Das Recht nur nach getaner Tat und nur von einem Richter inhaftiert werden zu können, ist eine der zentralen demokratischen Errungenschaften der Revolution von 1848. Aufgehoben wurde es seither dreimal: unter der Militärgerichtsbarkeit der Habsburger-Diktatur (1914-1918), vom Austrofaschismus (1933-1938) und der anschließenden Nazi-Diktatur (1938-1945). Geht’s nach dem Willen der aktuellen Regierung ist es nun wieder soweit.


Bei der „Sicherungshaft“ geht es darum, Menschen auf der Basis eines Verdachtes einzusperren, dass sie in Zukunft eine Straftat begehen könnten. Konkret will Innenministerium Kickl, dass diese Inhaftierung auf Prognosen seines Ministeriums passieren soll. Wenn zukünftig ein befugter Beamter des Innenministeriums einen Menschen als potentielle Gefahr für die „öffentliche Sicherheit“ oder als „Staatsfeind“ deklariert, kann der oder die Betroffene der staatlichen Willkür ohne Delikt und Richterbeschluss inhaftiert werden. Es handelt sich um die Aussetzung der persönlichen Freiheitsrechte, einer zentralen Grundlage eines jeden demokratischen Regimes.

Kickls Vorstoß ist vage. Während er öffentlich sagt, diese autoritäre Maßnahme nur Asylwerbern angedeihen lassen will, schreibt etwa die normalerweise gut informierte „Die Presse“ am 26.2.2019, dass die Sicherungshaft jedenfalls für Angehörige jeder Nation gelten soll, und zudem so gestaltet werden könne, dass sie mit der EU-Menschenrechtskonvention in Einklang zu bringen sei.

Die Regierung führt den Klassenkampf nicht nur mit Methoden des sozialen Kahlschlags; auch Angriffe auf demokratische Rechte sind im Repertoire der Bürgerlichen und können letztlich immer auch gegen die Arbeiterbewegung eingesetzt werden. Schwarz-Blau folgen dabei dem europäischen Trend, wo im vergangenen Jahr beispielsweise Bayern ein verschärftes Polizeiaufgabengesetz erlassen wurde, und wo Frankreichs Präsident Macron angesichts der Gelbwestenproteste die Demonstrationsfreiheit weiter verstümmelt (siehe Artikel im Funke Nr. 171).

Verfassungswidrig

Eine Sicherungshaft steht jedenfalls im Widerspruch zur österreichischen Verfassung – ein klarer Fall von „gold plating“ also, wo österreichische Gesetzesnormen über den Mindestnormen der EU stehen. Die Regierung hat sich darauf verschrieben, stärkere Schutzbedingungen zuungunsten von Konsumenten- und Arbeitnehmerrechten aufzuheben. Offenbar meinen sie damit auch, dass persönliche Freiheitsrechte auf das Mindestmaß des EU-Sparregimes hinuntergefahren werden sollen.
„Verfassungswidrig“ heißt aber nur, dass es eine parlamentarische Zweidrittelmehrheit braucht, um die Schutzhaft gesetzlich durchsetzen. Die Oppositionsparteien NEOS und JETZT! Stellen sich klar gegen diese autoritäre Initiative des Innenministeriums. Sie SPÖ zögert und zeigt sich gespalten.

Sozial-Demokratie?

Die Sozialdemokratie hat diese polizeistaatliche Maßnahme im vergangenen Jahrhundert mit grausamen Folgen am eigenen Leib zu spüren bekommen. Man sollte also meinen, es wäre klar, wie sie sich zu einem solchen Vorschlag verhält. Doch dem ist nicht so. Der Widerspruch zwischen „fundamental-“ und „konstruktiver“ Opposition erreicht einen weiteren Höhepunkt und keine der genannten Positionen äußert sich klar ablehnend gegen Kickls Vorstoß.

Die Parteivorsitzende Pamela Rendi-Wagner will keine eigenständige sozialdemokratische Position beziehen. Abstrakt seht sie dafür: „Es sind unsere Grundrechte und Freiheitsrechte, die hier in Diskussion stehen. Und hier ziehe ich eine ganz klare rote Linie.“ Konkret fordert sie dann, dass die Entscheidungsfindung dieser „heiklen Materie“ einer „Taskforce im Justizministerium“ zukommen soll. Diese kann den Vorschlag dann „unter Leitung eines unabhängigen Richters, und zwar beim zuständigen Minister“ ganz neutral bewerten und dann wird es eine – vorgeblich – unanfechtbare Expertenmeinung geben. Diese Haltung entspricht der völlig der Staatsorientierung der bürgerlichen Führung der Sozialdemokratie.

Dem Law-and-Order-Flügel der SPÖ ist diese behutsame Positionierung zum Demokratieabbau zu wenig. Der burgenländische SPÖ-Landesvorsitzende Hans Peter Doskozil tritt auf die Bühne und verlangt: Sicherungshaft ja, aber bitte nicht nur für Ausländer! Auf die ganze Bevölkerung soll dieses diktatorische innenpolitische Instrument angewandt werden können. Schließlich gehe Gefahr nicht nur von Asylanten aus. Und auch Wiens SPÖ-Vorsitzender Ludwig sekundiert dem ehemaligen Landespolizeidirektor des Burgenlands, ohne darauf zu verzichten, den Ausbau des autoritären Staates eine feministische Note zu geben: Ludwig zieht insbesondere der Schutz von Frauen vor gewaltigen Männern als Grund heran warum man Kickls Vorstoß nähertreten sollte.

Die SJ-Vorsitzende Julia Herr stellt sich inhaltlich gegen die Sicherungshaft. Auch Birgit Gerstorfer (Vorsitzende SPÖ OÖ) und andere wie der Traiskirchner Bürgermeister Andi Babler sprechen sich dagegen aus, dass Haft ohne Straftat verhängt werden soll. Dies drückt die Haltung von tausenden ehrlich entsetzten SozialdemokratInnen aus.

Diese inhaltliche Positionierung ist richtig, genauso wie die öffentlich bezogene Position gegen das Gesetz und seine Befürworter in der Parteispitze. Angesichts der allgemeinen Lage der Sozialdemokratie ist dies allerdings wenig. Der punktuelle Widerstand, der sich in den letzten Jahren immer wieder äußerte, konnte nicht verhindern, dass die Partei konstant nach rechts rückt und als Instrument zur Sicherung des Lebensstandards und der demokratischen Rechte der Arbeiterklasse und Jugend völlig nutzlos geworden ist. Was es braucht, ist eine Fundamentalopposition gegen alle Schattierungen des Bürgerlichen in der Führung der Sozialdemokratie. Dies heißt konkret, dass die Forderung nach dem Parteiausschluss von Doskozil erhoben werden sollte. Wenn eine „rote Linie“ überschritten wird, muss das Konsequenzen nach sich ziehen, alles andere ist hohle Rhetorik, die die Hinwendung der Sozialdemokratie ins autoritär-rechtsextreme nur hinter einem Feigenblatt versteckt.


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