Der ÖGB sammelte mit seiner Kampagne 880.000 Unterschriften für eine Steuerreform. Doch diese Erfolge laufen Gefahr, nur Pyrrhus-Siege zu bleiben, solange sich der ÖGB der Standortlogik beugt. Von Martin Wieland.
Ein Pyrrhus-Sieg ist ein Sieg, der den Sieger geschwächt aus der Schlacht hervorgehen lässt. Trifft dies auf den ÖGB zu? Dazu ist es notwendig, sich die generelle innenpolitische Situation zu vergegenwärtigen.
Diese Situation ist von einer SPÖ geprägt, die mit aller Kraftanstrengung die Gewerkschaftsbewegung davon abhalten will, eigene Schritte im Kampf gegen die Auswirkungen der Wirtschaftskrise zu gehen. Darum strebt die SPÖ die maximale Einbindung der Gewerkschaftsbewegung an. Deutliches Zeichen dafür sind die vier aus dem FSG stammenden Regierungsmitglieder und eben das Vorhaben, das ÖGB-Steuermodell ins Parteiprogramm zu übernehmen. Damit ist nun aber das ÖGB-Modell in die Koalitionsfalle geraten. Abgesehen davon, dass auch das ÖGB-Modell noch einer Debatte bedarf (z.B. auch hier höhere Entlastungen für Besserverdiener), hat der ÖGB die Hoheit über die generelle Debatte verloren. Von Beginn an auf 5 Milliarden herunterrevidiert, wird sein Konzept in den Tretmühlen der koalitionären Arbeitsgruppen zermalmt werden. Überflüssig, darauf hinzuweisen, dass die Vermögensbesteuerung, abgesehen von etwas Kosmetik, nicht kommen wird.
Daraus folgt, dass der ÖGB bei der heurigen Metallerlohnrunde noch mehr mit dem Rücken zur Wand steht. Abgesehen davon, dass die Unternehmer angesichts der Rezessionsaussichten einmal mehr alle Register der „Wir sitzen alle in einem Boot- Ideologie“ ziehen, hat nun der ÖGB seine eigenes Argument gegen sich: Es bringt nichts, für höhere Löhne zu kämpfen, wenn der Fiskus wieder alles aus dem Börserl zieht. Doch laut Regierung wird sich besagter Fiskus nicht vor 2016 ändern. Da scheint der Mut zu sinken. Wie sonst lassen sich die Ideen der Gewerkschaft interpretieren, die in die Richtung gehen: wenn schon nicht mehr Geld, dann wenigstens mehr Urlaub? Diese andere Form der Kurzarbeit könnte sogar die Unterstützung der Unternehmer erlangen. Sie werden „lediglich“ im Sinne ihres Flexibilisierungsmantras in den Verhandlungen alles daran setzen, dass aus dem „weniger Arbeit“ bei Bedarf auch „mehr Arbeit“ bei gleichem Geld werden kann.
Somit geht nun aber der ÖGB geschwächt aus seiner Lohnsteuerkampagne hervor. Er hat einerseits die Illusion geschürt, dass die Regierung die Problematik der sinkenden Reallöhne von sich aus lösen kann und will. Andererseits hat er in den letzten Monaten all seine Kraft in die Lohnsteuerkampagne gesteckt, anstatt sich mit voller Energie an die Vorbereitung von Arbeitskämpfen im Herbst zu machen. Arbeitskämpfe für wesentlich höhere Löhne werden aber nötig sein, wenn der ÖGB noch in diesem Jahr den Trend der sinkenden Reallöhne aufhalten will. So bleibt der ÖGB mit und durch seine eigene Kampagne in der Defensive. Alle Bemühungen müssen daher in die Richtung von Arbeitskämpfen zur Herbstlohnrunde gehen, die unter größtmöglicher Leitung und Kontrolle der betroffenen Belegschaften stehen. Nur so gerät auch die Regierung unter Druck. Hier müssen die Metaller an die Erfahrungen der letzten Jahre und die ersten Erfolge ihrer „Kampagne-Fähigkeit“-Bemühungen anknüpfen.
Es gilt also, sich an den positiven Errungenschaften der Lohnsteuerkampagne aufzurichten. Die wertvollste Errungenschaft liegt wohl in der Erkenntnis, dass der ÖGB eine enorme, wenn momentan auch rein schlummernde Macht besitzt. So hat es der ÖGB geschafft, dass sich alle in die Debatte einschalten mussten. Der ÖAAB und die Industriellenvereinigung kamen nicht umhin, ihre eigenen Entwürfe vorzulegen. Dies bot nebenbei eine gute Gelegenheit, die Ausmaße der Konterreform-Vorhaben der Industriellenvereinigung (z.B. Senkung der lohnsteuerpflichtigen Einkommensgrenze, massive Einsparungen bei Gesundheit und Pensionen) kennenzulernen. Nun liegt aber alles daran, die schlummernde Macht des ÖGB aufzuwecken und die Illusionen, dass die Probleme der Gewerkschaftsbewegung durch die Koalition gelöst werden könnten, von sich zu schütteln. Nur durch eine ernsthafte Vorbereitung von Arbeitskämpfen besteht irgendeine Chance, die Regierung und die Unternehmer zum Einlenken zu zwingen und den Trend der sinkenden Realeinkommen umzukehren.