Strache wird nicht Wiener Bürgermeister werden. Dieser Leitgedanke war das entscheidende Wahlmotiv, das die SPÖ vor dem Verlust der Mehrheit in der Bundeshauptstadt bewahrt hat.

In Wien konnten die tausenden HelferInnen über Wochen hinweg relativ ungestört von Amtshandlungen die Hilfe für die in der Stadt ankommenden Flüchtlingen organisieren und umsetzen. Dieses selbstermächtigende Engagement der Tausenden ist eingebettet in eine Stimmung der Menschlichkeit, die im Wahlkampf auch sichtbar gemacht wurde. Am 3. Oktober demonstrierten Zehntausende für eine menschliche Flüchtlingspolitik, am Abend versammelten sich 150.000 Menschen zu einem (führend von sozialdemokratischen NGOs organisierten) Konzert, wo die Botschaft der Menschlichkeit spür- und sichtbar untermauert wurde. Diese Stimmung manifestierte sich an den Wahlurnen darin, dass die zu erwartenden erdrutschartigen Verluste der SPÖ in Grenzen gehalten wurden.

Polarisierte Stimmung, geteilte Stadt

Es zeugt vom politischen Instinkt und Machtwillen des Michael Häupl, dass er seine Partei so positionierte, dass sie am 11. Oktober zum politischen Ausdruck von „Menschlichkeit und Anstand“ werden konnte. So gelang es der SPÖ deutlich über den Umfrageergebnissen der vergangenen Monate durch die Ziellinie zu gehen:  Jener Teil der Massen, der Strache nicht will, wählte bei dieser Wahl so, dass Strache jedenfalls verhindert wird.

Dadurch wurde ein zweiter Prozess teilweise überlagert: die völlige Abkehr eines anderen Teiles der Arbeiterklasse von der Sozialdemokratie. Es sind jene, die eine Veränderung wollen und dies so begründen: „Ja gut, und wer hilft jetzt mir“. Dieser Teil der Klasse stimmte für die Freiheitlichen.

Konnten bei dieser Wahl SchülerInnen, Studierende, AkademikerInnen und Angestellte mehrheitlich zur Stimmabgabe für die SPÖ mobilisiert werden, desertieren ArbeiterInnen einmal mehr in Scharen zu den Blauen (eine Ausnahme muss hier genannt werden: ArbeiterInnen, die aufgrund ihrer nationalen Abstammung selbst Opfer von strukturellem Rassismus sind, wählten zu über 50 % die SPÖ). Wien präsentiert sich hier als geteilte Stadt: den KrisenverlierInnen der Arbeiterbezirke steht das Wasser zum Hals und sie sehnen sich nach einer politischen Alternative. Der Haltung „Menschlichkeit und Anstand“ können sie nichts abgewinnen, sind sie doch selbst spürbar auf der Verliererspur.

Voluntarismus scheitert

Vier linke Bündnisse und Einzelorganisation kandidierten bei den Wiener Wahlen, und alle scheiterten gleichermaßen. Sofern Vergleichsergebnisse aus vorangegangenen Wahlen vorliegen, sieht man sogar, dass sie im Marginal-Bereich, in dem sie sich bisher bewegten, weitere Verluste erzielten. Dies ist in der herrschenden polarisierten Stimmungslage nicht überraschend. Aus dem subjektiven Blickwinkel einer linken Organisation ist die Teilnahme an der Wahl ein Mittel zum und Gradmesser des Aufbaus der eigenen Organisation. Für den „normalen Wahlberechtigten“ geht es bei Wahlen, sofern man sich überhaupt irgendetwas von ihnen erwartet und hingeht, darum gesellschaftlich bereits relevante politische Positionen in Parlamenten zu stärken oder zu schwächen.

Der Wahlkampf der Linksprojekte zielte an der Polarisierung der WienerInnen in zwei große Lager von Anfang an vorbei. Allen linken Kandidaturen weiter gemeinsam ist die Annahme, dass ein Wahlsieg der FPÖ der Anfang vom Ende der SPÖ bedeuten würde, wovon man sich unausgesprochen freizügigere linke Spielwiesen erhofft. Diese Organisationen zeigen sich dabei unfähig die unterschiedlichen historischen Wurzeln und gesellschaftlichen Rollen einer absterbenden Arbeiterpartei und eines rabiat-reaktionären Rammbocks zu unterscheiden. Mit der Gleichsetzung der FPÖ mit der SPÖ (gefundene Sumpfblüte: „Pest und Cholera“) isolierten sie sich sowohl von jenen, die mit der SPÖ abgeschlossen haben und endlich was neues wollen (die FPÖ), wie auch von jenen, die einmal mehr der SPÖ die Mauer machten, um das Neue, das im reaktionären Mantel daherkommt, zu verhindern.

Die Debatte in der Linken wird sich nun um zwei große Fragestellungen fokussieren: Eine Denkrichtung vertritt die Position, man müsse nun den Kampf um die SPÖ verstärken und dabei die Personalfrage im der Bundes-SPÖ stellen. Eine zweite Denkrichtung wird jetzt dazu aufrufen, sich noch stärker darum zu bemühen, die Idee von der Notwendigkeit einer neuen Linkspartei mit Leben zu füllen.

Wir glauben nicht an die Reformierbarkeit der SPÖ aus sich selbst heraus. Die Hoffnung, dass demokratische Entscheidungen von Parteitagen und anderen Gremien die Politik  der Führung bestimmen könnte, wurde im Burgenland begraben. Verallgemeinernd: das unmittelbare Eigen-Interesse der Apparate ist das bestimmende Element der politischen Ausrichtung der Sozialdemokratie. In Zeiten der Wirtschaftskrise tendiert der Apparat von reformistischen Arbeiterorganisationen dazu sich den Bedürfnissen des Kapitals völlig zu unterwerfen. Politisch manifestiert sich dies etwa in diesem Wahl-Video des Bürgermeisters. Die politische Idee: Investieren – Wirtschaftswachstum – Lösung der sozialen Probleme entspricht nicht dem realen Krisenverlauf und muss daher scheitern, alle politischen Implikationen inklusive. Die Lösung der sozialen Frage erfordert anti-kapitalistische Maßnahmen und das weiß das  Rote Wien aus der Geschichte: die ikonischen Gemeindebauten der Zwischenkriegszeit hat am Wohnungsmarkt die Gesetze des Kapitalismus außer Kraft gesetzt.    

Wir glauben auch nicht, dass voluntaristische linke politische Bündnisse (oder eine Mosaik-Linke) auf Basis von kleinsten gemeinsamen Nennern der richtige Weg sind die Interessen der Arbeiterklasse verteidigen können. Real kann nur im Kampf eine Einigung und gesellschaftliche Durchsetzung der vorwärtstreibenden Kräfte stattfinden. Dafür brauchen wir auch ein Programm. Kernpunkt eines solchen Programmes muss in unseren Augen die Überwindung des Kapitalismus sein. 

Aus diesem antikapitalistischen Verständnis abgeleitet, gilt es ein Forderungspaket, das sich nah an den materiellen Lebensrealitäten der Arbeiterklasse orientiert, zu formulieren. Energische Verankerung schaffen in allen wichtigen sozialen Kämpfen des Landes und diese Kämpfe auch aktiv organisieren. So hat sich einst im 19.Jahrhundert aus zahlreichen zersplitterten Initiativen die Sozialdemokratie geeint, und so kann auch heute eine relevante anti-kapitalistische Kraft entstehen.

In der konkreten Situation in Wien gilt es die moralische Polarisierung rund um die Flüchtlingsfrage in eine Klassenpolarisierung um zu wandeln. Es gibt dabei mehr als eine Forderung, die wenn sie mit Nachdruck und vereint erhoben wird, die Brücken über Donaukanal und Donau schlagen kann und konkret deutlich macht: Menschlichkeit kann es in einem verfaulenden Kapitalismus nur als revolutionäre Antithese zu den herrschenden Verhältnissen geben.


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