oder Profite?“

Die Arbeiterklasse muss sich daher in dieser Diskussion um die Rettung des Euros enthalten und dem ein eigenes Programm entgegenhalten.
* Streichung aller Staatsschulden
* Verstaatlichung aller Banken und großen Konzernen unter Kontrolle der Beschäftigten und KonsumentInnen.
* Die Zusammenfassung des bisher parasitären Bankensektors zu einer Zentralbank, die ihre Kreditpolitik allein an der harmonischen Entwicklung der Wirtschaft orientiert.
* Für ein vereintes Europa der Menschen.

Utopie

Utopisch sind die Vorstellungen, dass es bald einen sozialen Wiederaufschwung geben könnte oder gar ein solidarisch-grünes Wirtschaftsmodell. Der Profit wird sich wieder stabilisieren, aber nur zu Lasten der Arbeiterklasse, nicht im Einklang mit ihr. Unter dem Hammerschlag der Ereignisse werden auch scheinbar stabile politische Systeme wie Österreich erschüttert werden. Das gegenwärtige politische System aus Großer Koalition samt lächelndem Inseratenkanzler, politischen Scheingefechten und Sozialpartnerschaft wird heftigen Verteilungskämpfen weichen. Diese Zeit werden wir nutzen um dem Marxismus wieder zur Mehrheitsströmung in der ArbeiterInnenbewegung zu machen.


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