Zu festlichen Anlässen und auf Parteitagen der SPÖ wird die erste österreichische Frauenministerin Johanna Dohnal gerne und häufig zitiert: „Aus taktischen Gründen leise zu treten, hat sich noch immer als Fehler erwiesen.“ Doch die politische Praxis der sozialdemokratischen Führung ist in den letzten Wochen – nicht nur taktisch – das glatte Gegenteil. Über Gründe und Alternativen schreibt Florian Keller.

Die gesellschaftliche Situation ist nach einem Jahr Pandemie und tiefer Wirtschaftskrise so angespannt, dass die Regierung jederzeit zerbrechen kann. Auch wenn Kurz diese Unannehmlichkeit vorerst durch die Nibelungentreue der Grünen noch erspart bleibt, ist die Instabilität greifbar.

Die Situation wäre ein aufgelegter Elfer für eine Gegenoffensive der Arbeiterbewegung: Sebastian Kurz verfängt sich in den inneren Widersprüchen seines politischen Projekts, die ÖVP und die türkis-grüne Regierung repräsentieren den Versuch, die Krise auf die Jugendlichen und ArbeiterInnen abzuwälzen. Und auch über die bestehende Regierung hinaus wird es äußerst eng für das Kapital. Rechts ist die FPÖ mit ihrem Klubobmann Kickl und dessen demagogischen Spiel mit Verschwörungstheorien in Mitten einer Pandemie derzeit eine viel zu unsichere Option. Die NEOS sind zu klein, um sich sowohl in einem „fliegenden Wechsel“ als auch bei Neuwahlen als jüngster Juniorpartner der ÖVP selbst zerstören zu dürfen.

Doch gerade deswegen, weil die Krise so tief ist und die Regierung wackelt, schlagen die alten, staatstragenden Instinkte der SPÖ-Parteibürokratie wieder an. Die SPÖ hat sich seit Monaten in „verantwortlicher Oppositionspolitik“ geübt (sprich: Kritik höchstens in homöopathischen Dosen). Die Gewerkschaftsspitzen haben aus Sicht der Kapitalisten „Augenmaß“ gezeigt, indem sie mit Beginn der Pandemie laufende Kämpfe abgedreht (Streiks im Sozialbereich) und seitdem einen klassischen Burgfrieden ohne jegliche Mobilisierungen mit dem Kapital geschlossen haben. Indes werden die realen Bedingungen der ArbeiterInnen durch Massenarbeitslosigkeit, Kurzarbeit und massiv steigenden Druck immer schlechter.

So wird die Option einer großen Koalition für die Kapitalstrategen wieder interessant. Und auch völlig abseits einer formalen Regierungsbeteiligung wird die SPÖ bereits jetzt immer mehr wieder „eingebunden“ – sprich, vom Kapital als Blitzableiter für die Wut der ArbeiterInnen eingesetzt. Sollte die Regierung aber tatsächlich scheitern, kann auch wieder der direkte Ruf des Kapitals kommen: „Für Österreich und das Allgemeinwohl – rein in eine Regierung zur Sicherung des Wirtschaftsstandorts“. Und wenn es nötig werden sollte, eben selbst als Juniorpartner der ÖVP von Sebastian Kurz – auch wenn das für Rendi-Wagner & Co. sicher nicht die liebste Option wäre.

Mit zunehmender Schwäche der Regierung wird die Oppositionspolitik der SPÖ so immer sanfter, ihr Auftreten immer staatstragender. Direkte Angriffe auf den Kanzler bleiben mittlerweile völlig aus, stattdessen wird er aufgefordert zu „handeln“. Rücktrittsforderungen hagelt es für alle möglichen Minister von Faßmann über Nehammer bis Blümel – nur die Spinne in der Mitte des Netzes wird völlig ausgespart. „Kurz“ gesagt: Je leichter diese krisengeschüttelte Regierung zu Fall gebracht werden könnte, desto mehr wird deutlich, dass die SPÖ-Führung das nicht will!

In dieser Situation bräuchte es eine entschlossene linke Opposition. Insbesondere rund um die Sozialistische Jugend hat sich Widerstand in der Vergangenheit immer wieder gruppiert. Die Aufgabe der Verbandsführung wäre es daher, dem auch jetzt einen Ausdruck zu geben. Doch auch sie hat sich der schüchternen Methode der Kritik einzelner Minister völlig verschrieben. Anstatt einen Generalangriff auf Regierung und Kapital vorzubereiten, stellt ihre Politik derzeit eher ein „linkes Abbild“ der SPÖ-Politik dar und bleibt damit gesellschaftlich weitgehend wirkungslos.

Die breite Kampagnisierung eines entschlossenen, sozialistischen Oppositionsprogrammes könnte dagegen eine Kraft entwickeln, die weit über seinen ursprünglichen Wirkungskreis hinausgeht. Immer mehr Menschen erkennen durch die Erfahrungen des letzten Jahres, dass es in diesem System keine Zukunft gibt. Diese Erkenntnis müssen wir aufgreifen und mit einer konkreten politischen Perspektive verknüpfen. Denn solange es keine wirkliche Opposition von links gibt, können sich Demagogen von rechts fälschlicherweise als „echte Opposition“ präsentieren und die steigende Wut für ihre Zwecke nutzen. Daher müssen Linke in der Arbeiterbewegung offen sagen, was ist:

  • Kurz muss weg, die ÖVP muss weg!

Das Problem ist nicht dieser oder jener einzelne Minister, der „versagt“ hätte. Das Problem ist das kapitalistische System, und Sebastian Kurz und die ÖVP als Ganzes sind dessen wichtigste politische Vertreter in Österreich.

  • Weg mit der ganzen türkis-grünen Regierung!

Wie schwarz-blau zuvor hat türkis-grün sich schützend vor die Banken und Konzerne gestellt, während die Situation für normale ArbeiterInnen und Jugendliche immer unerträglicher wird. Die Grünen haben deutlich genug bewiesen, dass sie ein Teil des Problems sind und nicht ein „fehlgeleiteter möglicher Koalitionspartner“ für die Arbeiterbewegung.

  • Es braucht eine klassenkämpferische Opposition!

Die Gewerkschaften und die Sozialdemokratie müssen damit aufhören, die Krise des Kapitalismus mitzuverwalten und stattdessen eine gesamtgesellschaftliche Gegenoffensive organisieren.
Für eine sozialistische Opposition in der Arbeiterbewegung!

Nachdem Rendi-Wagner, der Gewerkschaftschef Katzian und Co. genau in die gegenteilige Richtung drängen (Einbindung der Arbeiterorganisationen in die Verwaltung der Krise) ist es nötig, eine linke Opposition herauszubilden. Gleichzeitig gilt es auch für die Linke außerhalb der Sozialdemokratie, zur Organisierung von konkreten Kämpfen die Verbindung mit Linken innerhalb der Sozialdemokratie zu suchen, um so gemeinsam die Betondecke zu durchbrechen, die in Form der Sozialpartnerschaft derzeit auf der Arbeiterbewegung lastet.

(Funke Nr. 191/17.2.2021)


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