Der Nationalrat hat mit den Stimmen der Koalitionsparteien und der SPÖ das nächste Corona-Paket beschlossen, das vorerst bis 30. Juni 2021 gelten wird. Damit manövriert die Regierung zwischen Pandemiebekämpfung und Profitsicherung. Von Julia Brandstätter.

In den vergangenen Wochen stellten Einzelgänge, Vorwürfe und gegenseitige Schuldzuweisungen angesichts steigender Infektionszahlen die Geschlossenheit des schwarzgrünen Krisenmanagements in Frage. Mit der breiten parlamentarischen Mehrheit für das Corona-Gesetzespaket hat die Regierungskoalition dank Stimmen der SPÖ vorerst die notwendige Stabilität und Einigkeit wiederhergestellt.

Das Gesetz

Die nun begonnene zweite Welle hat die Regierung dazu veranlasst, die Maßnahmen wieder zu verschärfen. Das kürzlich verabschiedete Gesetzespaket stellt die Corona-Ampel und einen etwaigen nächsten Lockdown auf eine neue Rechtsgrundlage.

Auf dieser Grundlage kann der Gesundheitsminister Verordnungen erlassen, die das Betreten (inklusive „Verweilen“) von Betriebsstätten, Arbeitsorten und Verkehrsmitteln oder von „bestimmten Orten“ (dazu zählen auch private Orte wie Vereinslokale, aber nicht der private Wohnbereich) oder „öffentlichen Orten in ihrer Gesamtheit“ regeln. In einer solchen Verordnung kann etwa festgelegt werden, dass diese Orte nur zu bestimmten Zeiten oder unter bestimmten Auflagen (Stichwort „Babyelefant“, Maskenpflicht) betreten werden können.

Sofern gelindere Maßnahmen nicht ausreichen, können auch Betretungsverbote für diese Orte und in letzter Instanz eine allgemeine Ausgangssperre verhängt werden, womit schwere Eingriffe in Grund- und Freiheitsrechte wieder möglich sind.

Das Verlassen des privaten Wohnbereichs ist dann nur noch aus bestimmten Gründen erlaubt:

  1. Abwendung einer unmittelbaren Gefahr für Leib, Leben und Eigentum,
  2. Hilfeleistung für unterstützungsbedürftige Personen,
  3. Deckung der notwendigen Grundbedürfnisse,
  4. erforderliche berufliche Zwecke und
  5. Aufenthalt im Freien zur körperlichen und psychischen Erholung.

Rote Krisenretterin

Die SPÖ versucht, ihr Image als Krisenretterin in der zweiten Reihe aufzupolieren und brüstet sich mit ihrer Mitarbeit am Krisenmanagement. Laut SPÖ-Verfassungssprecher Leichtfried habe sie dem Gesetzesentwurf „die Giftzähne gezogen“. Im Gegensatz zu den restlichen Oppositionsparteien habe man, so Rendi-Wagner, jenseits des Wahlkampfgetöses „Verantwortung übernommen“. In der Betonung der staatstragenden Rolle der Partei spricht der Wunsch nach einer dauerhaften Einbindung in den Staatsapparat – auch wenn man gerade in „Opposition“ ist.

Gratwanderung der Regierung

Die Sicherung der Profitinteressen der Reichen und die Stabilisierung des Kapitalismus ist die oberste Maxime der Regierung – das spiegelt sich in der Strategie zur Bekämpfung der Pandemie wider. Die Aufgabe des Staates besteht auch in Zeiten der Krise darin, das Gesamtinteresse der bürgerlichen Klasse zu wahren, das heißt die Bedingungen für profitables Wirtschaften zu gewährleisten und die Machtstellung der nationalen Bourgeoisie im globalen Standortwettbewerb bestmöglich zu sichern und auszubauen.

Daher kann die Regierung einerseits nicht jene Betriebe stilllegen, die erfahrungsgemäß für die Ausbreitung des Virus besonders anfällig sind. Andererseits muss sie aber einen massenhaften Anstieg der Infektionszahlen und Hospitalisierungen unterbinden, weil ein unkontrollierter Ausbruch der Pandemie die Wirtschaft heftiger einbrechen ließe als ein befristeter und teilweiser Shutdown. Aktuell steht daher die „Rettung der Wintersaison“ im Mittelpunkt aller Überlegungen.

Shutdown des Privaten

Tatsächliche Beschränkungen sind in erster Linie dort zu erwarten, wo sie keine Bedrohung für die Profiterwirtschaftung der Unternehmen darstellen. Wie bei der ersten Welle konzentrieren sich die Beschränkungen also auf Freizeitaktivitäten, nicht auf den Wirtschaftsbetrieb: Private Treffen werden auf zehn Personen beschränkt, im Falle einer Ausgangssperre kann aufgrund „beruflicher Zwecke“ in Großraumbüros und Fabrikhallen weitergearbeitet werden; auch Kirchen bleiben von den Maßnahmen weitestgehend ausgenommen.

Wenn die Pandemie die Schließung der Kindergärten und Schulen erzwingt, würde die ganze Last wieder auf die Bevölkerung – in erster Linie die Frauen – abgewälzt. Der Staat individualisiert systematisch die Verantwortung und hat sich überhaupt nicht auf die heranrollende zweite Welle vorbereitet. Grundlegendste Voraussetzungen einer erfolgreichen Anti-COVID-Strategie wie schnelle Testungen und der Aufbau von personellen Kapazitäten zum Contact-Tracing wurden einfach unterlassen. Es gibt keine technische Ausstattung für den digitalen Unterricht, es wurden keine Ressourcen und Personal für kleinere Kindergartengruppen und Schulklassen angeschafft etc.

Schuldabwälzung

Ideologisch suggerieren Regierung und Massenmedien, dass das unverantwortliche Freizeitverhalten des Individuums schuld an der Verbreitung des Virus sei.

Dabei greifen Politiker und Medien auch auf rassistische Vorurteile zurück. Den Betroffenen wird vorgeworfen, sie würden sich nicht an Social Distancing-Maßnahmen halten oder das Virus „einschleppen“. Der Wiener FPÖ-Chef Nepp spricht überhaupt vom „Asylantenvirus“ und Kanzler Kurz behauptet: „Das Virus kommt mit dem Auto“ aus den Ländern des Westbalkans.

Erfahrungsgemäß unterscheidet das Virus aber nicht zwischen Herkunft und Hautfarben; und die großen Clusterfälle treten nach den bisherigen medizinischen Erkenntnissen nicht auf der Spielwiese, im Gastgarten oder am Donaukanal, sondern in der Regel am Arbeitsplatz auf: das Hagenbrunner Postverteilzentrum, oberösterreichische Schlachthöfe und die Ischgler Tourismusindustrie waren die eigentlichen Seuchenherde.

Zweite Welle: Was tun?

Aus der Sicht der Regierung ist das neue Gesetzespaket Ausdruck der Notwendigkeit, zwischen einem „Weiter-so“ und einem Shutdown zu lavieren, um den ökonomischen Schaden für das nationale Kapital möglichst in Grenzen zu halten.

Wir stehen am Beginn der zweiten Welle. Deshalb brauchen wir flächendeckende kostenlose und schnelle Tests, Überzeugungsarbeit für das Maskentragen, die Verteidigung der öffentlichen Gesundheitsversorgung, Personalaufstockung im Gesundheitsbereich und beim Contact-Tracing, eine Erhöhung der Frequenz der Öffis, insbesondere der Schulbusse und Pendlerzüge, mehr Lehr- und Kindergartenpersonal für kleinere Gruppen und die Requirierung von zusätzlichen Räumen etc.

In den Bildungsinstitutionen, am Arbeitsplatz und im Kulturbetrieb müssen die Beschäftigten ausreichend materielle und personelle Ressourcen zur Verfügung gestellt bekommen, um Maßnahmen zur Eindämmung des Virus' sinnvoll umsetzen zu können. Sie können am besten entscheiden, welche Maßnahmen zur Bekämpfung des Virus notwendig sind, diese auch effektiv kontrollieren und – wenn nötig – in letzter Instanz die Schließung erzwingen.


Lies hier unsere vorhergehenden Artikel über die COVID-Gesetzgebung:


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