Die Ratingagentur S&P hat Österreich neben einigen anderen EU-Staaten herabgestuft. Nach dem Verlust des Triple-A ist die Wut auf die Ratingagenturen größer denn je. Folgender Artikel beleuchtet die Rolle der Ratingagenturen jenseits der herkömmlichen Mythen.

Ratingagenturen und die Staatsschuldenkrise

Weltweit haben die Regierungen einen neuen Schuldigen für die Krise ausfindig gemacht zu: Die Ratingagenturen. Unsere Wirtschaftsredaktion geht der Frage nach, was davon zu halten ist.

Der Vorwurf an die Ratingagenturen ist klar. Indem sie die ohnedies schon in Bedrängnis geratenen Krisenländer herabstufen, erhöhen sich für diese Staaten die Risikoaufschläge und daher die Kosten neue Kredite aufzunehmen, wodurch sich deren Lage in Folge noch weiter verschlimmert. Als nahezu allmächtig werden diese Agenturen dämonisiert. Und alle sind sich einig, dass Maßnahmen ergriffen werden müssen um diese Macht zu brechen. Während Angela Merkel den Aufbau europäischer Ratingagenturen vorschlägt, fordert die EU-Justizkommissarin Viviane Reding gleich eine Zerschlagung der Ratingagenturen: „Europa darf sich den Euro nicht von drei US-Privatunternehmen kaputt machen lassen“.

Die Kritik lässt sich auf 3 Punke zusammenfassen:
1. Raitingagenturen bewerten die Bonität europäischer Länder schlechter als sie tatsächlich ist.
2. Sie verfolgen US-amerikanische Interessen.
3. Die 3 größten Agenturen (Standard & Poor, Moodys und Fitch) beanspruchen 95% des Marktes für sich, haben somit eine Monopolstellung und können willkürlich agieren.

Rolle der Ratingagenturen

Ratingagenturen beurteilen die Kreditwürdigkeit (Bonität) von Unternehmen, Finanzprodukten und eben auch Nationalstaaten. Dies ist von großer Bedeutung für das Kreditgeschäft der Banken. Wird z.B. ein Unternehmen schlecht benotet, so ist das Kreditinstitut gesetzlich dazu verpflichtet den an dieses Unternehmen vergebenen Kredit, mit mehr Eigenkapital zu unterlegen, wodurch die Rendite für die Bank geringer wird. Dadurch und durch die höheren Risikokosten (ein Kreditnehmer, dessen Wahrscheinlichkeit auszufallen höher ist, muss mehr Zinsen zahlen, damit die Bank einen Anreiz hat an den schlechteren Schuldner einen Kredit zu vergeben) erhöhen sich die Kreditkosten für das Unternehmen.
Bei Nationalstaaten sieht die ganze Sache allerdings anders aus. Laut Bankwesengesetzbuch muss ein Kreditinstitut eine gekaufte Staatsanleihe eines EU-Staates (sofern er die Anleihe in lokaler Währung emittiert) mit 0% Eigenkapital unterlegen. Die einzige „Macht“ der Ratingagentur besteht also darin eine, für ein Kreditinstitut komplett unverbindliche, Meinung abzugeben. Die Zinsen, die ein Staat für seine begebenen Anleihen zahlen muss, ergeben sich damit alleine aus dem Verhältnis aus Angebot und Nachfrage. Falls das Herabstufen der Krisenstaaten ein Fehlurteil ist und die Zinsen auf Staatsanleihen zu hoch sind, würde der bürgerlichen Wirtschaftstheorie folgend, die Möglichkeit für findige Investoren bestehen in den Markt einzutreten, Staatsanleihen zu kaufen und damit Extraprofite einzustreifen. Denn in der Branche für Ratingagenturen kann man von einer Monopolstellung der großen 3 sprechen, in der internationalen Finanzbranche aber sicherlich nicht. Diese Zeitung vertritt schon immer die Meinung, dass es einen besseren Weg zur Organisierung der Wirtschaft gibt als sich auf Marktkräfte zu verlassen. Diese Kritik aber auch von Europas SpitzenpolitikerInnen zu hören, die im selben Atemzug Privatisierungen fordern, scheint doch ein wenig paradox.

Krisenstaaten wie Griechenland müssen aber deshalb so hohe Zinsen für ihre Staatsanleihen zahlen, weil es einfach unwahrscheinlich ist, dass Griechenland auf kapitalistischer Basis alle seine Schulden zurückzahlen kann.
Noch ein Stück widersprüchlicher wird die Argumentation, wenn man sich in Erinnerung ruft, dass die Ratingagenturen am Beginn der Wirtschaftskrise dafür kritisiert wurden, ein zu gutes Rating für Lehman Brothers und auf Hypothekarkredite basierende Finanzinstrumente vergeben zu haben. Das zu gute Rating, so die Kritik, habe Anleger dazu verleitet diese Finanzprodukte zu kaufen. Als dann die Immobilienblase in den USA platzte und riesige Verluste für Investoren entstanden, wurde kritisiert, dass viel früher eine schlechtere Bewertung vergeben hätte werden sollen. Ähnliche Sätze wären vermutlich auch zu hören, wenn ein Staat zahlungsunfähig würde, der bis zuletzt ein AAA-Rating hatte.

Die Spur des Geldes

Besonders stark wird die fehlende Unabhängigkeit der Ratingagenturen bemängelt. In diesem Fall haben die KritikerInnen sogar Recht, aber anders als sie es gerne hätten. Zu Beginn sollte man sich die Frage stellen, wie es in einem Wirtschaftssystem möglich sein soll, dass Unternehmen, obwohl sie sich im Besitz von privaten Personen befinden, gleichzeitig neutral und scheinbar unabhängig über der Gesellschaft stehen.

Genauso wie jedes andere Unternehmen haben auch Ratingagenturen private Investoren. Dass diese neben ihren Anteilen an den Agenturen noch weitere Finanzmarktprodukte halten, scheint naheliegend. Genauso naheliegend dürfte auch sein, dass die Besitzer der Ratingagenturen es nur ungern sehen würden, wenn eines seiner privat gehaltenen Produkte abgestuft und somit an Wert verlieren würde. Die wahrscheinlich bekannteste Person, bei dem ein solcher Interessenskonflikt vorliegt, ist Warren Buffet. Der berühmte Milliardär und Besitzer des Investmentunternehmens Berkshire Hathaway hält 12% der Anteile an Moodys.

Allerdings ist auch das kein dem Kapitalismus unübliches Phänomen. Genauso wie Ratingagenturen sind Massenmedien in Besitz von Privaten (Banken etc), die ihren Einfluss bei Themen wie Banken- oder Vermögensteuern usw. geltend machen werden.

Unabhängig können Ratingagenturen auch deshalb nicht sein, da sie ihr Geld nicht von einem Investor bekommen, der ein Finanzprodukt bewertet haben möchte, sondern vom Herausgeber genau dieses Produktes. Das ist in etwa so als würden Lehrer ihr Gehalt direkt von ihren SchülerInnen beziehen. Die Zahl der Nicht Genügend würde sich wohl dramatisch reduzieren.

Last but not least, wird kritisiert, dass die US-amerikanischen Agenturen bei ihren Beurteilungen nationale Interessen vertreten. Dieser Vorwurf ist einfach faktisch nicht richtig. So hat Fitch Ratings zwar seinen Firmensitz in New York, ist aber Teil des französischen Fimalac-Konzerns, dessen Besitzer Marc Ladreit de Lacharriere ebenfalls Franzose ist.

Bei der ganzen Diskussion über die Schuldigen der Krise sollte eines nicht vergessen werden. Der letzte Wirtschaftsaufschwung wurde hauptsächlich durch Kredite und steigende Staatsverschuldung finanziert. Ein neuerlicher Absturz in eine Krise war somit unvermeidlich. Das nun auch ganze Staaten vom Bankrott bedroht sind, ist nur ein weiteres Anzeichen für das Ausmaß an Instabilität, das der Kapitalismus mittlerweile erreicht hat.

Dieser Artikel erschien in der September-Ausgabe (Nr. 105) unserer Zeitschrift "Der Funke".


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