„Die größte Steuerreform aller Zeiten“, so und so ähnlich loben Regierung und ÖGB das Ergebnis der Steuerreform. Mit der Tarifreform der Lohnsteuer wurde jedenfalls das wichtigste Ziel des ÖBG erreicht: „Mehr Netto von Brutto“. Die Freude politischer AktivistInnen der Arbeiterbewegung ist jedoch enden wollend: von Steuergerechtigkeit weiter keine Spur, und zunehmend verdichten sich die Anzeichen, dass dies geradewegs zu neuen Raubzügen bei Pensionsansprüchen und Gesundheit führen wird.

Ab 1. Jänner 2016 sollen die LohnsteuerzahlerInnen mit fünf Milliarden im Jahr entlastet werden. Dies entspricht in etwa einem Fünftel der heuer erwarteten Lohnsteuerzahlungen. Dies ist ein Batzen Geld. Die Wohltat der Regierung relativiert sich allerdings, wenn man die sogenannte „kalte Progression“ in Rechnung stellt.

Was ist die „kalte Progression“?

Um das Phänomen steigender Lohnsteuern bei gleichbleibender oder fallender Kaufkraft zu erklären, muss man erst einmal die tatsächliche gesetzliche Ausgestaltung der Einkommenssteuer erklären:

Die Steuersätze sind gesetzlich so definiert, dass bei einem bestimmten Einkommen ein bestimmter Steuerbetrag zu zahlen ist. Die Einkommenssteuer ist dabei progressiv, das heißt je höher das Einkommen desto höher der prozentuale Steuersatz. Das funktioniert so, dass jeweils ab einem gewissen gesetzlich definierten Schwellenwert an Einkommen zusätzlich verdientes Einkommen höher besteuert wird.
Wenn es nun zu Inflation kommt, dann steigen alle Preise und die Löhne insoweit als dass die Gewerkschaften Lohnerhöhungen durchsetzen können. Weil die Schwellenwerte der Lohnsteuer aber nicht steigen, werden die (Brutto)Löhne höher besteuert, obwohl ihre Kaufkraft nicht gestiegen ist. Dieses Phänomen nennt man kalte Progression. Um das Problem zu lösen, werden in der Regel alle paar Jahre die Steuertarife neu festgesetzt. Würde man das nicht machen, würde das dazu führen, dass in ein paar Jahrzehnten alle Löhne in der höchsten Steuerklasse sind, es gäbe weniger Progression (was bedeutet, dass sich die höhere Besteuerung von höheren Einkommen abflacht).

Die Gesellschaft für Angewandte Wirtschaftsforschung (GAW) in Innsbruck hat im Zuge der Steuerreformdebatte das Ausmaß der kalten Progression bestimmt. Man hat sich dabei also die Frage gestellt: Wieviel mehr an Steuern zahlen die österreichischen LohnbezieherInnen heute nur wegen der Inflation und der daraus resultierenden höheren steuerlichen Einstufung ihrer Löhne, und nicht weil die Kaufkraft ihrer Löhne gestiegen ist?

Und da ist die Antwort: Seit der letzten Steuerreform 2009 stieg die Lohnsteuerbelastung bei gleichbleibender Kaufkraft um ca. 7%.
Die GAW untersuchte dann das SPÖ-ÖGB-Modell, das eine Lohnsteuerentlastung von 6 Mrd. vorsah. Dieses Modell hätte die Steuerbelastung inflationsbereinigt um 3,6 Prozentpunkte verringert. Das ÖGB-Modell war also überaus staatstragend, selbst wenn es vollständig umgesetzt worden wäre, wäre die Steuerbelastung für Lohneinkommen am 1.1.2016 noch immer um 3,4 % höher gewesen als man uns im Jahr 2009 an Steuern zugemutet hat.

Da das Volumen der Steuerreform nun um eine Milliarde geringer ausgefallen ist und teilweise durch Massensteuern ausgeglichen wird, kann man Daumen mal Pi sagen, dass diese Steuerreform den Lohnabhängigen das zurückgibt, was uns die letzten 2-3 Jahre durch die kalte Progression genommen wurde. Im kalten Lichte der Realität verdient diese „historische Reform“ also nur das Prädikat eines besonders markig vorgetragenen Werbeslogans.

Die innere Ausgestaltung der Steuertarife

Erschwerend kommt hinzu, dass der ÖGB-Tarifvorschlag (dem weitestgehend entsprochen wurde) von vorneherein mittlere und höhere EinkommensbezieherInnen bevorzugt. Die kalte Progression bewirkt bekanntermaßen, dass alle Löhne in höhere Steuergruppen vorrücken beziehungsweise erst steuerpflichtig werden. Für die Löhne, die bereits in der höchsten Steuergruppe waren, gilt das aber nicht! Das heißt, dass die kalte Progression niedrige Einkommen härter trifft. Einkommen über dem Höchststeuersatz zahlen im zeitlichen Verlauf immer weniger Steuer, da sie in keine höhere Steuerstufe mehr kommen. Vergleicht man nun die Verteilung der inflationsbereinigten Steuerlast und den SPÖ-Vorschlag 2014 mit der Verteilung der Steuerlast nach der letzten Steuerreform 2009, so ergibt sich, dass alle Einkommen ab 2016 stärker besteuert werden, als dies noch 2009 der Fall war. Die Mehrbelastung fällt bei höheren Einkommen jedoch schwächer aus, als die zukünftige Mehrbelastung niedriger Einkommen.

Flapsig formuliert könnte man behaupten, dass die ÖGB- und AK-ExpertInnen hier ihre eigenen Lohnzettel im Auge hatten, als sie die Modelle berechneten. Den Faymann-Hunderter wird man sich im Jänner nur einstecken können, wenn man 2.900 € brutto monatlich verdient. Da sieben von zehn Lohnzettel unter 2900 € ausweisen, wird dieser Hunderter also für die Mehrheit unerreicht bleiben.

Dies war dem ÖGB bewusst. Wichtig war ihm allerdings nur, dass die sehr niederen Armuts-Einkommen, also jene Einkommen unter der Lohnsteuergrenze von 1100 brutto im Monat durch eine Refundierung von Sozialbeiträgen eine Gutschrift von bis zu 34 € im Monat bekommen. Dies ist eine Anti-Armutsmaßnahme, von der hauptsächlich Teilzeitbeschäftigte, in ihrer großen Mehrheit weibliche Kolleginnen, einen kleinen Ausgleich bekommen.

Eine tatsächliche Wiederherstellung der Einkommensbesteuerung von 2009 hätte verlangt, dass der Steuerfreibetrag von 11.000 € im Jahr um mindestens 1000 € erhöht, und die Progression nach oben verschärft statt abgeflacht würde. Nur so könnte eine Umverteilung von Arm zu Reich aufgrund der kalten Progression verhindert werden.

Staatsfinanzierung lastet auf den ArbeitnehmerInnen

Die Staatsausgaben wachsen aus strukturellen Gründen. Der wachsende Anteil des Staates am gesellschaftlichen Vermögen ist die Konsequenz der Vergesellschaftung der Produktion und Versorgung. Die kalte Progression wird gezielt eingesetzt, um schleichend die Staatseinnahmen zu erhöhen. Der Staatshaushalt wird zu gut einem Drittel aus Lohnsteuern gefüllt, ein weiteres Drittel fällt auf Umsatzsteuern, die von den KonsumentInnen gezahlt werden und eine klassische Massensteuer darstellt.

Der Großteil der Gegenfinanzierung der Lohnsteuerreform 2016 soll durch „Betrugsbekämpfung“ erzielt werden. Die teilweise Aufhebung des Bankgeheimnisses und die Registrierkassenpflicht gelten hier als die zentralen Hebel, um Steuerhinterziehung zu bekämpfen. Diese Maßnahmen sind neu und schockieren einige UnternehmerverteterInnen und ihre Schreiberlinge. Tatsächlich vollzieht hier die Bundesregierung einen internationalen Trend nach: keine Dienstleistung ohne Rechnungsbeleg. Österreich war hier bisher säumig. Man muss davon ausgehen, dass die hier anvisierte steuerliche Mehrbelastung des Konsums zu höheren Preisen führen wird.

Die Gebührenerhöhung bei Schenkungen und Erbschaften sind klassische Mittelstandssteuern. Das ÖGB-Modell mit den Freibeträgen bis 700.000 € hätte diese soziale Schicht geschont, das jetzige Modell belastet diese Gruppen. Dies ist wichtig festzuhalten: Geschützt werden wiederrum die wirklich Reichen.

Die Unternehmen und Kapitalbesitzer (die „Vermögenden“) haben es also erfolgreich geschafft sich aus der Debatte rauszuhalten. Die Angst ist daher groß, dass Lohnabhängige sich die Steuerreform selber zahlen. Am prägnantesten hat dies im Vorfeld die Abgeordnete Daniela Holzinger formuliert: „Daher erscheint es mir aus heutiger Sicht unvorstellbar, dass ein Reformpaket ohne einer teilweisen Gegenfinanzierung über Millionärs-, Erbschafts- und Schenkungssteuern diesen Anforderungen gerecht werden kann.“ Dass dieses Szenario nun eintritt, kann als gegeben hingenommen werden.

Gibst du mir, so geb ich dir

Es mehren sich die Zeichen, dass die Lohnsteuerreform das Zugeständnis an die Gewerkschaft war, um nun ihrerseits Blockadehaltungen aufzugeben. Genannt werden neuerliche Einschränkungen im Pensionsbezug und das Gesundheitswesen. Die kolportierte Erhöhung der Zuverdienstgrenzen bei Bezug der Mindestsicherung lassen darauf schließen, dass man sich nun von der Idee einer „Arbeit, von der man auch leben kann“, verabschiedet und staatliche Subventionen für einen immer größer werdenden prekären Niedriglohnsektor anpeilt. Der „zweite Arbeitsmarkt“ à la Hartz IV in Deutschland lässt grüßen.

Der Bereich „Einsparungen bei Verwaltung und Förderungen“ ist neben der Betrugsbekämpfung der zweite große Bereich der Gegenfinanzierung. In den Medien wurde etwa das AMS (Arbeitsmarkservice) als großer Reduktionsposten genannt. Auch Föderalismus- und Bildungsbereich sollen einen Modernisierungsschub erfahren. Wir halten hier jedoch fest: beide Bereiche sind traditionell wichtige Stabilitätsfaktoren für die Bürgerlichen und ihre politischen Abteilungen, zu denen heute der sozialdemokratische Parteiapparat dazugehört. Im Sinne der Stabilität der politischen Betondecke wird es keine großen Würfe, sondern „bestenfalls“ neoliberale Reformen im Bildungsbereich (Stichwort „mehr Schulautonomie“) geben.

„Geld ist genug da“

Dieses Kampagnen-Motto der GPA-djp bleibt weiter gültig, allein als politischer Handlungsauftrag ist dieser Slogan tot. Der ÖGB ist eine Kampagne mit 900.000 Unterschriften gefahren, und was die Steuerlastenumverteilung von Kapital zu Arbeit betrifft, ist das Ergebnis gleich null. Man darf vermuten, dass dahinter fehlender politischer Wille steckt, aber auch materielle Schwierigkeiten: Tatsächlich gibt es einen Steuerstandortwettbewerb und die Sorge um den „Standort Österreich“ wird über alle Sozialpartnergrenzen hinweg geteilt. Und zweitens: Wie „Der Funke“ wiederholt argumentierte, steckt das Hauptvermögen in Betrieben, und dass diese entlastet werden sollen, wird von allen Parteien mitgetragen.

Insofern zeigt diese Steuerreform den tatsächlichen Stand des Kräfteverhältnis zwischen Kapital und Arbeit: Unter Kraftanstrengung gelingt es der Arbeiterbewegung (die hier als geeinte Kraft von Gewerkschaft und Sozialdemokratie auftrat) eine kleine Verschnaufpause von 2-3 Jahren bei der Wegbesteuerung der Lohneinkommen zu bewirken. Dabei werden besonders die Kernschichten der Gewerkschaftsbewegung, die FacharbeiterInnen und mittleren Angestellten, bedacht. Es deutet alles darauf, dass dies das Zuckerl ist, bevor nun die Sozialquote des Staatshaushaltes weiter geschrumpft wird. Der Ruf nach einer Umwälzung der Staats- und Krisenkosten auf das Kapital hat sich einmal mehr als Propaganda ohne Realitätsbezug erwiesen. Angesichts des Geldbedarfs der Banken in den kommenden Jahren, wir die Umverteilung von Arbeitseinkommen zu Kapital schwunghaft weiter gehen. Da die Regierung gleichzeitig am Nulldefizit im kommenden Jahr festhält, wird der Druck leerer Kassen zu politischen und sozialen Konterreformen genutzt werden.

Die Forderung nach Umverteilung wird solange geduldiges Papier bleiben, solange es nicht gelingt in der Arbeiterbewegung eine klassenkämpferische Perspektive mehrheitsfähig zu machen.


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